nommen, um durch ein thatsächliches Zeugniss verbesserten Urtheils Tadlern den Mund zu stopfen.
Diese Notiz führt auf eine allgemeine, merkwürdige Beob- achtung. Jedermann der sich Zeit nimmt die Velazquez in der Pradogallerie auf ihren Zustand anzusehn, wird bemerken, dass es wenige giebt, in denen nicht bedeutende pentimenti vorkommen, die meist, in Folge der ungenügenden Zudeckung, deutlich und zuweilen störend erkennbar sind. Und ferner, dass fast in allen Bildern mehr oder weniger bedeutende Streifen an den beiden Seiten und oben angestückt sind.
Diese Anstückungen können nicht etwa zur Heilung von Beschädigungen (durch Brand) gemacht sein, denn warum sollten diese grade die Gemälde des Velazquez betroffen haben, und immer nur an jenen drei Rändern? Auch nicht in Folge ver- änderter Aufstellung: denn welcher Künstler oder Besitzer würde deshalb seine Gemälde durch solche leere Füllstücke ver- unstalten? Die pentimenti anlangend, so soll ja freilich "der Maler der nach dem Vollkommenen strebt, ein grosser Chirurg sein, nicht furchtsam zum Schneiden" 1); aber ist es denkbar, dass ein so sichrer Zeichner in grossen, vorher wolüberlegten Gemälden während der Ausführung geschwankt habe? Wie sollte er oder sein Auftraggeber solche Fehler nicht gleich bei der Skizzirung bemerkt haben? In der That führen innere Gründe verschiedener Art auf die Vermuthung, dass die meisten dieser Veränderungen nach der Vollendung des Bildes vorgenommen worden sind. Sie waren also bestimmt, letzteres mit dem ver- änderten Geschmack in Einklang zu bringen. Ohne Berück- sichtigung dieser Thatsache würde man bei der Datirung der Gemälde oft nicht aus und ein wissen.
Ein Maler, der seine Werke sozusagen im eigenen Hause hat, wo sie aber zugleich den in die Augen fallenden Schmuck von Wohn- und Staatszimmern bilden und sogar lebende Be- wohner eben dieser Räume darstellen, ein solcher Maler be- findet sich gegenüber den Dokumenten seiner Vergangenheit in einer ganz andern Lage, als die Meisten, welche ja ihre ver- kauften Bilder nicht wiedersehn. Dem wahren Künstler müssen seine Sachen, wie Leonardo schon bemerkt hat, oft zur Qual
1) Palomino, Museo II, 109: ha de ser como el gran Cirujano, que no es timido en cortar lo que danna . . . . No le duela el cortar. annadir, o mudar, lo que mas convenga.
Die Bildnisskunst des Meisters.
nommen, um durch ein thatsächliches Zeugniss verbesserten Urtheils Tadlern den Mund zu stopfen.
Diese Notiz führt auf eine allgemeine, merkwürdige Beob- achtung. Jedermann der sich Zeit nimmt die Velazquez in der Pradogallerie auf ihren Zustand anzusehn, wird bemerken, dass es wenige giebt, in denen nicht bedeutende pentimenti vorkommen, die meist, in Folge der ungenügenden Zudeckung, deutlich und zuweilen störend erkennbar sind. Und ferner, dass fast in allen Bildern mehr oder weniger bedeutende Streifen an den beiden Seiten und oben angestückt sind.
Diese Anstückungen können nicht etwa zur Heilung von Beschädigungen (durch Brand) gemacht sein, denn warum sollten diese grade die Gemälde des Velazquez betroffen haben, und immer nur an jenen drei Rändern? Auch nicht in Folge ver- änderter Aufstellung: denn welcher Künstler oder Besitzer würde deshalb seine Gemälde durch solche leere Füllstücke ver- unstalten? Die pentimenti anlangend, so soll ja freilich „der Maler der nach dem Vollkommenen strebt, ein grosser Chirurg sein, nicht furchtsam zum Schneiden“ 1); aber ist es denkbar, dass ein so sichrer Zeichner in grossen, vorher wolüberlegten Gemälden während der Ausführung geschwankt habe? Wie sollte er oder sein Auftraggeber solche Fehler nicht gleich bei der Skizzirung bemerkt haben? In der That führen innere Gründe verschiedener Art auf die Vermuthung, dass die meisten dieser Veränderungen nach der Vollendung des Bildes vorgenommen worden sind. Sie waren also bestimmt, letzteres mit dem ver- änderten Geschmack in Einklang zu bringen. Ohne Berück- sichtigung dieser Thatsache würde man bei der Datirung der Gemälde oft nicht aus und ein wissen.
