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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Die Spinnerinnen.
damen dahin das Geleit gegeben, und den Ablauf ihres Mei-
nungsaustausches über eine ausgestellte Arbeit abzuwarten sich
zurückgezogen hatte, bemerkte er von der Thür aus malerische
Motive in den vor ihm sich bewegenden Gruppen, und so ent-
standen die hilanderas. --

Auch in Madrid gab es damals eine Tapetenweberei. Im
kastilischen Mittelalter waren mehr die bemalten Tücher für den
Wandschmuck üblich, Dokumente über spanische Webereien
sind nur für Navarra und Barcelona aufgefunden worden 1). Je-
denfalls haben seit dem fünfzehnten Jahrhundert die flandrischen
Fabriken die einheimische Industrie gänzlich aus dem Felde ge-
schlagen. Aber schon Philipp II, der auf alle Talente und
Industrien seiner Reiche ein Auge hatte, entdeckte in Sala-
manca einen tapicero, Pedro Gutierrez, den er sofort in Dienst
nahm (1572) 2).

Die erheblichen Summen, welche auf diese Weise ins Aus-
land flossen, mussten den Wunsch erwecken, auch in diesem
Artikel Spanien unabhängig zu machen. Der Herzog von Pas-
trana hatte in dem Städtchen dieses Namens, "in Nacheiferung
der Chinesen und Flamländer" eine Werkstatt (obrage) gegründet,
natürlich mit Hülfe fremder Arbeiter, von deren bei der Fron-
leichnamsprocession des Jahres 1623 ausgestellten Leistungen
Niederländer gesagt hatten, "kein Pinsel der Welt könne sie
übertreffen" 3). Und im Jahre 1625 erscheint jene salmantinische
Fabrik nach der Hauptstadt übergesiedelt. Ein Nachfolger des
Gutierrez, Antonio Ceron hat seit drei Jahren ein Atelier in
Santa Isabel mit vier Webstühlen auf seine Kosten errichtet,
betreibt diese mit acht aus Salamanca mitgebrachten Arbeitern,
und hat acht Lehrlinge gebildet. Sein Gesuch um einen Geld-
zuschuss wird indess abschläglich beschieden, vermuthlich weil
man bereits einem Flamländer Unterstützung gewährt hatte,
Franz Tons in Pastrana.

Wahrscheinlich spielt unsre Scene in einem Raum dieser
Tapetenfabrik von Santa Isabel. Die Anstalt wird als Anfang
einer nationalen Betheiligung an dieser Art Kunstgewerbe in
Madrid beliebt gewesen sein. War doch der Besitz einer Folge
von tapices der Ehrgeiz jedes vornehmen und reichen Hauses.

1) E. Müntz, Histoire generale de la tapisserie. Paris 1884. p. 26.
2) Villaamil, Los tapices de Goya. Madrid 1870. p. XLVI ff.
3) Andres de Almansa y Mendoza, Cartas. Madrid 1886. 198.

Die Spinnerinnen.
damen dahin das Geleit gegeben, und den Ablauf ihres Mei-
nungsaustausches über eine ausgestellte Arbeit abzuwarten sich
zurückgezogen hatte, bemerkte er von der Thür aus malerische
Motive in den vor ihm sich bewegenden Gruppen, und so ent-
standen die hilanderas. —

Auch in Madrid gab es damals eine Tapetenweberei. Im
kastilischen Mittelalter waren mehr die bemalten Tücher für den
Wandschmuck üblich, Dokumente über spanische Webereien
sind nur für Navarra und Barcelona aufgefunden worden 1). Je-
denfalls haben seit dem fünfzehnten Jahrhundert die flandrischen
Fabriken die einheimische Industrie gänzlich aus dem Felde ge-
schlagen. Aber schon Philipp II, der auf alle Talente und
Industrien seiner Reiche ein Auge hatte, entdeckte in Sala-
manca einen tapicero, Pedro Gutierrez, den er sofort in Dienst
nahm (1572) 2).

