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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Sechstes Buch.

Nach dem Originalmodell wurde eine vergoldete Bronze-
gruppe gegossen, die Philipp IV, nachdem man das spanische
Wappen draufgesetzt, zum Geschenk erhielt. Auch das Jugend-
werk des David in der Villa Borghese kam in einem solchen
Modellabguss nach Madrid, ferner eine seiner Studien nach der
Antike: der Kopf Seneca's. Für die Kapelle des Alcazar lieferte
er das grosse Krucifix von Bronze. --

Seitdem war kein Streit mehr darüber, dass Pabstthum und
Bernini unzertrennliche Dinge seien. Wie viel man an seiner
Formensprache aussetzen mag: der Schöpfer der Kolonnaden von
S. Peter hatte jenen Sinn für das räumlich Gewaltige, welches alt-
und neurömischer Geschmack ist; er war der Mann, die ar-
chitektonischen Dekorationen zu erdenken, welche nach dem
Maasse päbstlicher Cerimonien und Repräsentationen zugeschnit-
ten sind.

Bernini war auch der bewundertste Porträtist unter den Bild-
hauern seiner Zeit. Wie gern wüsste man etwas über seine
Begegnung mit Velazquez. Zwei grundverschiedene Naturen,
und doch Kinder derselben Zeit, begrüssten -- und bekompli-
mentirten sich natürlich: der feurige, ehrgeizige Neapolitaner, der
phlegmatische, abgemessene Spanier; dieser ein kühler Beobach-
ter, ablehnend gegen alles was um Beifall buhlt, jener ein Mensch
von glühender Phantasie und ruhelosem Schaffenstrieb, nach
immer neuen unerhörten Effekten trachtend. Man kann sich
vorstellen, wie Bernini jenes Bildniss im Doriapalast in neapoli-
tanischen Hyperbeln erhoben hat, und wie Velazquez zugegeben,
dass das was er vom Porträt sagte, ihm aus der Seele ge-
sprochen sei.

Bernini glaubte nicht, dass es eine Grazie gebe die der
Natur fehle und von der Kunst hinzugethan werden müsse: die
Natur wisse ihren Theilen alle Schönheit zu geben, die ihnen
zukommt: die Frage sei, sie im gegebenen Fall zu erkennen. Er
suchte die jedem eigenthümlichen Eigenschaften herauszufinden,
welche die Natur keinem andern geschenkt hat. Er veran-
lasste sein Modell sich zu bewegen, weil in der Bewegung die
Individualität hervortrete, und weil ein stillstehender sich selbst
nie so ähnlich ist, wie ein wandelnder. Deshalb machte er
mehrere Modelle nach dem Leben; aber wenn er den Marmor
angriff, that er sie beiseite. Sie dienten ihm der Züge Herr zu
werden; bei der Ausführung dünkten sie ihm hinderlich, weil das
Kunstwerk der Wahrheit, nicht dem Modell ähnlich sehn darf.

Sechstes Buch.

Nach dem Originalmodell wurde eine vergoldete Bronze-
gruppe gegossen, die Philipp IV, nachdem man das spanische
Wappen draufgesetzt, zum Geschenk erhielt. Auch das Jugend-
werk des David in der Villa Borghese kam in einem solchen
Modellabguss nach Madrid, ferner eine seiner Studien nach der
Antike: der Kopf Seneca’s. Für die Kapelle des Alcazar lieferte
er das grosse Krucifix von Bronze. —

Seitdem war kein Streit mehr darüber, dass Pabstthum und
Bernini unzertrennliche Dinge seien. Wie viel man an seiner
Formensprache aussetzen mag: der Schöpfer der Kolonnaden von
S. Peter hatte jenen Sinn für das räumlich Gewaltige, welches alt-
und neurömischer Geschmack ist; er war der Mann, die ar-
chitektonischen Dekorationen zu erdenken, welche nach dem
Maasse päbstlicher Cerimonien und Repräsentationen zugeschnit-
ten sind.

