Figuren sind nur da um des Lichts willen, das mit ihnen sein Wesen treibt. Dies Werk verräth noch deutlicher als alle übrigen, wie sehr den Velazquez optisch-malerische Probleme interessirten; es ist etwas darin von Kunst um der Kunst willen.
Aus zwei grossen Fenstern, einem im Hintergrund oben, diesen durchbrechend, dem andern in der Werkstatt, dringt das Sonnenlicht ein, also in zwei getrennten parallelen Strahlen, dort ein volles, hier ein beschränktes. Ein lustiger Sonnen- strahl, das Fetzchen eines Madrider Sommertags, hat sich in den kleinen Ausstellungsraum ergossen, wie ein Katarakt der stäubend aus Felsspalt stürzt; in der That verdankt er der staubaufwirbelnden Arbeit seine Pracht. Dieser Strahl wirkt derart auf das Gewebe, dessen farbige Seiden-, Woll- und Gold- fäden entzündend, und auf die geputzten Damen, Schatten und damit Körperlichkeit tilgend, dass das Auge zweifeln kann, ob die gewebten Figuren nicht doch Komödianten seien; oder ob die so passend an den Ecken aufgestellten Sennoras nicht zu dem Arazzo als Vordergruppe gehören.
Den eigentlichen Gegenstand des Interesses, das Tapetenbild, möchte man gern deuten, besonders da das Auge durch die An- ordnung beständig darauf hingelenkt wird, und die Sonne selbst wie mit dem Finger darauf zeigt. Man sieht einen Mann mit Helm und Schild, abgewandt, die Rechte erhoben, wie zum Hand- schlag oder emporzeigend. Vor ihm steht eine Frau, zu ihm aufsehend, die Linke im Mantel, die Rechte ausgestreckt, wie in Bewunderung jener Heldengestalt. Eine Dritte, den Arm schüt- zend über das emporgewandte Gesicht haltend, scheint durch zwei Flügelkinder fortgescheucht zu werden. Wahrscheinlich sind die drei davorstehenden Damen ebenso rathlos wie wir, denn eine dreht ihr hübsches Köpfchen um nach dem Atelier unten, vielleicht nach dem Schlossmarschall, von dessen Belesen- heit sie Auskunft erwartet. Die zwei andern wollen uns nur die Ansicht ihres aristokratischen Nackens und der geschmackvollen Frisur darüber vergönnen, deren Verheissungen die Vorderseite vielleicht nicht hält. Nur ein Meisterwerk wie das, welches er vielleicht eben zu skizziren im Begriff war, entschuldigt dass er, ein Hofmann und Spanier, die Damen allein gelassen hat.
Zwischen diess farben- und lichtgetränkte Bild und die Vorderscene schiebt sich das neutrale Dunkelgrau der leeren Wand. In diesem Hauptraum aber vermag das Licht das Dunkel nur halb zu besiegen, weil das Fenster wegen des heissen Tags
Die Spinnerinnen.
Figuren sind nur da um des Lichts willen, das mit ihnen sein Wesen treibt. Dies Werk verräth noch deutlicher als alle übrigen, wie sehr den Velazquez optisch-malerische Probleme interessirten; es ist etwas darin von Kunst um der Kunst willen.
Aus zwei grossen Fenstern, einem im Hintergrund oben, diesen durchbrechend, dem andern in der Werkstatt, dringt das Sonnenlicht ein, also in zwei getrennten parallelen Strahlen, dort ein volles, hier ein beschränktes. Ein lustiger Sonnen- strahl, das Fetzchen eines Madrider Sommertags, hat sich in den kleinen Ausstellungsraum ergossen, wie ein Katarakt der stäubend aus Felsspalt stürzt; in der That verdankt er der staubaufwirbelnden Arbeit seine Pracht. Dieser Strahl wirkt derart auf das Gewebe, dessen farbige Seiden-, Woll- und Gold- fäden entzündend, und auf die geputzten Damen, Schatten und damit Körperlichkeit tilgend, dass das Auge zweifeln kann, ob die gewebten Figuren nicht doch Komödianten seien; oder ob die so passend an den Ecken aufgestellten Señoras nicht zu dem Arazzo als Vordergruppe gehören.
