Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.Fünftes Buch. (lindo muchacho)"1). Das Londoner Gemälde ist freilich in einemZustand, der ein Urtheil schwer macht. Die Figur hat gelitten, noch mehr der Himmel: über dem Bergkamm liegt eine schwere dunkelgrüne Schicht, wie von Uebermalung2); der hellblaue Tages- himmel darüber ist unverändert3). Der kleine Freiersmann. Wo die Hoffnung der Erbfolge 1) Brief des Cardinal-Infanten aus Brüssel vom 26. Mai 1639. Das seinige als Gegengeschenk ist in Arbeit, aber er fürchtet, dass die dortigen Maler ihn nicht so prompt bedienen werden wie Velazquez: los Pintores deste Pays son mas flema- ticos que el Sr. Velazquez. 2) Man hat vermuthet, es sei durch Reynolds' Hände gegangen. S. Athenaeum 1878. I. 56. Das Bildchen in der Galerie zu Gotha (473) ist eine ungenaue kleine Kopie des Pradobilds, nicht aus der Schule, wollig gemalt, die Züge völlig verändert. Solcher "Skizzen" sind im Pradomuseum tausende gemacht worden. 3) In einem Umrisstich des von Le Brun herausgegebenen Recueil de
gravures au trait. Paris 1809 II. Nr. 131 sieht man den Knaben Balthasar im Begriff seine Jagdflinte zu laden. Diess Gemälde erreichte auf der Versteigerung Lapeyriere (1825) tausend Francs. Es kam an Sir W. Knight, Leibarzt Georg IV. Im Mai 1885 sah ich es auf einer Versteigerung von Christie & Manson, wo es auf nur 150 Guineen kam; und im Februar 1888 in der Exhibition of the Old Masters in der Akademie, ausgestellt von S. H. Fraser (56" x 421/2"). An dieser Leinwand ist kein Strich von Velazquez; es ist sogar zweifelhaft ob es eine Kopie, und nicht eine moderne Fälschung ist. Das Motiv der Figur des Knaben, der den Ladstock aus dem Gürtel zieht, ist nicht übel. Aber der Kopf stimmt wenig mit den sonst bekannten; Ton der Ferne und des Himmels, die nichtssagenden Wellencontouren der Berge sind fremdartig; ebenso das flaue Traktament von Ge- sicht und Händen, mit rothen Reflexen. Die sinnlos über alle Theile des Kostüms, sogar die falschen Aermel und den Schoss geklecksten weissen Schlitze verrathen, dass der Maler dergleichen höchstens auf der Bühne gesehn hat. Das beste waren noch die Bäume und Pflanzen des Vordergrunds: der Oelbaum, der Ahorn, von blühendem Gesträuch umwunden. Fünftes Buch. (lindo muchacho)“1). Das Londoner Gemälde ist freilich in einemZustand, der ein Urtheil schwer macht. Die Figur hat gelitten, noch mehr der Himmel: über dem Bergkamm liegt eine schwere dunkelgrüne Schicht, wie von Uebermalung2); der hellblaue Tages- himmel darüber ist unverändert3). Der kleine Freiersmann. Wo die Hoffnung der Erbfolge 1) Brief des Cardinal-Infanten aus Brüssel vom 26. Mai 1639. Das seinige als Gegengeschenk ist in Arbeit, aber er fürchtet, dass die dortigen Maler ihn nicht so prompt bedienen werden wie Velazquez: los Pintores deste Pays son mas flemá- ticos que el Sr. Velazquez. 2) Man hat vermuthet, es sei durch Reynolds’ Hände gegangen. S. Athenæum 1878. I. 56. Das Bildchen in der Galerie zu Gotha (473) ist eine ungenaue kleine Kopie des Pradobilds, nicht aus der Schule, wollig gemalt, die Züge völlig verändert. Solcher „Skizzen“ sind im Pradomuseum tausende gemacht worden. 3) In einem Umrisstich des von Le Brun herausgegebenen Recueil de
gravures au trait. Paris 1809 II. Nr. 131 sieht man den Knaben Balthasar im Begriff seine Jagdflinte zu laden. Diess Gemälde erreichte auf der Versteigerung Lapeyrière (1825) tausend Francs. Es kam an Sir W. Knight, Leibarzt Georg IV. Im Mai 1885 sah ich es auf einer Versteigerung von Christie & Manson, wo es auf nur 150 Guineen kam; und im Februar 1888 in der Exhibition of the Old Masters in der Akademie, ausgestellt von S. H. Fraser (56″ × 42½″). An dieser Leinwand ist kein Strich von Velazquez; es ist sogar zweifelhaft ob es eine Kopie, und nicht eine moderne Fälschung ist. Das Motiv der Figur des Knaben, der den Ladstock aus dem Gürtel zieht, ist nicht übel. Aber der Kopf stimmt wenig mit den sonst bekannten; Ton der Ferne und des Himmels, die nichtssagenden Wellencontouren der Berge sind fremdartig; ebenso das flaue Traktament von Ge- sicht und Händen, mit rothen Reflexen. Die sinnlos über alle Theile des Kostüms, sogar die falschen Aermel und den Schoss geklecksten weissen Schlitze verrathen, dass der Maler dergleichen höchstens auf der Bühne gesehn hat. Das beste waren noch die Bäume und Pflanzen des Vordergrunds: der Oelbaum, der Ahorn, von blühendem Gesträuch umwunden. