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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Siebentes Buch.
in Apsley House (S. 76) und in Lansdowne House (aus der Sammlung
des Friedensfürsten) sind früher für Selbstbildnisse gehalten wor-
den. Das letztere Bild eines jugendlichen Mannes hat eine gewisse
Aehnlichkeit mit ihm, die aber mehr im Blick als in den Formen
liegt. Man vermisst die steile Stirn und den breiten Unterkiefer.
In der Miniatur Sir W. Stirling's, nach der auch der Holzschnitt
in Edwin Stowe's Biographie (1881), hat der Maler mindestens
stark phantasirt.

Endlich sei noch als Kuriosität eine Figur erwähnt, die den
Aposentador mayor bei der Zusammenkunft der Monarchen und
ihrer Minister auf der Fasaneninsel des Bidasoa im Jahre 1660
darstellen soll. Im Saal Louis XIII des Schlosses zu Versailles,
hängt eine Kopie Matthieu's nach dem Original von Le Brun
und van der Meulen (2059). Der Hofmaler Ludwig XIV soll
hier seinen spanischen Kollegen in unmittelbarer Nähe hinter
seinem Gebieter angebracht haben. Aber vergeblich sucht man
nach einem Kopf von entfernter Aehnlichkeit mit dem seinigen.
Die Beschreibung welche den Maler alt, erschöpft, verdüstert
nennt 1), verräth dass man den Don Luis de Haro für Velazquez
genommen hat, in dessen eckigen hagern Zügen man den ge-
alterten, den Keim des Tods bereits in sich bergenden Maler zu
erkennen glaubte.

Die Spinnerinnen

(las hilanderas 2,20 x 2,89)

in der Tapetenfabrik sind vielleicht die letzte grosse Arbeit, zu
der der Schlossmarschall Zeit gefunden hat. Der Gegenstand
stand in gewisser Beziehung zu seinem Amt. Bei Kirchen-
festen und Siegesfeiern, an Familientagen und bei Aufführungen
zu Ehren fremder Gäste, wo nie toros und cannas auf dem Palast-
platz fehlten, wird er dem Oberhoftapezier die aus dem reichen
Vorrath der Guardaropa auszuwählenden Tapisserien angegeben
haben, und wenn sie der Restauration bedürftig waren, auch mit
diesem Beamten in die Fabrik gegangen sein. Man liest wie
der Spiegelsaal, in welchem Philipp IV Grammont empfing, von
Velazquez und diesem tapicero mayor zurecht gemacht wurde
(Palomino III, 348). Eines Tages, als er einer Partie von Hof-

1) vieux et fatigue -- Ch. Blanc; an old and sad-looking man; cadaverous
portrait -- Scott.

Siebentes Buch.
in Apsley House (S. 76) und in Lansdowne House (aus der Sammlung
des Friedensfürsten) sind früher für Selbstbildnisse gehalten wor-
den. Das letztere Bild eines jugendlichen Mannes hat eine gewisse
Aehnlichkeit mit ihm, die aber mehr im Blick als in den Formen
liegt. Man vermisst die steile Stirn und den breiten Unterkiefer.
In der Miniatur Sir W. Stirling’s, nach der auch der Holzschnitt
in Edwin Stowe’s Biographie (1881), hat der Maler mindestens
stark phantasirt.

Endlich sei noch als Kuriosität eine Figur erwähnt, die den
Aposentador mayor bei der Zusammenkunft der Monarchen und
ihrer Minister auf der Fasaneninsel des Bidasoa im Jahre 1660
darstellen soll. Im Saal Louis XIII des Schlosses zu Versailles,
hängt eine Kopie Matthieu’s nach dem Original von Le Brun
und van der Meulen (2059). Der Hofmaler Ludwig XIV soll
hier seinen spanischen Kollegen in unmittelbarer Nähe hinter
seinem Gebieter angebracht haben. Aber vergeblich sucht man
nach einem Kopf von entfernter Aehnlichkeit mit dem seinigen.
Die Beschreibung welche den Maler alt, erschöpft, verdüstert
nennt 1), verräth dass man den Don Luis de Haro für Velazquez
genommen hat, in dessen eckigen hagern Zügen man den ge-
alterten, den Keim des Tods bereits in sich bergenden Maler zu
erkennen glaubte.

