Der noch jugendliche Ritter liegt in einer Grabhöhle auf dem Rücken am Boden, wie die Statue eines Verstorbenen auf dem Monument, schräg nach dem Grunde zu, den Kopf vorn, in einer gleichmässigen, meisterhaft durchgeführten Verkürzung. Die reichen braunen Locken fallen auf den Boden. Er trägt einen Harnisch bis an die Lenden; von da ab schwarze Beinkleider; weisse Strümpfe und schwarze Schuhe. Zur Rechten die Felswand mit Steinplatten; neben dem Kopf zwei Todten- schädel, und einer zu Füssen. Am Zweig des abgestorbenen Baums hängt eine Lampe, deren erloschener Docht verglimmend qualmt. Links sieht man in eine weite Tiefe mit fernen Bergen hinunter. Die Beleuchtung, bei dem jetzigen Zustand des Bildes nicht sicher zu bestimmen, scheint dämmerig. Die breite Rechte ruht auf der Brust, die Linke an der Degenkoppel, der Degen selbst scheint unter dem Rücken zu liegen. Ist er von den Seinigen so auf nacktem Stein unter freiem Himmel ge- bettet worden, oder hat er sich selbst zum Sterben hingelegt? Von einer Wunde ist keine Spur. Das Gesicht ist ein Porträt: sollte Jemand sich in einer weltmüden Anwandlung so haben malen lassen? Die Idee wäre spanisch.
Es ist mir nicht bekannt, ob inzwischen Jemanden gelungen ist, den wahren Urheber dieses merkwürdigen und ergreifenden Bildes zu be- stimmen. "In Spanien, heisst es in jenem Katalog, galt es für ein Bild des Nichts menschlicher Grösse." So hat Valdes Leal, dessen ascetische Stillleben sich auf diese Idee des Desenganno beziehen, in der Caridad zu Sevilla einen Cavalier in ähnlicher Lage nebst einem Bischof im Sarge gemalt im Zustand der Verwesung; aber seine mit anspielungs- reichen Details vollgestopften Bilder, gemalte Traktätchen, sind weit ent- fernt von dem einfach ernsten Stil in dem unser Bild empfunden ist. Mir schien es eher auf die neapolitanische Schule hinzuweisen. Der grünliche Ton der Lichter im Fleisch, das dünne Impasto, die breiten Hände, selbst der Typus mit der Stülpnase lässt an den Cavalier Calabrese denken; die diagonale Lage mit dem Haupt nach vorn, der alte schiefe Baum, die Landschaft an Ribera; die düstre Idee des einsamen Ritters an Salvator und seinen heiligen Wilhelm, der schweren Büssungen und dem Tod selbst in voller Rüstung sich unterzog. Aber für Mattia Preti scheint dieser Ritter zu straff und fein gezeichnet, für Spagnoletto zu dünn gemalt, und in vieler Beziehung zu gut für Salvator Rosa.
Fünftes Buch.
Der noch jugendliche Ritter liegt in einer Grabhöhle auf dem Rücken am Boden, wie die Statue eines Verstorbenen auf dem Monument, schräg nach dem Grunde zu, den Kopf vorn, in einer gleichmässigen, meisterhaft durchgeführten Verkürzung. Die reichen braunen Locken fallen auf den Boden. Er trägt einen Harnisch bis an die Lenden; von da ab schwarze Beinkleider; weisse Strümpfe und schwarze Schuhe. Zur Rechten die Felswand mit Steinplatten; neben dem Kopf zwei Todten- schädel, und einer zu Füssen. Am Zweig des abgestorbenen Baums hängt eine Lampe, deren erloschener Docht verglimmend qualmt. Links sieht man in eine weite Tiefe mit fernen Bergen hinunter. Die Beleuchtung, bei dem jetzigen Zustand des Bildes nicht sicher zu bestimmen, scheint dämmerig. Die breite Rechte ruht auf der Brust, die Linke an der Degenkoppel, der Degen selbst scheint unter dem Rücken zu liegen. Ist er von den Seinigen so auf nacktem Stein unter freiem Himmel ge- bettet worden, oder hat er sich selbst zum Sterben hingelegt? Von einer Wunde ist keine Spur. Das Gesicht ist ein Porträt: sollte Jemand sich in einer weltmüden Anwandlung so haben malen lassen? Die Idee wäre spanisch.
