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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Die Zwerge.
Ein viereckiger, bärtiger Kopf, von bräunlicher Hautfarbe, stier-
artiger Stirn, mit ausgeprägtem Zerstörungstrieb. Breit von
vorn gesehn, blickt er gradaus und streckt auch die Beine
vorwärts, parallel, die Hände ebenfalls parallel und einwärtsge-
kehrt auf die Schenkel stützend. Alles an ihm ist kubisch,
rechtwinklich. Wie könnt ihr euch unterstehn ihn anzusehn?
eine Salve von drohenden Fluchworten wird euch dafür züchtigen.
Ein Glaubensrichter würde einen reichen judaizante nicht furcht-
barer mit den Augen durchbohren. Sein Anzug ist indessen bunt:
über grünem Wams, Hose ein rother mit Gold besetzter Mantel
und breiter Spitzenkragen. Nach der Malweise gehört das Bild
in die vierziger Jahre. Ursprünglich schloss der Rahmen im Halb-
kreis; er sass da wie ein Kettenhund in seiner Hütte. Eine
leidliche alte Kopie war in der Galerie Salamanca; Goya hat
ihn geätzt (1778, 1,06 x 0,81).

In denselben Tagen wo Velazquez in Fraga (1644) den Kö-
nig aufnahm, malte er auch den Zwerg El Primo. Ein Doku-
mentensucher hat entdeckt, dass der so geheissene Zwerg ein
Kleid von schwarzem Sammt (rizo) um eben diese Zeit zum
Geschenk erhielt; nun aber ist unser Kleiner (Prado 1095) der
einzige Zwerg in Schwarz. Dieser Pygmäe begleitete den Hof
auf den jährlichen Reisen nach Saragossa zur Zeit des kataloni-
schen Aufstands. Olivares, der immer düstrer wurde, nahm ihn oft
im Wagen mit; bei der Heerschau in Molina ging eine Muskete
los und die Kugel schlug in die Kutsche, ein Splitter verwundete
den Secretär Carnero und El Primo.

Auf dünnem Körperchen, dem ein korrekter schwarzer Hof-
anzug trefflich angepasst ist, sitzt der alte ernste Kopf,
überragt von einer mächtigen Stirn, die der schief sitzende
Hut offen lässt. Auf dem Schenkel liegt ein Foliant, in
dem er ein Blatt umzuschlagen im Begriff ist. An ihm soll
man seine Grösse messen. Durch das Geräusch eines Vorüber-
gehenden gestört, sieht er verdriesslich auf; Verachtung der
Profanen, Abspannung liegt in seinem Blick. Die Resultate seiner
Forschungen scheint er in das aufgeschlagene Heft am Boden,
auf dem ein Tintenfass steht, einzutragen. Er sitzt mitten auf
dem Felde, eine Berglandschaft in der Art der Reiterporträts
bildet den Hintergrund. Am Ende ist der Foliant ein genealo-
gisches Werk. Da ihn der König Vetter (el primo) nennt, so studirt
er wahrscheinlich den verwandtschaftlichen Zusammenhang. Oder
ist es ein Grundbuch, und will er Rechte auf jene Einöde gel-

Die Zwerge.
Ein viereckiger, bärtiger Kopf, von bräunlicher Hautfarbe, stier-
artiger Stirn, mit ausgeprägtem Zerstörungstrieb. Breit von
vorn gesehn, blickt er gradaus und streckt auch die Beine
vorwärts, parallel, die Hände ebenfalls parallel und einwärtsge-
kehrt auf die Schenkel stützend. Alles an ihm ist kubisch,
rechtwinklich. Wie könnt ihr euch unterstehn ihn anzusehn?
eine Salve von drohenden Fluchworten wird euch dafür züchtigen.
Ein Glaubensrichter würde einen reichen judaizante nicht furcht-
barer mit den Augen durchbohren. Sein Anzug ist indessen bunt:
über grünem Wams, Hose ein rother mit Gold besetzter Mantel
und breiter Spitzenkragen. Nach der Malweise gehört das Bild
in die vierziger Jahre. Ursprünglich schloss der Rahmen im Halb-
kreis; er sass da wie ein Kettenhund in seiner Hütte. Eine
leidliche alte Kopie war in der Galerie Salamanca; Goya hat
ihn geätzt (1778, 1,06 × 0,81).

