Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

Sechstes Buch.
verschwunden. Allein seine Gemälde, noch bis 1652 signirt, und
dieser Besuch des Velazquez bezeugen, dass er den Fall seines
Glücks um einige Jahre überlebte. Die Werke aus diesen
Jahren sind von einer Reife der Durchbildung und Tiefe der
Empfindung, die beweisen, dass der Kummer seine Geisteskraft
nicht gelähmt hatte. Der heil. Sebastian im Museum zu Neapel
ist die letzte und geläutertste Wiederholung dieses von ihm oft
dargestellten Stoffs, hier aber wird der Tod zur Verklärung.
In den Hirten des Louvre scheint er einen Trost darin gesucht
zu haben, die Züge der für ihn Verlorenen in der nach oben
blickenden Maria sich noch einmal hervorzurufen. Dann aber
wurde die grosse Kommunion der Apostel in San Martino sein
Schwanengesang. Diess ist seine gestaltenreichste und kunst-
vollste Komposition, ein Werk, in dem die Eindrücke seiner
Jugend von tizianscher Farbenherrlichkeit noch einmal aufleuchten:
ein Ausdruck der nationalen sakramentalen Devotion, in Wahr-
heit und Tiefe der Empfindung, in Würde und Feierlichkeit der
Geberden unerreicht1). ---

Dem unseligen Verhältniss entspross eine Tochter, welcher
der Vater in der Folge durch Vermittlung des Pater Nithard den
Eintritt in das königliche Barfüsserinnenkloster in Madrid ver-
schaffte, wo so viele Damen des habsburgischen Hauses lebten
und starben2).

In jenem Altargemälde von S. Isabel zu Madrid wird Jedem
mit Ribera's Art Vertrauten die Fremdartigkeit des banalen Ge-
sichts der Maria auffallen. Wir wissen aus Palomino (III, 312),
dass es Claudio Coello übermalt hat, weil die Nonnen an der
Porträtähnlichkeit mit des Malers Tochter Aergerniss nahmen.
Nun wird der uns ja auch in Deutschland aus der Dresdener
Magdalena bekannte Kopf der Maria Rosa gewiss keinem Un-
befangenen ein unpassend gewähltes Modell einer Heiligen schei-
nen, ja kaum den Eindruck des Porträtartigen machen. Wie
sollte man also in Madrid nach so vielen Jahren daran Anstoss

1) Beiläufig gibt es wol kaum ein warnenderes Beispiel wie wenig auf
innere Aehnlichkeiten bei der chronologischen Aneinanderreihung der Werke eines
Meisters Verlass ist, als Ribera. Man würde sicher diese venezianisch und lom-
bardisch inspirirten Werke zeitlich zusammenrücken, wenn er nicht die Jahreszahlen
draufgesetzt hätte.
2) Diese Thatsache ist in den nachgelassenen Papieren dieses Jesuiten, jetzt in
der Nationalbibliothek zu Madrid, entdeckt und von P. Lefort in der Gazette des
Beaux-Arts 1882, I. S. 42 f. mitgetheilt worden.

Sechstes Buch.
verschwunden. Allein seine Gemälde, noch bis 1652 signirt, und
dieser Besuch des Velazquez bezeugen, dass er den Fall seines
Glücks um einige Jahre überlebte. Die Werke aus diesen
Jahren sind von einer Reife der Durchbildung und Tiefe der
Empfindung, die beweisen, dass der Kummer seine Geisteskraft
nicht gelähmt hatte. Der heil. Sebastian im Museum zu Neapel
ist die letzte und geläutertste Wiederholung dieses von ihm oft
dargestellten Stoffs, hier aber wird der Tod zur Verklärung.
In den Hirten des Louvre scheint er einen Trost darin gesucht
zu haben, die Züge der für ihn Verlorenen in der nach oben
blickenden Maria sich noch einmal hervorzurufen. Dann aber
wurde die grosse Kommunion der Apostel in San Martino sein
Schwanengesang. Diess ist seine gestaltenreichste und kunst-
vollste Komposition, ein Werk, in dem die Eindrücke seiner
Jugend von tizianscher Farbenherrlichkeit noch einmal aufleuchten:
ein Ausdruck der nationalen sakramentalen Devotion, in Wahr-
heit und Tiefe der Empfindung, in Würde und Feierlichkeit der
Geberden unerreicht1). ---

Dem unseligen Verhältniss entspross eine Tochter, welcher
der Vater in der Folge durch Vermittlung des Pater Nithard den
Eintritt in das königliche Barfüsserinnenkloster in Madrid ver-
schaffte, wo so viele Damen des habsburgischen Hauses lebten
und starben2).