Bernini war auch der bewundertste Porträtist unter den Bild-
hauern seiner Zeit. Wie gern wüsste man etwas über seine
Begegnung mit Velazquez. Zwei grundverschiedene Naturen,
und doch Kinder derselben Zeit, begrüssten — und bekompli-
mentirten sich natürlich: der feurige, ehrgeizige Neapolitaner, der
phlegmatische, abgemessene Spanier; dieser ein kühler Beobach-
ter, ablehnend gegen alles was um Beifall buhlt, jener ein Mensch
von glühender Phantasie und ruhelosem Schaffenstrieb, nach
immer neuen unerhörten Effekten trachtend. Man kann sich
vorstellen, wie Bernini jenes Bildniss im Doriapalast in neapoli-
tanischen Hyperbeln erhoben hat, und wie Velazquez zugegeben,
dass das was er vom Porträt sagte, ihm aus der Seele ge-
sprochen sei.

Bernini glaubte nicht, dass es eine Grazie gebe die der
Natur fehle und von der Kunst hinzugethan werden müsse: die
Natur wisse ihren Theilen alle Schönheit zu geben, die ihnen
zukommt: die Frage sei, sie im gegebenen Fall zu erkennen. Er
suchte die jedem eigenthümlichen Eigenschaften herauszufinden,
welche die Natur keinem andern geschenkt hat. Er veran-
lasste sein Modell sich zu bewegen, weil in der Bewegung die
Individualität hervortrete, und weil ein stillstehender sich selbst
nie so ähnlich ist, wie ein wandelnder. Deshalb machte er
mehrere Modelle nach dem Leben; aber wenn er den Marmor
angriff, that er sie beiseite. Sie dienten ihm der Züge Herr zu
werden; bei der Ausführung dünkten sie ihm hinderlich, weil das
Kunstwerk der Wahrheit, nicht dem Modell ähnlich sehn darf.

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[174/0194] Sechstes Buch. Nach dem Originalmodell wurde eine vergoldete Bronze- gruppe gegossen, die Philipp IV, nachdem man das spanische Wappen draufgesetzt, zum Geschenk erhielt. Auch das Jugend- werk des David in der Villa Borghese kam in einem solchen Modellabguss nach Madrid, ferner eine seiner Studien nach der Antike: der Kopf Seneca’s. Für die Kapelle des Alcazar lieferte er das grosse Krucifix von Bronze. — Seitdem war kein Streit mehr darüber, dass Pabstthum und Bernini unzertrennliche Dinge seien. Wie viel man an seiner Formensprache aussetzen mag: der Schöpfer der Kolonnaden von S. Peter hatte jenen Sinn für das räumlich Gewaltige, welches alt- und neurömischer Geschmack ist; er war der Mann, die ar- chitektonischen Dekorationen zu erdenken, welche nach dem Maasse päbstlicher Cerimonien und Repräsentationen zugeschnit- ten sind. Bernini war auch der bewundertste Porträtist unter den Bild- hauern seiner Zeit. Wie gern wüsste man etwas über seine Begegnung mit Velazquez. Zwei grundverschiedene Naturen, und doch Kinder derselben Zeit, begrüssten — und bekompli- mentirten sich natürlich: der feurige, ehrgeizige Neapolitaner, der phlegmatische, abgemessene Spanier; dieser ein kühler Beobach- ter, ablehnend gegen alles was um Beifall buhlt, jener ein Mensch von glühender Phantasie und ruhelosem Schaffenstrieb, nach immer neuen unerhörten Effekten trachtend. Man kann sich vorstellen, wie Bernini jenes Bildniss im Doriapalast in neapoli- tanischen Hyperbeln erhoben hat, und wie Velazquez zugegeben, dass das was er vom Porträt sagte, ihm aus der Seele ge- sprochen sei. Bernini glaubte nicht, dass es eine Grazie gebe die der Natur fehle und von der Kunst hinzugethan werden müsse: die Natur wisse ihren Theilen alle Schönheit zu geben, die ihnen zukommt: die Frage sei, sie im gegebenen Fall zu erkennen. Er suchte die jedem eigenthümlichen Eigenschaften herauszufinden, welche die Natur keinem andern geschenkt hat. Er veran- lasste sein Modell sich zu bewegen, weil in der Bewegung die Individualität hervortrete, und weil ein stillstehender sich selbst nie so ähnlich ist, wie ein wandelnder. Deshalb machte er mehrere Modelle nach dem Leben; aber wenn er den Marmor angriff, that er sie beiseite. Sie dienten ihm der Züge Herr zu werden; bei der Ausführung dünkten sie ihm hinderlich, weil das Kunstwerk der Wahrheit, nicht dem Modell ähnlich sehn darf.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/194>, abgerufen am 27.11.2024.