In denselben Tagen wo Velazquez in Fraga (1644) den Kö-
nig aufnahm, malte er auch den Zwerg El Primo. Ein Doku-
mentensucher hat entdeckt, dass der so geheissene Zwerg ein
Kleid von schwarzem Sammt (rizo) um eben diese Zeit zum
Geschenk erhielt; nun aber ist unser Kleiner (Prado 1095) der
einzige Zwerg in Schwarz. Dieser Pygmäe begleitete den Hof
auf den jährlichen Reisen nach Saragossa zur Zeit des kataloni-
schen Aufstands. Olivares, der immer düstrer wurde, nahm ihn oft
im Wagen mit; bei der Heerschau in Molina ging eine Muskete
los und die Kugel schlug in die Kutsche, ein Splitter verwundete
den Secretär Carnero und El Primo.

Auf dünnem Körperchen, dem ein korrekter schwarzer Hof-
anzug trefflich angepasst ist, sitzt der alte ernste Kopf,
überragt von einer mächtigen Stirn, die der schief sitzende
Hut offen lässt. Auf dem Schenkel liegt ein Foliant, in
dem er ein Blatt umzuschlagen im Begriff ist. An ihm soll
man seine Grösse messen. Durch das Geräusch eines Vorüber-
gehenden gestört, sieht er verdriesslich auf; Verachtung der
Profanen, Abspannung liegt in seinem Blick. Die Resultate seiner
Forschungen scheint er in das aufgeschlagene Heft am Boden,
auf dem ein Tintenfass steht, einzutragen. Er sitzt mitten auf
dem Felde, eine Berglandschaft in der Art der Reiterporträts
bildet den Hintergrund. Am Ende ist der Foliant ein genealo-
gisches Werk. Da ihn der König Vetter (el primo) nennt, so studirt
er wahrscheinlich den verwandtschaftlichen Zusammenhang. Oder
ist es ein Grundbuch, und will er Rechte auf jene Einöde gel-

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[355/0379] Die Zwerge. Ein viereckiger, bärtiger Kopf, von bräunlicher Hautfarbe, stier- artiger Stirn, mit ausgeprägtem Zerstörungstrieb. Breit von vorn gesehn, blickt er gradaus und streckt auch die Beine vorwärts, parallel, die Hände ebenfalls parallel und einwärtsge- kehrt auf die Schenkel stützend. Alles an ihm ist kubisch, rechtwinklich. Wie könnt ihr euch unterstehn ihn anzusehn? eine Salve von drohenden Fluchworten wird euch dafür züchtigen. Ein Glaubensrichter würde einen reichen judaizante nicht furcht- barer mit den Augen durchbohren. Sein Anzug ist indessen bunt: über grünem Wams, Hose ein rother mit Gold besetzter Mantel und breiter Spitzenkragen. Nach der Malweise gehört das Bild in die vierziger Jahre. Ursprünglich schloss der Rahmen im Halb- kreis; er sass da wie ein Kettenhund in seiner Hütte. Eine leidliche alte Kopie war in der Galerie Salamanca; Goya hat ihn geätzt (1778, 1,06 × 0,81). In denselben Tagen wo Velazquez in Fraga (1644) den Kö- nig aufnahm, malte er auch den Zwerg El Primo. Ein Doku- mentensucher hat entdeckt, dass der so geheissene Zwerg ein Kleid von schwarzem Sammt (rizo) um eben diese Zeit zum Geschenk erhielt; nun aber ist unser Kleiner (Prado 1095) der einzige Zwerg in Schwarz. Dieser Pygmäe begleitete den Hof auf den jährlichen Reisen nach Saragossa zur Zeit des kataloni- schen Aufstands. Olivares, der immer düstrer wurde, nahm ihn oft im Wagen mit; bei der Heerschau in Molina ging eine Muskete los und die Kugel schlug in die Kutsche, ein Splitter verwundete den Secretär Carnero und El Primo. Auf dünnem Körperchen, dem ein korrekter schwarzer Hof- anzug trefflich angepasst ist, sitzt der alte ernste Kopf, überragt von einer mächtigen Stirn, die der schief sitzende Hut offen lässt. Auf dem Schenkel liegt ein Foliant, in dem er ein Blatt umzuschlagen im Begriff ist. An ihm soll man seine Grösse messen. Durch das Geräusch eines Vorüber- gehenden gestört, sieht er verdriesslich auf; Verachtung der Profanen, Abspannung liegt in seinem Blick. Die Resultate seiner Forschungen scheint er in das aufgeschlagene Heft am Boden, auf dem ein Tintenfass steht, einzutragen. Er sitzt mitten auf dem Felde, eine Berglandschaft in der Art der Reiterporträts bildet den Hintergrund. Am Ende ist der Foliant ein genealo- gisches Werk. Da ihn der König Vetter (el primo) nennt, so studirt er wahrscheinlich den verwandtschaftlichen Zusammenhang. Oder ist es ein Grundbuch, und will er Rechte auf jene Einöde gel-

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/379>, abgerufen am 27.11.2024.