In jenem Altargemälde von S. Isabel zu Madrid wird Jedem
mit Ribera’s Art Vertrauten die Fremdartigkeit des banalen Ge-
sichts der Maria auffallen. Wir wissen aus Palomino (III, 312),
dass es Claudio Coello übermalt hat, weil die Nonnen an der
Porträtähnlichkeit mit des Malers Tochter Aergerniss nahmen.
Nun wird der uns ja auch in Deutschland aus der Dresdener
Magdalena bekannte Kopf der Maria Rosa gewiss keinem Un-
befangenen ein unpassend gewähltes Modell einer Heiligen schei-
nen, ja kaum den Eindruck des Porträtartigen machen. Wie
sollte man also in Madrid nach so vielen Jahren daran Anstoss

1) Beiläufig gibt es wol kaum ein warnenderes Beispiel wie wenig auf
innere Aehnlichkeiten bei der chronologischen Aneinanderreihung der Werke eines
Meisters Verlass ist, als Ribera. Man würde sicher diese venezianisch und lom-
bardisch inspirirten Werke zeitlich zusammenrücken, wenn er nicht die Jahreszahlen
draufgesetzt hätte.
2) Diese Thatsache ist in den nachgelassenen Papieren dieses Jesuiten, jetzt in
der Nationalbibliothek zu Madrid, entdeckt und von P. Lefort in der Gazette des
Beaux-Arts 1882, I. S. 42 f. mitgetheilt worden.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0184" n="164"/><fw place="top" type="header">Sechstes Buch.</fw><lb/>
verschwunden. Allein seine Gemälde, noch bis 1652 signirt, und<lb/>
dieser Besuch des Velazquez bezeugen, dass er den Fall seines<lb/>
Glücks um einige Jahre überlebte. Die Werke aus diesen<lb/>
Jahren sind von einer Reife der Durchbildung und Tiefe der<lb/>
Empfindung, die beweisen, dass der Kummer seine Geisteskraft<lb/>
nicht gelähmt hatte. Der heil. Sebastian im Museum zu Neapel<lb/>
ist die letzte und geläutertste Wiederholung dieses von ihm oft<lb/>
dargestellten Stoffs, hier aber wird der Tod zur Verklärung.<lb/>
In den Hirten des Louvre scheint er einen Trost darin gesucht<lb/>
zu haben, die Züge der für ihn Verlorenen in der nach oben<lb/>
blickenden Maria sich noch einmal hervorzurufen. Dann aber<lb/>
wurde die grosse Kommunion der Apostel in San Martino sein<lb/>
Schwanengesang. Diess ist seine gestaltenreichste und kunst-<lb/>
vollste Komposition, ein Werk, in dem die Eindrücke seiner<lb/>
Jugend von tizianscher Farbenherrlichkeit noch einmal aufleuchten:<lb/>
ein Ausdruck der nationalen sakramentalen Devotion, in Wahr-<lb/>
heit und Tiefe der Empfindung, in Würde und Feierlichkeit der<lb/>
Geberden unerreicht<note place="foot" n="1)">Beiläufig gibt es wol kaum ein warnenderes Beispiel wie wenig auf<lb/>
innere Aehnlichkeiten bei der chronologischen Aneinanderreihung der Werke eines<lb/>
Meisters Verlass ist, als Ribera. Man würde sicher diese venezianisch und lom-<lb/>
bardisch inspirirten Werke zeitlich zusammenrücken, wenn er nicht die Jahreszahlen<lb/>
draufgesetzt hätte.</note>. ---</p><lb/>
          <p>Dem unseligen Verhältniss entspross eine Tochter, welcher<lb/>
der Vater in der Folge durch Vermittlung des Pater Nithard den<lb/>
Eintritt in das königliche Barfüsserinnenkloster in Madrid ver-<lb/>
schaffte, wo so viele Damen des habsburgischen Hauses lebten<lb/>
und starben<note place="foot" n="2)">Diese Thatsache ist in den nachgelassenen Papieren dieses Jesuiten, jetzt in<lb/>
der Nationalbibliothek zu Madrid, entdeckt und von P. Lefort in der Gazette des<lb/>
Beaux-Arts 1882, I. S. 42 f. mitgetheilt worden.</note>.</p><lb/>
