Velazquez malte den Erben der Guzman in seinem neuen Kleid, die Hand spielend mit dem Schildchen von Alcantara. Aber er war zu stolz um sich Mühe zu geben; er malte nur mit der "Hälfte seines Geistes", ja er zieht etwas den Mantel vors Ge- sicht. Die prachtvolle neue Garderobe machte ein Schüler. Der Parvenu-Geschmack verräth sich in den von dem Meister sonst gemiedenen bunten Farben; nur bei schärferem Zusehn erkennt man doch auch in der widerwilligen Nachlässigkeit die Hand- schrift.
Es ist ein ganz netter schlanker Junge; man ahnt die Schönheit der Mutter: starke gerade Brauen, gutmüthige braune Augen, der Nasenabgang breit, rothe dicke vorstehende Ober- lippe, eine Physiognomie wie man sie an jenen tauben Nüsschen findet, deren Verhängniss ererbter Reichthum ist. Die leere Stirn ist hoch und schmal, der hohe Hinterkopf erinnert an den Alten. Er trägt ein Lederkoller, weite weisse Leinenärmel mit breiten Spitzenmanschetten quellen aus den geschlitzten Aermeln des Wams hervor; rothe Schärpe und Beinkleider, Stulpstiefel mit Kantenbesatz. In der Linken hält er den Hut mit weissen und blauen Straussenfedern. Obwol man von ihm rühmte, dass er das wozu ihn der Zufall erhoben, von Haus aus zu sein ge- schienen, merkt man ihm hier doch das neue Kleid an. Seine Mienen sowenig wie sein Ausdruck sind die des Edelmanns: er blickt halb vergnügt, halb verlegen. Ihn beschattet ein schwerer, blauer und goldgestickter Vorhang.
Waagen fand das Gemälde, wol voreingenommen durch den Namen des Malers, "in wunderbar klarem, warm-bräunlichem Ton meisterhaft und sehr fleissig impastirt". Die schweren braunen Schatten im Gesicht sind ungewöhnlich; die kleinen Hände sind vernachlässigt, die gekrümmte mit dem Ordenszeichen sieht aus wie eine Vogelklaue; die linke ist nur ein Embryo. --
Jene Bildnisse der Dresdener Galerie und der Ermitage vergegenwärtigten uns den Beherrscher der grossen Monarchie in einem bereits umdüsterten Zustand. In einer bei ihm übrigens nicht seltenen Anwandlung von Offenheit sagte er selbst (wie König Richard III There is no creature loves me): "Weder in den Gemächern des Königs noch draussen habe ich irgend Jemanden,
Eccellenza. Brief des modenesischen Residenten Guidi vom März 1643. Es ist wol mehr Vergnügungssucht und Leichtsinn als Gemeinheit. Wo ein glänzendes Haus gemacht wird, muss diese Klasse um jeden Preis dabei sein.
Fünftes Buch.
Velazquez malte den Erben der Guzman in seinem neuen Kleid, die Hand spielend mit dem Schildchen von Alcántara. Aber er war zu stolz um sich Mühe zu geben; er malte nur mit der „Hälfte seines Geistes“, ja er zieht etwas den Mantel vors Ge- sicht. Die prachtvolle neue Garderobe machte ein Schüler. Der Parvenu-Geschmack verräth sich in den von dem Meister sonst gemiedenen bunten Farben; nur bei schärferem Zusehn erkennt man doch auch in der widerwilligen Nachlässigkeit die Hand- schrift.
Es ist ein ganz netter schlanker Junge; man ahnt die Schönheit der Mutter: starke gerade Brauen, gutmüthige braune Augen, der Nasenabgang breit, rothe dicke vorstehende Ober- lippe, eine Physiognomie wie man sie an jenen tauben Nüsschen findet, deren Verhängniss ererbter Reichthum ist. Die leere Stirn ist hoch und schmal, der hohe Hinterkopf erinnert an den Alten. Er trägt ein Lederkoller, weite weisse Leinenärmel mit breiten Spitzenmanschetten quellen aus den geschlitzten Aermeln des Wams hervor; rothe Schärpe und Beinkleider, Stulpstiefel mit Kantenbesatz. In der Linken hält er den Hut mit weissen und blauen Straussenfedern. Obwol man von ihm rühmte, dass er das wozu ihn der Zufall erhoben, von Haus aus zu sein ge- schienen, merkt man ihm hier doch das neue Kleid an. Seine Mienen sowenig wie sein Ausdruck sind die des Edelmanns: er blickt halb vergnügt, halb verlegen. Ihn beschattet ein schwerer, blauer und goldgestickter Vorhang.
