Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.Siebentes Buch. nur farblose Dämmerung zu sehn, mit einzelnen Lichtoasen.Beim Verweilen scheint in der Fläche ein geheimnissvolles Leben sich zu regen; das Unbestimmte klärt sich auf, geht auseinander; die Farben kommen hervor; eine Gestalt nach der andern rundet sich, ja einige scheinen sich zu drehen, die Züge, die Augen sich zu bewegen; der goldne Rahmen wird zur Einfassung eines Zauberspiegels, der die Jahrhunderte vernichtet, ein Teleskop für die Zeitferne, das uns das gespensterhafte Treiben der Insassen des alten Schlosses enthüllt. Das Ideal des Historikers ist in diesem Bild That und Wahrheit geworden. Und mit was für Mitteln ist das alles erreicht? Bringt man a besoin d'etre analysee dans ses infiniment petits. On ne juge ce tableau que
par le ridicule de ses personnages; ou n'etudie jamais la qualite de ses tons, de son harmonie generale, de l'air ambiant qui y circule, la maniere dont les gris sont manies; en un mot, la qualite de la peinture, l'audace, la verve et la grande science de l'execution. Au premier abord, les mains paraissent parfaites; mais pour obtenir un pareil resultat a si peu de frais, il faut etre un peintre de premier ordre. P. L. Imbert, L'Espagne. Paris 1875. 213. Siebentes Buch. nur farblose Dämmerung zu sehn, mit einzelnen Lichtoasen.Beim Verweilen scheint in der Fläche ein geheimnissvolles Leben sich zu regen; das Unbestimmte klärt sich auf, geht auseinander; die Farben kommen hervor; eine Gestalt nach der andern rundet sich, ja einige scheinen sich zu drehen, die Züge, die Augen sich zu bewegen; der goldne Rahmen wird zur Einfassung eines Zauberspiegels, der die Jahrhunderte vernichtet, ein Teleskop für die Zeitferne, das uns das gespensterhafte Treiben der Insassen des alten Schlosses enthüllt. Das Ideal des Historikers ist in diesem Bild That und Wahrheit geworden. Und mit was für Mitteln ist das alles erreicht? Bringt man a besoin d’être analysée dans ses infiniment petits. On ne juge ce tableau que
par le ridicule de ses personnages; ou n’étudie jamais la qualité de ses tons, de son harmonie générale, de l’air ambiant qui y circule, la manière dont les gris sont maniés; en un mot, la qualité de la peinture, l’audace, la verve et la grande science de l’exécution. Au premier abord, les mains paraissent parfaites; mais pour obtenir un pareil résultat à si peu de frais, il faut être un peintre de premier ordre. P. L. Imbert, L’Espagne. Paris 1875. 213. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0340" n="318"/><fw place="top" type="header">Siebentes Buch.</fw><lb/> nur farblose Dämmerung zu sehn, mit einzelnen Lichtoasen.<lb/> Beim Verweilen scheint in der Fläche ein geheimnissvolles Leben<lb/> sich zu regen; das Unbestimmte klärt sich auf, geht auseinander;<lb/> die Farben kommen hervor; eine Gestalt nach der andern rundet<lb/> sich, ja einige scheinen sich zu drehen, die Züge, die Augen<lb/> sich zu bewegen; der goldne Rahmen wird zur Einfassung eines<lb/> Zauberspiegels, der die Jahrhunderte vernichtet, ein Teleskop für<lb/> die Zeitferne, das uns das gespensterhafte Treiben der Insassen<lb/> des alten Schlosses enthüllt. Das Ideal des Historikers ist in<lb/> diesem Bild That und Wahrheit geworden.</p><lb/> <p>Und mit was für Mitteln ist das alles erreicht? Bringt man<lb/> das Auge dicht vor die Fläche, so erstaunt man, mit wie ein-<lb/> fachen. Das Bild ist auf grober Leinwand, mit langen Borsten-<lb/> pinseln, breit, wie mit wilder Hast angelegt, — obwol es im Ein-<lb/> druck von allen das ruhigste und mildeste ist. Bei keinem liegen<lb/> die Proceduren so offen zu Tage. Man unterscheidet in den<lb/> Schatten die braunen eingeriebenen Partien der Untermalung;<lb/> die in Mischungen mit weiss darüber gelegten grauen Flächen,<lb/> die bald auf einen Wurf, fett, eckig, formlos aufgesetzten, bald<lb/> weich vertriebenen Lokalfarben und Lichter. Wie immer ist das<lb/> System: ruhige, gleichmässige, mehr neutrale Massen mit einzelnen<lb/> farbigen und lichtstarken Erhöhungen oder Durchbrechungen.