          <p>In jenem Altargemälde von S. Isabel zu Madrid wird Jedem<lb/>
mit Ribera&#x2019;s Art Vertrauten die Fremdartigkeit des banalen Ge-<lb/>
sichts der Maria auffallen. Wir wissen aus Palomino (III, 312),<lb/>
dass es Claudio Coello übermalt hat, weil die Nonnen an der<lb/>
Porträtähnlichkeit mit des Malers Tochter Aergerniss nahmen.<lb/>
Nun wird der uns ja auch in Deutschland aus der Dresdener<lb/>
Magdalena bekannte Kopf der Maria Rosa gewiss keinem Un-<lb/>
befangenen ein unpassend gewähltes Modell einer Heiligen schei-<lb/>
nen, ja kaum den Eindruck des Porträtartigen machen. Wie<lb/>
sollte man also in Madrid nach so vielen Jahren daran Anstoss<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[164/0184] Sechstes Buch. verschwunden. Allein seine Gemälde, noch bis 1652 signirt, und dieser Besuch des Velazquez bezeugen, dass er den Fall seines Glücks um einige Jahre überlebte. Die Werke aus diesen Jahren sind von einer Reife der Durchbildung und Tiefe der Empfindung, die beweisen, dass der Kummer seine Geisteskraft nicht gelähmt hatte. Der heil. Sebastian im Museum zu Neapel ist die letzte und geläutertste Wiederholung dieses von ihm oft dargestellten Stoffs, hier aber wird der Tod zur Verklärung. In den Hirten des Louvre scheint er einen Trost darin gesucht zu haben, die Züge der für ihn Verlorenen in der nach oben blickenden Maria sich noch einmal hervorzurufen. Dann aber wurde die grosse Kommunion der Apostel in San Martino sein Schwanengesang. Diess ist seine gestaltenreichste und kunst- vollste Komposition, ein Werk, in dem die Eindrücke seiner Jugend von tizianscher Farbenherrlichkeit noch einmal aufleuchten: ein Ausdruck der nationalen sakramentalen Devotion, in Wahr- heit und Tiefe der Empfindung, in Würde und Feierlichkeit der Geberden unerreicht 1). --- Dem unseligen Verhältniss entspross eine Tochter, welcher der Vater in der Folge durch Vermittlung des Pater Nithard den Eintritt in das königliche Barfüsserinnenkloster in Madrid ver- schaffte, wo so viele Damen des habsburgischen Hauses lebten und starben 2). In jenem Altargemälde von S. Isabel zu Madrid wird Jedem mit Ribera’s Art Vertrauten die Fremdartigkeit des banalen Ge- sichts der Maria auffallen. Wir wissen aus Palomino (III, 312), dass es Claudio Coello übermalt hat, weil die Nonnen an der Porträtähnlichkeit mit des Malers Tochter Aergerniss nahmen. Nun wird der uns ja auch in Deutschland aus der Dresdener Magdalena bekannte Kopf der Maria Rosa gewiss keinem Un- befangenen ein unpassend gewähltes Modell einer Heiligen schei- nen, ja kaum den Eindruck des Porträtartigen machen. Wie sollte man also in Madrid nach so vielen Jahren daran Anstoss 1) Beiläufig gibt es wol kaum ein warnenderes Beispiel wie wenig auf innere Aehnlichkeiten bei der chronologischen Aneinanderreihung der Werke eines Meisters Verlass ist, als Ribera. Man würde sicher diese venezianisch und lom- bardisch inspirirten Werke zeitlich zusammenrücken, wenn er nicht die Jahreszahlen draufgesetzt hätte. 2) Diese Thatsache ist in den nachgelassenen Papieren dieses Jesuiten, jetzt in der Nationalbibliothek zu Madrid, entdeckt und von P. Lefort in der Gazette des Beaux-Arts 1882, I. S. 42 f. mitgetheilt worden.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/184
Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/184>, abgerufen am 04.12.2024.