Waagen fand das Gemälde, wol voreingenommen durch den Namen des Malers, „in wunderbar klarem, warm-bräunlichem Ton meisterhaft und sehr fleissig impastirt“. Die schweren braunen Schatten im Gesicht sind ungewöhnlich; die kleinen Hände sind vernachlässigt, die gekrümmte mit dem Ordenszeichen sieht aus wie eine Vogelklaue; die linke ist nur ein Embryo. —
Jene Bildnisse der Dresdener Galerie und der Ermitage vergegenwärtigten uns den Beherrscher der grossen Monarchie in einem bereits umdüsterten Zustand. In einer bei ihm übrigens nicht seltenen Anwandlung von Offenheit sagte er selbst (wie König Richard III There is no creature loves me): „Weder in den Gemächern des Königs noch draussen habe ich irgend Jemanden,
Eccellenza. Brief des modenesischen Residenten Guidi vom März 1643. Es ist wol mehr Vergnügungssucht und Leichtsinn als Gemeinheit. Wo ein glänzendes Haus gemacht wird, muss diese Klasse um jeden Preis dabei sein.
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Fünftes Buch.
Velazquez malte den Erben der Guzman in seinem neuen
Kleid, die Hand spielend mit dem Schildchen von Alcántara. Aber
er war zu stolz um sich Mühe zu geben; er malte nur mit der
„Hälfte seines Geistes“, ja er zieht etwas den Mantel vors Ge-
sicht. Die prachtvolle neue Garderobe machte ein Schüler. Der
Parvenu-Geschmack verräth sich in den von dem Meister sonst
gemiedenen bunten Farben; nur bei schärferem Zusehn erkennt
man doch auch in der widerwilligen Nachlässigkeit die Hand-
schrift.
Es ist ein ganz netter schlanker Junge; man ahnt die
Schönheit der Mutter: starke gerade Brauen, gutmüthige braune
Augen, der Nasenabgang breit, rothe dicke vorstehende Ober-
lippe, eine Physiognomie wie man sie an jenen tauben Nüsschen
findet, deren Verhängniss ererbter Reichthum ist. Die leere
Stirn ist hoch und schmal, der hohe Hinterkopf erinnert an den
Alten. Er trägt ein Lederkoller, weite weisse Leinenärmel mit
breiten Spitzenmanschetten quellen aus den geschlitzten Aermeln
des Wams hervor; rothe Schärpe und Beinkleider, Stulpstiefel
mit Kantenbesatz. In der Linken hält er den Hut mit weissen
und blauen Straussenfedern. Obwol man von ihm rühmte, dass
er das wozu ihn der Zufall erhoben, von Haus aus zu sein ge-
schienen, merkt man ihm hier doch das neue Kleid an. Seine
Mienen sowenig wie sein Ausdruck sind die des Edelmanns: er
blickt halb vergnügt, halb verlegen. Ihn beschattet ein schwerer,
blauer und goldgestickter Vorhang.
Waagen fand das Gemälde, wol voreingenommen durch den
Namen des Malers, „in wunderbar klarem, warm-bräunlichem Ton
meisterhaft und sehr fleissig impastirt“. Die schweren braunen
Schatten im Gesicht sind ungewöhnlich; die kleinen Hände sind
vernachlässigt, die gekrümmte mit dem Ordenszeichen sieht aus
wie eine Vogelklaue; die linke ist nur ein Embryo. —
Jene Bildnisse der Dresdener Galerie und der Ermitage
vergegenwärtigten uns den Beherrscher der grossen Monarchie
in einem bereits umdüsterten Zustand. In einer bei ihm übrigens
nicht seltenen Anwandlung von Offenheit sagte er selbst (wie
König Richard III There is no creature loves me): „Weder in den
Gemächern des Königs noch draussen habe ich irgend Jemanden,
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3) Eccellenza. Brief des modenesischen Residenten Guidi vom März 1643. Es ist
wol mehr Vergnügungssucht und Leichtsinn als Gemeinheit. Wo ein glänzendes
Haus gemacht wird, muss diese Klasse um jeden Preis dabei sein.
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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/144>, abgerufen am 04.12.2024.
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