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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Innocenz X.
stich. Dieser hatte in Madrid den grössten Theil der Sammlung
des Ritters d'Azara von den Erben gekauft; nun aber weiss man
aus Ponz, dass dieser Kunstfreund einen Kopf des Pabstes in Rom
entdeckt hatte, den er für eine Studie zum Doriabildniss hielt1).
Die Büste sei von Camail oder einem andern hinzugemalt worden.
In seiner Versteigerung (1810) erreichte es 1050 Francs.

Vor dieser Leinwand bekommt man erst einen Begriff, mit
welcher Gewissenhaftigkeit und Sicherheit das merkwürdige Ant-
litz durchstudirt und durchgearbeitet ist. Die Flächen sind in
der hellen Note des Incarnats pastos hergestellt und dann ein
Carminton mit Freilassung der hohen Lichter darüber lasirt;
auch die kleinen braunen Schatten sind später aufgesetzt.

Ausserdem dürfte die sogenannte Skizze der kaiserlichen
Ermitage2) mit einiger Wahrscheinlichkeit Velazquez selbst zu-
geschrieben werden. Nur wäre es dann keine Skizze, sondern
eine geistreiche eigenhändige Wiederholung. Für eine Skizze
würde er sich, wie Tizian und Rubens, vorbereitender, heller und
gebrochener Farben bedient haben, mosaikartig aneinanderge-
setzt; hier aber hat er, mit dreistem, fettem Pinsel sogleich auf
den letzten Effekt losgearbeitet. Die Skizze ist das erste, der
Auftrag und die Vereinigung der Farben das zweite, die letzten
Retouchen, welche Geist, Physiognomie und Charakter geben,
das letzte. Der Künstler, wenn er sich selbst wiederholt kann,
seines Gegenstandes spielend mächtig, die Vorbereitungen über-
springen; aber wenn man eine solche Arbeit Skizze nennt, so
macht man das letzte zum ersten3).

Eine vortreffliche Kopie von fremder Hand, die beste mir
bekannte des ganzen Doriaporträts, ist die in der Galerie von
Lord Bute in London4). Sie giebt den leuchtenden Purpur, den
Glanz, die Haltung gut wieder, hat ab er nichts von der Hand
und Manier des Velazquez. Die Verlegenheit des Kopisten ver-
räth sich in den Händen, wo er den aphoristischen Dithyrambus
des Spaniers in seine breite Prosa üb ertragen musste. Mit viel

1) Hallo tambien la cabeza de Leon X. que se estima por la primera que
pinto Velazquez para el celebre cuadro etc. Ponz, Viage XIV, 56. 1788. Le Brun,
Recueil de gravures au trait. Paris 1809. II, 21. 26" x 21".
2) Ermitage Nr. 418. 0,49 x 0,41. Aus der Houghton Galerie. In Schwarz-
kunst von Valentin Green 1770.
3) De Piles, Cours de peinture. Paris 1766. p. 227.
4) Catalog von J. P. Richter. Nr. 6. 4' 6" x 3' 9". London 1883.

Innocenz X.
stich. Dieser hatte in Madrid den grössten Theil der Sammlung
des Ritters d’Azara von den Erben gekauft; nun aber weiss man
aus Ponz, dass dieser Kunstfreund einen Kopf des Pabstes in Rom
entdeckt hatte, den er für eine Studie zum Doriabildniss hielt1).
Die Büste sei von Camail oder einem andern hinzugemalt worden.
In seiner Versteigerung (1810) erreichte es 1050 Francs.

Vor dieser Leinwand bekommt man erst einen Begriff, mit
welcher Gewissenhaftigkeit und Sicherheit das merkwürdige Ant-
litz durchstudirt und durchgearbeitet ist. Die Flächen sind in
der hellen Note des Incarnats pastos hergestellt und dann ein
Carminton mit Freilassung der hohen Lichter darüber lasirt;
auch die kleinen braunen Schatten sind später aufgesetzt.

Ausserdem dürfte die sogenannte Skizze der kaiserlichen
Ermitage2) mit einiger Wahrscheinlichkeit Velazquez selbst zu-
geschrieben werden. Nur wäre es dann keine Skizze, sondern
eine geistreiche eigenhändige Wiederholung. Für eine Skizze
würde er sich, wie Tizian und Rubens, vorbereitender, heller und
gebrochener Farben bedient haben, mosaikartig aneinanderge-
setzt; hier aber hat er, mit dreistem, fettem Pinsel sogleich auf
den letzten Effekt losgearbeitet. Die Skizze ist das erste, der
Auftrag und die Vereinigung der Farben das zweite, die letzten
Retouchen, welche Geist, Physiognomie und Charakter geben,
das letzte. Der Künstler, wenn er sich selbst wiederholt kann,
seines Gegenstandes spielend mächtig, die Vorbereitungen über-
springen; aber wenn man eine solche Arbeit Skizze nennt, so
macht man das letzte zum ersten3).