Die Spinnerinnen

(las hilanderas 2,20 × 2,89)

in der Tapetenfabrik sind vielleicht die letzte grosse Arbeit, zu
der der Schlossmarschall Zeit gefunden hat. Der Gegenstand
stand in gewisser Beziehung zu seinem Amt. Bei Kirchen-
festen und Siegesfeiern, an Familientagen und bei Aufführungen
zu Ehren fremder Gäste, wo nie toros und cañas auf dem Palast-
platz fehlten, wird er dem Oberhoftapezier die aus dem reichen
Vorrath der Guardaropa auszuwählenden Tapisserien angegeben
haben, und wenn sie der Restauration bedürftig waren, auch mit
diesem Beamten in die Fabrik gegangen sein. Man liest wie
der Spiegelsaal, in welchem Philipp IV Grammont empfing, von
Velazquez und diesem tapicero mayor zurecht gemacht wurde
(Palomino III, 348). Eines Tages, als er einer Partie von Hof-

1) vieux et fatigué — Ch. Blanc; an old and sad-looking man; cadaverous
portrait — Scott.
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[326/0348] Siebentes Buch. in Apsley House (S. 76) und in Lansdowne House (aus der Sammlung des Friedensfürsten) sind früher für Selbstbildnisse gehalten wor- den. Das letztere Bild eines jugendlichen Mannes hat eine gewisse Aehnlichkeit mit ihm, die aber mehr im Blick als in den Formen liegt. Man vermisst die steile Stirn und den breiten Unterkiefer. In der Miniatur Sir W. Stirling’s, nach der auch der Holzschnitt in Edwin Stowe’s Biographie (1881), hat der Maler mindestens stark phantasirt. Endlich sei noch als Kuriosität eine Figur erwähnt, die den Aposentador mayor bei der Zusammenkunft der Monarchen und ihrer Minister auf der Fasaneninsel des Bidasoa im Jahre 1660 darstellen soll. Im Saal Louis XIII des Schlosses zu Versailles, hängt eine Kopie Matthieu’s nach dem Original von Le Brun und van der Meulen (2059). Der Hofmaler Ludwig XIV soll hier seinen spanischen Kollegen in unmittelbarer Nähe hinter seinem Gebieter angebracht haben. Aber vergeblich sucht man nach einem Kopf von entfernter Aehnlichkeit mit dem seinigen. Die Beschreibung welche den Maler alt, erschöpft, verdüstert nennt 1), verräth dass man den Don Luis de Haro für Velazquez genommen hat, in dessen eckigen hagern Zügen man den ge- alterten, den Keim des Tods bereits in sich bergenden Maler zu erkennen glaubte. Die Spinnerinnen (las hilanderas 2,20 × 2,89) in der Tapetenfabrik sind vielleicht die letzte grosse Arbeit, zu der der Schlossmarschall Zeit gefunden hat. Der Gegenstand stand in gewisser Beziehung zu seinem Amt. Bei Kirchen- festen und Siegesfeiern, an Familientagen und bei Aufführungen zu Ehren fremder Gäste, wo nie toros und cañas auf dem Palast- platz fehlten, wird er dem Oberhoftapezier die aus dem reichen Vorrath der Guardaropa auszuwählenden Tapisserien angegeben haben, und wenn sie der Restauration bedürftig waren, auch mit diesem Beamten in die Fabrik gegangen sein. Man liest wie der Spiegelsaal, in welchem Philipp IV Grammont empfing, von Velazquez und diesem tapicero mayor zurecht gemacht wurde (Palomino III, 348). Eines Tages, als er einer Partie von Hof- 1) vieux et fatigué — Ch. Blanc; an old and sad-looking man; cadaverous portrait — Scott.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/348>, abgerufen am 25.11.2024.