Ein Maler, der seine Werke sozusagen im eigenen Hause hat, wo sie aber zugleich den in die Augen fallenden Schmuck von Wohn- und Staatszimmern bilden und sogar lebende Be- wohner eben dieser Räume darstellen, ein solcher Maler be- findet sich gegenüber den Dokumenten seiner Vergangenheit in einer ganz andern Lage, als die Meisten, welche ja ihre ver- kauften Bilder nicht wiedersehn. Dem wahren Künstler müssen seine Sachen, wie Leonardo schon bemerkt hat, oft zur Qual
1) Palomino, Museo II, 109: ha de ser como el gran Cirujano, que no es tímido en cortar lo que daña . . . . No le duela el cortar. añadir, ó mudar, lo que mas convenga.
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[15/0035]
Die Bildnisskunst des Meisters.
nommen, um durch ein thatsächliches Zeugniss verbesserten
Urtheils Tadlern den Mund zu stopfen.
Diese Notiz führt auf eine allgemeine, merkwürdige Beob-
achtung. Jedermann der sich Zeit nimmt die Velazquez in der
Pradogallerie auf ihren Zustand anzusehn, wird bemerken, dass es
wenige giebt, in denen nicht bedeutende pentimenti vorkommen,
die meist, in Folge der ungenügenden Zudeckung, deutlich und
zuweilen störend erkennbar sind. Und ferner, dass fast in allen
Bildern mehr oder weniger bedeutende Streifen an den beiden
Seiten und oben angestückt sind.
Diese Anstückungen können nicht etwa zur Heilung von
Beschädigungen (durch Brand) gemacht sein, denn warum sollten
diese grade die Gemälde des Velazquez betroffen haben, und
immer nur an jenen drei Rändern? Auch nicht in Folge ver-
änderter Aufstellung: denn welcher Künstler oder Besitzer
würde deshalb seine Gemälde durch solche leere Füllstücke ver-
unstalten? Die pentimenti anlangend, so soll ja freilich „der
Maler der nach dem Vollkommenen strebt, ein grosser Chirurg
sein, nicht furchtsam zum Schneiden“ 1); aber ist es denkbar,
dass ein so sichrer Zeichner in grossen, vorher wolüberlegten
Gemälden während der Ausführung geschwankt habe? Wie sollte
er oder sein Auftraggeber solche Fehler nicht gleich bei der
Skizzirung bemerkt haben? In der That führen innere Gründe
verschiedener Art auf die Vermuthung, dass die meisten dieser
Veränderungen nach der Vollendung des Bildes vorgenommen
worden sind. Sie waren also bestimmt, letzteres mit dem ver-
änderten Geschmack in Einklang zu bringen. Ohne Berück-
sichtigung dieser Thatsache würde man bei der Datirung der
Gemälde oft nicht aus und ein wissen.
Ein Maler, der seine Werke sozusagen im eigenen Hause
hat, wo sie aber zugleich den in die Augen fallenden Schmuck
von Wohn- und Staatszimmern bilden und sogar lebende Be-
wohner eben dieser Räume darstellen, ein solcher Maler be-
findet sich gegenüber den Dokumenten seiner Vergangenheit in
einer ganz andern Lage, als die Meisten, welche ja ihre ver-
kauften Bilder nicht wiedersehn. Dem wahren Künstler müssen
seine Sachen, wie Leonardo schon bemerkt hat, oft zur Qual
1) Palomino, Museo II, 109: ha de ser como el gran Cirujano, que no es
tímido en cortar lo que daña . . . . No le duela el cortar. añadir, ó mudar, lo que
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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/35>, abgerufen am 30.01.2025.
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