<lb/> In solchen breiten, grauen Zügen sind die Gestalten geschaffen,<lb/> und dann ihrem noch dämmerhaften Dasein, oft mit wenigen<lb/> scharfen Strichen, volle körperliche Wirklichkeit und Lebenspuls<lb/> verliehen. Die Lokalfarbe ist zurückgestellt: es wird hauptsäch-<lb/> lich mit Hell und Dunkel gearbeitet; ein gedämpftes grünliches<lb/> Blau, Dunkelgrün, Weiss legt sich leicht darüber, hier und da<lb/> springen kleine rothe Stücke hervor. Das Geheimniss liegt in<lb/> jenen dünnen Farbenschichten, dunkel auf hell, hell auf dunkel,<lb/> unverschmolzen stehen sie, schweben übereinander, die Umrisse<lb/> erhalten durch breite, braune, wie punktirte Pinselzüge einen Schein<lb/> vibrirender Bewegung. — Das ist bald gesagt — die Hauptsache<lb/> sind die Nüancen, welche der Augenblick, das Feuer der mit den<lb/><note xml:id="seg2pn_15_2" prev="#seg2pn_15_1" place="foot" n="1)">a besoin d’être analysée dans ses infiniment petits. On ne juge ce tableau que<lb/> par le ridicule de ses personnages; ou n’étudie jamais la qualité de ses tons, de<lb/> son harmonie générale, de l’air ambiant qui y circule, la manière dont les gris sont<lb/> maniés; en un mot, la qualité de la peinture, l’audace, la verve et la grande science<lb/> de l’exécution. Au premier abord, les mains paraissent parfaites; mais pour obtenir<lb/> un pareil résultat à si peu de frais, il faut être un peintre de premier ordre.<lb/><hi rendition="#i">P. L. Imbert</hi>, L’Espagne. Paris 1875. 213.</note><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [318/0340]
Siebentes Buch.
nur farblose Dämmerung zu sehn, mit einzelnen Lichtoasen.
Beim Verweilen scheint in der Fläche ein geheimnissvolles Leben
sich zu regen; das Unbestimmte klärt sich auf, geht auseinander;
die Farben kommen hervor; eine Gestalt nach der andern rundet
sich, ja einige scheinen sich zu drehen, die Züge, die Augen
sich zu bewegen; der goldne Rahmen wird zur Einfassung eines
Zauberspiegels, der die Jahrhunderte vernichtet, ein Teleskop für
die Zeitferne, das uns das gespensterhafte Treiben der Insassen
des alten Schlosses enthüllt. Das Ideal des Historikers ist in
diesem Bild That und Wahrheit geworden.
Und mit was für Mitteln ist das alles erreicht? Bringt man
das Auge dicht vor die Fläche, so erstaunt man, mit wie ein-
fachen. Das Bild ist auf grober Leinwand, mit langen Borsten-
pinseln, breit, wie mit wilder Hast angelegt, — obwol es im Ein-
druck von allen das ruhigste und mildeste ist. Bei keinem liegen
die Proceduren so offen zu Tage. Man unterscheidet in den
Schatten die braunen eingeriebenen Partien der Untermalung;
die in Mischungen mit weiss darüber gelegten grauen Flächen,
die bald auf einen Wurf, fett, eckig, formlos aufgesetzten, bald
weich vertriebenen Lokalfarben und Lichter. Wie immer ist das
System: ruhige, gleichmässige, mehr neutrale Massen mit einzelnen
farbigen und lichtstarken Erhöhungen oder Durchbrechungen.
In solchen breiten, grauen Zügen sind die Gestalten geschaffen,
und dann ihrem noch dämmerhaften Dasein, oft mit wenigen
scharfen Strichen, volle körperliche Wirklichkeit und Lebenspuls
verliehen. Die Lokalfarbe ist zurückgestellt: es wird hauptsäch-
lich mit Hell und Dunkel gearbeitet; ein gedämpftes grünliches
Blau, Dunkelgrün, Weiss legt sich leicht darüber, hier und da
springen kleine rothe Stücke hervor. Das Geheimniss liegt in
jenen dünnen Farbenschichten, dunkel auf hell, hell auf dunkel,
unverschmolzen stehen sie, schweben übereinander, die Umrisse
erhalten durch breite, braune, wie punktirte Pinselzüge einen Schein
vibrirender Bewegung. — Das ist bald gesagt — die Hauptsache
sind die Nüancen, welche der Augenblick, das Feuer der mit den
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1) a besoin d’être analysée dans ses infiniment petits. On ne juge ce tableau que
par le ridicule de ses personnages; ou n’étudie jamais la qualité de ses tons, de
son harmonie générale, de l’air ambiant qui y circule, la manière dont les gris sont
maniés; en un mot, la qualité de la peinture, l’audace, la verve et la grande science
de l’exécution. Au premier abord, les mains paraissent parfaites; mais pour obtenir
un pareil résultat à si peu de frais, il faut être un peintre de premier ordre.
P. L. Imbert, L’Espagne. Paris 1875. 213.
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