Eine vortreffliche Kopie von fremder Hand, die beste mir
bekannte des ganzen Doriaporträts, ist die in der Galerie von
Lord Bute in London4). Sie giebt den leuchtenden Purpur, den
Glanz, die Haltung gut wieder, hat ab er nichts von der Hand
und Manier des Velazquez. Die Verlegenheit des Kopisten ver-
räth sich in den Händen, wo er den aphoristischen Dithyrambus
des Spaniers in seine breite Prosa üb ertragen musste. Mit viel

1) Halló tambien la cabeza de Leon X. que se estima por la primera que
pintó Velazquez para el célebre cuadro etc. Ponz, Viage XIV, 56. 1788. Le Brun,
Recueil de gravures au trait. Paris 1809. II, 21. 26″ × 21″.
2) Ermitage Nr. 418. 0,49 × 0,41. Aus der Houghton Galerie. In Schwarz-
kunst von Valentin Green 1770.
3) De Piles, Cours de peinture. Paris 1766. p. 227.
4) Catalog von J. P. Richter. Nr. 6. 4' 6″ × 3' 9″. London 1883.
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[191/0211] Innocenz X. stich. Dieser hatte in Madrid den grössten Theil der Sammlung des Ritters d’Azara von den Erben gekauft; nun aber weiss man aus Ponz, dass dieser Kunstfreund einen Kopf des Pabstes in Rom entdeckt hatte, den er für eine Studie zum Doriabildniss hielt 1). Die Büste sei von Camail oder einem andern hinzugemalt worden. In seiner Versteigerung (1810) erreichte es 1050 Francs. Vor dieser Leinwand bekommt man erst einen Begriff, mit welcher Gewissenhaftigkeit und Sicherheit das merkwürdige Ant- litz durchstudirt und durchgearbeitet ist. Die Flächen sind in der hellen Note des Incarnats pastos hergestellt und dann ein Carminton mit Freilassung der hohen Lichter darüber lasirt; auch die kleinen braunen Schatten sind später aufgesetzt. Ausserdem dürfte die sogenannte Skizze der kaiserlichen Ermitage 2) mit einiger Wahrscheinlichkeit Velazquez selbst zu- geschrieben werden. Nur wäre es dann keine Skizze, sondern eine geistreiche eigenhändige Wiederholung. Für eine Skizze würde er sich, wie Tizian und Rubens, vorbereitender, heller und gebrochener Farben bedient haben, mosaikartig aneinanderge- setzt; hier aber hat er, mit dreistem, fettem Pinsel sogleich auf den letzten Effekt losgearbeitet. Die Skizze ist das erste, der Auftrag und die Vereinigung der Farben das zweite, die letzten Retouchen, welche Geist, Physiognomie und Charakter geben, das letzte. Der Künstler, wenn er sich selbst wiederholt kann, seines Gegenstandes spielend mächtig, die Vorbereitungen über- springen; aber wenn man eine solche Arbeit Skizze nennt, so macht man das letzte zum ersten 3). Eine vortreffliche Kopie von fremder Hand, die beste mir bekannte des ganzen Doriaporträts, ist die in der Galerie von Lord Bute in London 4). Sie giebt den leuchtenden Purpur, den Glanz, die Haltung gut wieder, hat ab er nichts von der Hand und Manier des Velazquez. Die Verlegenheit des Kopisten ver- räth sich in den Händen, wo er den aphoristischen Dithyrambus des Spaniers in seine breite Prosa üb ertragen musste. Mit viel 1) Halló tambien la cabeza de Leon X. que se estima por la primera que pintó Velazquez para el célebre cuadro etc. Ponz, Viage XIV, 56. 1788. Le Brun, Recueil de gravures au trait. Paris 1809. II, 21. 26″ × 21″. 2) Ermitage Nr. 418. 0,49 × 0,41. Aus der Houghton Galerie. In Schwarz- kunst von Valentin Green 1770. 3) De Piles, Cours de peinture. Paris 1766. p. 227. 4) Catalog von J. P. Richter. Nr. 6. 4' 6″ × 3' 9″. London 1883.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/211>, abgerufen am 22.11.2024.