Es ist mir nicht bekannt, ob inzwischen Jemanden gelungen ist, den wahren Urheber dieses merkwürdigen und ergreifenden Bildes zu be- stimmen. „In Spanien, heisst es in jenem Katalog, galt es für ein Bild des Nichts menschlicher Grösse.“ So hat Valdes Leal, dessen ascetische Stillleben sich auf diese Idee des Desengaño beziehen, in der Caridad zu Sevilla einen Cavalier in ähnlicher Lage nebst einem Bischof im Sarge gemalt im Zustand der Verwesung; aber seine mit anspielungs- reichen Details vollgestopften Bilder, gemalte Traktätchen, sind weit ent- fernt von dem einfach ernsten Stil in dem unser Bild empfunden ist. Mir schien es eher auf die neapolitanische Schule hinzuweisen. Der grünliche Ton der Lichter im Fleisch, das dünne Impasto, die breiten Hände, selbst der Typus mit der Stülpnase lässt an den Cavalier Calabrese denken; die diagonale Lage mit dem Haupt nach vorn, der alte schiefe Baum, die Landschaft an Ribera; die düstre Idee des einsamen Ritters an Salvator und seinen heiligen Wilhelm, der schweren Büssungen und dem Tod selbst in voller Rüstung sich unterzog. Aber für Mattia Preti scheint dieser Ritter zu straff und fein gezeichnet, für Spagnoletto zu dünn gemalt, und in vieler Beziehung zu gut für Salvator Rosa.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0106"n="86"/><fwplace="top"type="header">Fünftes Buch.</fw><lb/><p>Der noch jugendliche Ritter liegt in einer Grabhöhle auf dem<lb/>
Rücken am Boden, wie die Statue eines Verstorbenen auf dem Monument,<lb/>
schräg nach dem Grunde zu, den Kopf vorn, in einer gleichmässigen,<lb/>
meisterhaft durchgeführten Verkürzung. Die reichen braunen Locken<lb/>
fallen auf den Boden. Er trägt einen Harnisch bis an die Lenden; von<lb/>
da ab schwarze Beinkleider; weisse Strümpfe und schwarze Schuhe. Zur<lb/>
Rechten die Felswand mit Steinplatten; neben dem Kopf zwei Todten-<lb/>
schädel, und einer zu Füssen. Am Zweig des abgestorbenen Baums hängt<lb/>
eine Lampe, deren erloschener Docht verglimmend qualmt. Links sieht<lb/>
man in eine weite Tiefe mit fernen Bergen hinunter. Die Beleuchtung, bei<lb/>
dem jetzigen Zustand des Bildes nicht sicher zu bestimmen, scheint<lb/>
dämmerig. Die breite Rechte ruht auf der Brust, die Linke an der<lb/>
Degenkoppel, der Degen selbst scheint unter dem Rücken zu liegen.<lb/>
Ist er von den Seinigen so auf nacktem Stein unter freiem Himmel ge-<lb/>
bettet worden, oder hat er sich selbst zum Sterben hingelegt? Von einer<lb/>
Wunde ist keine Spur. Das Gesicht ist ein Porträt: sollte Jemand sich<lb/>
in einer weltmüden Anwandlung so haben malen lassen? Die Idee wäre<lb/>
spanisch.</p><lb/><p>Es ist mir nicht bekannt, ob inzwischen Jemanden gelungen ist, den<lb/>
wahren Urheber dieses merkwürdigen und ergreifenden Bildes zu be-<lb/>
stimmen. „In Spanien, heisst es in jenem Katalog, galt es für ein Bild<lb/>
des Nichts menschlicher Grösse.“ So hat Valdes Leal, dessen ascetische<lb/>
Stillleben sich auf diese Idee des <hirendition="#i">Desengaño</hi> beziehen, in der Caridad<lb/>
zu Sevilla einen Cavalier in ähnlicher Lage nebst einem Bischof im<lb/>
Sarge gemalt im Zustand der Verwesung; aber seine mit anspielungs-<lb/>
reichen Details vollgestopften Bilder, gemalte Traktätchen, sind weit ent-<lb/>
fernt von dem einfach ernsten Stil in dem unser Bild empfunden ist.<lb/>
Mir schien es eher auf die neapolitanische Schule hinzuweisen. Der<lb/>
grünliche Ton der Lichter im Fleisch, das dünne Impasto, die breiten<lb/>
Hände, selbst der Typus mit der Stülpnase lässt an den Cavalier Calabrese<lb/>
denken; die diagonale Lage mit dem Haupt nach vorn, der alte schiefe<lb/>
Baum, die Landschaft an Ribera; die düstre Idee des einsamen Ritters<lb/>
an Salvator und seinen heiligen Wilhelm, der schweren Büssungen und<lb/>
dem Tod selbst in voller Rüstung sich unterzog. Aber für Mattia Preti<lb/>
scheint dieser Ritter zu straff und fein gezeichnet, für Spagnoletto zu<lb/>
dünn gemalt, und in vieler Beziehung zu gut für Salvator Rosa.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div></div></body></text></TEI>
[86/0106]
Fünftes Buch.