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0156" n="136"/><fw place="top" type="header">Fünftes Buch.</fw><lb/> (<hi rendition="#i">lindo muchacho</hi>)“<note place="foot" n="1)">Brief des Cardinal-Infanten aus Brüssel vom 26. Mai 1639. Das seinige<lb/> als Gegengeschenk ist in Arbeit, aber er fürchtet, dass die dortigen Maler ihn nicht<lb/> so prompt bedienen werden wie Velazquez: los Pintores deste Pays son mas flemá-<lb/> ticos que el S<hi rendition="#sup">r</hi>. Velazquez.</note>. Das Londoner Gemälde ist freilich in einem<lb/> Zustand, der ein Urtheil schwer macht. Die Figur hat gelitten,<lb/> noch mehr der Himmel: über dem Bergkamm liegt eine schwere<lb/> dunkelgrüne Schicht, wie von Uebermalung<note place="foot" n="2)">Man hat vermuthet, es sei durch Reynolds’ Hände gegangen. S. Athenæum<lb/> 1878. I. 56. Das Bildchen in der Galerie zu Gotha (473) ist eine ungenaue kleine<lb/> Kopie des Pradobilds, nicht aus der Schule, wollig gemalt, die Züge völlig verändert.<lb/> Solcher „Skizzen“ sind im Pradomuseum tausende gemacht worden.</note>; der hellblaue Tages-<lb/> himmel darüber ist unverändert<note place="foot" n="3)">In einem Umrisstich des von Le Brun herausgegebenen Recueil de<lb/> gravures au trait. Paris 1809 II. Nr. 131 sieht man den Knaben Balthasar im<lb/> Begriff seine Jagdflinte zu laden. Diess Gemälde erreichte auf der Versteigerung<lb/> Lapeyrière (1825) tausend Francs. Es kam an Sir W. Knight, Leibarzt Georg IV.<lb/> Im Mai 1885 sah ich es auf einer Versteigerung von Christie & Manson, wo es<lb/> auf nur 150 Guineen kam; und im Februar 1888 in der Exhibition of the Old<lb/> Masters in der Akademie, ausgestellt von S. H. Fraser (56″ × 42½″). An dieser<lb/> Leinwand ist kein Strich von Velazquez; es ist sogar zweifelhaft ob es eine Kopie,<lb/> und nicht eine moderne Fälschung ist. Das Motiv der Figur des Knaben, der den<lb/> Ladstock aus dem Gürtel zieht, ist nicht übel. Aber der Kopf stimmt wenig mit<lb/> den sonst bekannten; Ton der Ferne und des Himmels, die nichtssagenden<lb/> Wellencontouren der Berge sind fremdartig; ebenso das flaue Traktament von Ge-<lb/> sicht und Händen, mit rothen Reflexen. Die sinnlos über alle Theile des Kostüms,<lb/> sogar die falschen Aermel und den Schoss geklecksten weissen Schlitze verrathen,<lb/> dass der Maler dergleichen höchstens auf der Bühne gesehn hat. Das beste waren<lb/> noch die Bäume und Pflanzen des Vordergrunds: der Oelbaum, der Ahorn, von<lb/> blühendem Gesträuch umwunden.</note>.</p><lb/> <p><hi rendition="#i">Der kleine Freiersmann</hi>. Wo die Hoffnung der Erbfolge<lb/> auf zwei Augen steht, denkt man seit dem Tage der Geburt an<lb/> die Wahl der Braut. Als D. Balthasar dem Alter sich näherte,<lb/> in welchem einst sein Vater sich mit Isabella von Bourbon ver-<lb/> mählte, dem zehnten Jahre, wurde sein Bildniss bereits befreun-<lb/> deten Höfen zugesandt. Dann erschien er theils in festlich<lb/> schwarzer Hofgala, theils in kriegerischer Tracht. Merkwürdig<lb/> ist die Verschiedenheit des Ausdrucks. Augenscheinlich waren<lb/> seine Züge nach den Umständen sehr wechselnd. Wenn die<lb/> Uebungen der <hi rendition="#i">gineta</hi>, die Abenteuer in dem Revier des Pardo,<lb/> der ritterliche Staat ihn zu einem kleinen Heldenkind umge-<lb/> wandelt hatten, also dass ein Funke vom Geist des grossen<lb/> Heinrich in ihm aufzuflammen schien, so sank er, wenn man ihn<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [136/0156]
Fünftes Buch.