Den eigentlichen Gegenstand des Interesses, das Tapetenbild, möchte man gern deuten, besonders da das Auge durch die An- ordnung beständig darauf hingelenkt wird, und die Sonne selbst wie mit dem Finger darauf zeigt. Man sieht einen Mann mit Helm und Schild, abgewandt, die Rechte erhoben, wie zum Hand- schlag oder emporzeigend. Vor ihm steht eine Frau, zu ihm aufsehend, die Linke im Mantel, die Rechte ausgestreckt, wie in Bewunderung jener Heldengestalt. Eine Dritte, den Arm schüt- zend über das emporgewandte Gesicht haltend, scheint durch zwei Flügelkinder fortgescheucht zu werden. Wahrscheinlich sind die drei davorstehenden Damen ebenso rathlos wie wir, denn eine dreht ihr hübsches Köpfchen um nach dem Atelier unten, vielleicht nach dem Schlossmarschall, von dessen Belesen- heit sie Auskunft erwartet. Die zwei andern wollen uns nur die Ansicht ihres aristokratischen Nackens und der geschmackvollen Frisur darüber vergönnen, deren Verheissungen die Vorderseite vielleicht nicht hält. Nur ein Meisterwerk wie das, welches er vielleicht eben zu skizziren im Begriff war, entschuldigt dass er, ein Hofmann und Spanier, die Damen allein gelassen hat.
Zwischen diess farben- und lichtgetränkte Bild und die Vorderscene schiebt sich das neutrale Dunkelgrau der leeren Wand. In diesem Hauptraum aber vermag das Licht das Dunkel nur halb zu besiegen, weil das Fenster wegen des heissen Tags
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Die Spinnerinnen.
Figuren sind nur da um des Lichts willen, das mit ihnen sein
Wesen treibt. Dies Werk verräth noch deutlicher als alle
übrigen, wie sehr den Velazquez optisch-malerische Probleme
interessirten; es ist etwas darin von Kunst um der Kunst willen.
Aus zwei grossen Fenstern, einem im Hintergrund oben,
diesen durchbrechend, dem andern in der Werkstatt, dringt
das Sonnenlicht ein, also in zwei getrennten parallelen Strahlen,
dort ein volles, hier ein beschränktes. Ein lustiger Sonnen-
strahl, das Fetzchen eines Madrider Sommertags, hat sich in
den kleinen Ausstellungsraum ergossen, wie ein Katarakt der
stäubend aus Felsspalt stürzt; in der That verdankt er der
staubaufwirbelnden Arbeit seine Pracht. Dieser Strahl wirkt
derart auf das Gewebe, dessen farbige Seiden-, Woll- und Gold-
fäden entzündend, und auf die geputzten Damen, Schatten und
damit Körperlichkeit tilgend, dass das Auge zweifeln kann, ob
die gewebten Figuren nicht doch Komödianten seien; oder ob die
so passend an den Ecken aufgestellten Señoras nicht zu dem
Arazzo als Vordergruppe gehören.
Den eigentlichen Gegenstand des Interesses, das Tapetenbild,
möchte man gern deuten, besonders da das Auge durch die An-
ordnung beständig darauf hingelenkt wird, und die Sonne selbst
wie mit dem Finger darauf zeigt. Man sieht einen Mann mit
Helm und Schild, abgewandt, die Rechte erhoben, wie zum Hand-
schlag oder emporzeigend. Vor ihm steht eine Frau, zu ihm
aufsehend, die Linke im Mantel, die Rechte ausgestreckt, wie in
Bewunderung jener Heldengestalt. Eine Dritte, den Arm schüt-
zend über das emporgewandte Gesicht haltend, scheint durch
zwei Flügelkinder fortgescheucht zu werden. Wahrscheinlich
sind die drei davorstehenden Damen ebenso rathlos wie wir,
denn eine dreht ihr hübsches Köpfchen um nach dem Atelier
unten, vielleicht nach dem Schlossmarschall, von dessen Belesen-
heit sie Auskunft erwartet. Die zwei andern wollen uns nur die
Ansicht ihres aristokratischen Nackens und der geschmackvollen
Frisur darüber vergönnen, deren Verheissungen die Vorderseite
vielleicht nicht hält. Nur ein Meisterwerk wie das, welches er
vielleicht eben zu skizziren im Begriff war, entschuldigt dass er,
ein Hofmann und Spanier, die Damen allein gelassen hat.
Zwischen diess farben- und lichtgetränkte Bild und die
Vorderscene schiebt sich das neutrale Dunkelgrau der leeren
Wand. In diesem Hauptraum aber vermag das Licht das Dunkel
nur halb zu besiegen, weil das Fenster wegen des heissen Tags
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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/353>, abgerufen am 22.11.2024.
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