Der noch jugendliche Ritter liegt in einer Grabhöhle auf dem
Rücken am Boden, wie die Statue eines Verstorbenen auf dem Monument,
schräg nach dem Grunde zu, den Kopf vorn, in einer gleichmässigen,
meisterhaft durchgeführten Verkürzung. Die reichen braunen Locken
fallen auf den Boden. Er trägt einen Harnisch bis an die Lenden; von
da ab schwarze Beinkleider; weisse Strümpfe und schwarze Schuhe. Zur
Rechten die Felswand mit Steinplatten; neben dem Kopf zwei Todten-
schädel, und einer zu Füssen. Am Zweig des abgestorbenen Baums hängt
eine Lampe, deren erloschener Docht verglimmend qualmt. Links sieht
man in eine weite Tiefe mit fernen Bergen hinunter. Die Beleuchtung, bei
dem jetzigen Zustand des Bildes nicht sicher zu bestimmen, scheint
dämmerig. Die breite Rechte ruht auf der Brust, die Linke an der
Degenkoppel, der Degen selbst scheint unter dem Rücken zu liegen.
Ist er von den Seinigen so auf nacktem Stein unter freiem Himmel ge-
bettet worden, oder hat er sich selbst zum Sterben hingelegt? Von einer
Wunde ist keine Spur. Das Gesicht ist ein Porträt: sollte Jemand sich
in einer weltmüden Anwandlung so haben malen lassen? Die Idee wäre
spanisch.
Es ist mir nicht bekannt, ob inzwischen Jemanden gelungen ist, den
wahren Urheber dieses merkwürdigen und ergreifenden Bildes zu be-
stimmen. „In Spanien, heisst es in jenem Katalog, galt es für ein Bild
des Nichts menschlicher Grösse.“ So hat Valdes Leal, dessen ascetische
Stillleben sich auf diese Idee des Desengaño beziehen, in der Caridad
zu Sevilla einen Cavalier in ähnlicher Lage nebst einem Bischof im
Sarge gemalt im Zustand der Verwesung; aber seine mit anspielungs-
reichen Details vollgestopften Bilder, gemalte Traktätchen, sind weit ent-
fernt von dem einfach ernsten Stil in dem unser Bild empfunden ist.
Mir schien es eher auf die neapolitanische Schule hinzuweisen. Der
grünliche Ton der Lichter im Fleisch, das dünne Impasto, die breiten
Hände, selbst der Typus mit der Stülpnase lässt an den Cavalier Calabrese
denken; die diagonale Lage mit dem Haupt nach vorn, der alte schiefe
Baum, die Landschaft an Ribera; die düstre Idee des einsamen Ritters
an Salvator und seinen heiligen Wilhelm, der schweren Büssungen und
dem Tod selbst in voller Rüstung sich unterzog. Aber für Mattia Preti
scheint dieser Ritter zu straff und fein gezeichnet, für Spagnoletto zu
dünn gemalt, und in vieler Beziehung zu gut für Salvator Rosa.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/106>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.