(lindo muchacho)“ 1). Das Londoner Gemälde ist freilich in einem
Zustand, der ein Urtheil schwer macht. Die Figur hat gelitten,
noch mehr der Himmel: über dem Bergkamm liegt eine schwere
dunkelgrüne Schicht, wie von Uebermalung 2); der hellblaue Tages-
himmel darüber ist unverändert 3).
Der kleine Freiersmann. Wo die Hoffnung der Erbfolge
auf zwei Augen steht, denkt man seit dem Tage der Geburt an
die Wahl der Braut. Als D. Balthasar dem Alter sich näherte,
in welchem einst sein Vater sich mit Isabella von Bourbon ver-
mählte, dem zehnten Jahre, wurde sein Bildniss bereits befreun-
deten Höfen zugesandt. Dann erschien er theils in festlich
schwarzer Hofgala, theils in kriegerischer Tracht. Merkwürdig
ist die Verschiedenheit des Ausdrucks. Augenscheinlich waren
seine Züge nach den Umständen sehr wechselnd. Wenn die
Uebungen der gineta, die Abenteuer in dem Revier des Pardo,
der ritterliche Staat ihn zu einem kleinen Heldenkind umge-
wandelt hatten, also dass ein Funke vom Geist des grossen
Heinrich in ihm aufzuflammen schien, so sank er, wenn man ihn
1) Brief des Cardinal-Infanten aus Brüssel vom 26. Mai 1639. Das seinige
als Gegengeschenk ist in Arbeit, aber er fürchtet, dass die dortigen Maler ihn nicht
so prompt bedienen werden wie Velazquez: los Pintores deste Pays son mas flemá-
ticos que el Sr. Velazquez.
2) Man hat vermuthet, es sei durch Reynolds’ Hände gegangen. S. Athenæum
1878. I. 56. Das Bildchen in der Galerie zu Gotha (473) ist eine ungenaue kleine
Kopie des Pradobilds, nicht aus der Schule, wollig gemalt, die Züge völlig verändert.
Solcher „Skizzen“ sind im Pradomuseum tausende gemacht worden.
3) In einem Umrisstich des von Le Brun herausgegebenen Recueil de
gravures au trait. Paris 1809 II. Nr. 131 sieht man den Knaben Balthasar im
Begriff seine Jagdflinte zu laden. Diess Gemälde erreichte auf der Versteigerung
Lapeyrière (1825) tausend Francs. Es kam an Sir W. Knight, Leibarzt Georg IV.
Im Mai 1885 sah ich es auf einer Versteigerung von Christie & Manson, wo es
auf nur 150 Guineen kam; und im Februar 1888 in der Exhibition of the Old
Masters in der Akademie, ausgestellt von S. H. Fraser (56″ × 42½″). An dieser
Leinwand ist kein Strich von Velazquez; es ist sogar zweifelhaft ob es eine Kopie,
und nicht eine moderne Fälschung ist. Das Motiv der Figur des Knaben, der den
Ladstock aus dem Gürtel zieht, ist nicht übel. Aber der Kopf stimmt wenig mit
den sonst bekannten; Ton der Ferne und des Himmels, die nichtssagenden
Wellencontouren der Berge sind fremdartig; ebenso das flaue Traktament von Ge-
sicht und Händen, mit rothen Reflexen. Die sinnlos über alle Theile des Kostüms,
sogar die falschen Aermel und den Schoss geklecksten weissen Schlitze verrathen,
dass der Maler dergleichen höchstens auf der Bühne gesehn hat. Das beste waren
noch die Bäume und Pflanzen des Vordergrunds: der Oelbaum, der Ahorn, von
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