Die erheblichen Summen, welche auf diese Weise ins Aus-
land flossen, mussten den Wunsch erwecken, auch in diesem
Artikel Spanien unabhängig zu machen. Der Herzog von Pas-
trana hatte in dem Städtchen dieses Namens, „in Nacheiferung
der Chinesen und Flamländer“ eine Werkstatt (obrage) gegründet,
natürlich mit Hülfe fremder Arbeiter, von deren bei der Fron-
leichnamsprocession des Jahres 1623 ausgestellten Leistungen
Niederländer gesagt hatten, „kein Pinsel der Welt könne sie
übertreffen“ 3). Und im Jahre 1625 erscheint jene salmantinische
Fabrik nach der Hauptstadt übergesiedelt. Ein Nachfolger des
Gutierrez, Antonio Ceron hat seit drei Jahren ein Atelier in
Santa Isabel mit vier Webstühlen auf seine Kosten errichtet,
betreibt diese mit acht aus Salamanca mitgebrachten Arbeitern,
und hat acht Lehrlinge gebildet. Sein Gesuch um einen Geld-
zuschuss wird indess abschläglich beschieden, vermuthlich weil
man bereits einem Flamländer Unterstützung gewährt hatte,
Franz Tons in Pastrana.

Wahrscheinlich spielt unsre Scene in einem Raum dieser
Tapetenfabrik von Santa Isabel. Die Anstalt wird als Anfang
einer nationalen Betheiligung an dieser Art Kunstgewerbe in
Madrid beliebt gewesen sein. War doch der Besitz einer Folge
von tapices der Ehrgeiz jedes vornehmen und reichen Hauses.

1) E. Müntz, Histoire générale de la tapisserie. Paris 1884. p. 26.
2) Villaamil, Los tapices de Goya. Madrid 1870. p. XLVI ff.
3) Andrés de Almansa y Mendoza, Cartas. Madrid 1886. 198.
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[327/0349] Die Spinnerinnen. damen dahin das Geleit gegeben, und den Ablauf ihres Mei- nungsaustausches über eine ausgestellte Arbeit abzuwarten sich zurückgezogen hatte, bemerkte er von der Thür aus malerische Motive in den vor ihm sich bewegenden Gruppen, und so ent- standen die hilanderas. — Auch in Madrid gab es damals eine Tapetenweberei. Im kastilischen Mittelalter waren mehr die bemalten Tücher für den Wandschmuck üblich, Dokumente über spanische Webereien sind nur für Navarra und Barcelona aufgefunden worden 1). Je- denfalls haben seit dem fünfzehnten Jahrhundert die flandrischen Fabriken die einheimische Industrie gänzlich aus dem Felde ge- schlagen. Aber schon Philipp II, der auf alle Talente und Industrien seiner Reiche ein Auge hatte, entdeckte in Sala- manca einen tapicero, Pedro Gutierrez, den er sofort in Dienst nahm (1572) 2). Die erheblichen Summen, welche auf diese Weise ins Aus- land flossen, mussten den Wunsch erwecken, auch in diesem Artikel Spanien unabhängig zu machen. Der Herzog von Pas- trana hatte in dem Städtchen dieses Namens, „in Nacheiferung der Chinesen und Flamländer“ eine Werkstatt (obrage) gegründet, natürlich mit Hülfe fremder Arbeiter, von deren bei der Fron- leichnamsprocession des Jahres 1623 ausgestellten Leistungen Niederländer gesagt hatten, „kein Pinsel der Welt könne sie übertreffen“ 3). Und im Jahre 1625 erscheint jene salmantinische Fabrik nach der Hauptstadt übergesiedelt. Ein Nachfolger des Gutierrez, Antonio Ceron hat seit drei Jahren ein Atelier in Santa Isabel mit vier Webstühlen auf seine Kosten errichtet, betreibt diese mit acht aus Salamanca mitgebrachten Arbeitern, und hat acht Lehrlinge gebildet. Sein Gesuch um einen Geld- zuschuss wird indess abschläglich beschieden, vermuthlich weil man bereits einem Flamländer Unterstützung gewährt hatte, Franz Tons in Pastrana. Wahrscheinlich spielt unsre Scene in einem Raum dieser Tapetenfabrik von Santa Isabel. Die Anstalt wird als Anfang einer nationalen Betheiligung an dieser Art Kunstgewerbe in Madrid beliebt gewesen sein. War doch der Besitz einer Folge von tapices der Ehrgeiz jedes vornehmen und reichen Hauses. 1) E. Müntz, Histoire générale de la tapisserie. Paris 1884. p. 26. 2) Villaamil, Los tapices de Goya. Madrid 1870. p. XLVI ff. 3) Andrés de Almansa y Mendoza, Cartas. Madrid 1886. 198.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/349>, abgerufen am 22.11.2024.