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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Erstes Buch.
eine blaugestreifte Bouillontasse in der Hand; vor ihm eine Frau
mit dem regungslos blassen Gesicht, dem überwachten Blick der
Krankenwärterin; eine kleine Magd legt Verbandzeug auf den
Teller. Ueber dem Sessel hängt die reiche Offiziersuniform; an
der Wand die als Reliquie aufbewahrten Pfeile, die Insignie.
Durchs offene Fenster sieht man in der Ferne die vorhergegan-
gene grausame Scene. Das Bild erinnert an die wunderlich
trivialen Votivgemälde beglaubigender Wunder, wie man sie bei
Canonisationen in St. Peter aufgehängt sieht. Dennoch fesselt es
durch eine gewisse Wahrheit, wenn auch Wahrheit unterster Ord-
nung, wie eine Ortsgeschichte erzählt mit der treuherzig um-
ständlichen Plattheit des Dorfchronisten1).

Pacheco's Jugend war noch in die Zeit gefallen, wo man
sich mit der "römisch-florentinischen Schule" in Reih und Glied
zu stellen suchte. Er widmete aus der Ferne den grossen
Italienern eine glühende Verehrung, er erzählt, dass er Raphael
"seit seinem zehnten Jahre, in Folge eines geheimen Naturtriebs
stets nachgeahmt habe, unter dem Eindruck seiner herrlichen
Erfindungen und besonders einer getuschten Handzeichnung",
deren glücklicher Besitzer er geworden war2). Sein besonderes
Vorbild war Pablo de Cespedes, wie er selbst, Dichter, Künstler,
Archäolog.

Diese Verehrung, diese Studien waren aber nicht bloss
akademische. Er fühlte von Zeit zu Zeit die Anwandlung, sich
seinen Heroen an die Seite zu stellen, ja ihre Werke in einzel-
nen Punkten zu korrigiren.

Don Fernando de Rivera, Herzog von Alcala, der vielleicht
von dem Palast del Te in Mantua gelesen hatte, vertraute im Jahre
1603 Pacheco eine Deckenmalerei in diesem Geschmack, im Haupt-
geschoss des "Hauses des Pilatus", für tausend Dukaten. Der
Freskotechnik nicht kundig, malte er in Tempera auf Leinwand;
in eine Flächendecoration, Grotesken auf schwarzem Grund, setzte
er Fabeln: fast lauter schwebende und stark verkürzte Figuren in
der Horizontalperspektive. Es waren: die Apotheose des Her-

1) Eine saubere Bleistiftzeichnung zu diesem Bilde befindet sich unter den Hand-
zeichnungen der Biblioteca nacional in Madrid. Hier hat der Patient einen Blick des
Entsetzens: er sieht sich noch auf Erden, nachdem er schon das Zeitliche gesegnet.
Bez. 7 de octubre 1615. Die Heiligenfiguren im Pradomuseum (1608) gehören zu
seinen frostigsten und hölzernsten Arbeiten.
2) Arte de la pintura I, 318 (Libro II, 5) "por oculta fuerza de naturaleza", also
ein Geistesverwandter!

Erstes Buch.
eine blaugestreifte Bouillontasse in der Hand; vor ihm eine Frau
mit dem regungslos blassen Gesicht, dem überwachten Blick der
Krankenwärterin; eine kleine Magd legt Verbandzeug auf den
Teller. Ueber dem Sessel hängt die reiche Offiziersuniform; an
der Wand die als Reliquie aufbewahrten Pfeile, die Insignie.
Durchs offene Fenster sieht man in der Ferne die vorhergegan-
gene grausame Scene. Das Bild erinnert an die wunderlich
trivialen Votivgemälde beglaubigender Wunder, wie man sie bei
Canonisationen in St. Peter aufgehängt sieht. Dennoch fesselt es
durch eine gewisse Wahrheit, wenn auch Wahrheit unterster Ord-
nung, wie eine Ortsgeschichte erzählt mit der treuherzig um-
ständlichen Plattheit des Dorfchronisten1).

Pacheco’s Jugend war noch in die Zeit gefallen, wo man
sich mit der „römisch-florentinischen Schule“ in Reih und Glied
zu stellen suchte. Er widmete aus der Ferne den grossen
Italienern eine glühende Verehrung, er erzählt, dass er Raphael
„seit seinem zehnten Jahre, in Folge eines geheimen Naturtriebs
stets nachgeahmt habe, unter dem Eindruck seiner herrlichen
Erfindungen und besonders einer getuschten Handzeichnung“,
deren glücklicher Besitzer er geworden war2). Sein besonderes
Vorbild war Pablo de Céspedes, wie er selbst, Dichter, Künstler,
Archäolog.

Diese Verehrung, diese Studien waren aber nicht bloss
akademische. Er fühlte von Zeit zu Zeit die Anwandlung, sich
seinen Heroen an die Seite zu stellen, ja ihre Werke in einzel-
nen Punkten zu korrigiren.

Don Fernando de Rivera, Herzog von Alcalá, der vielleicht
von dem Palast del Te in Mantua gelesen hatte, vertraute im Jahre
1603 Pacheco eine Deckenmalerei in diesem Geschmack, im Haupt-
geschoss des „Hauses des Pilatus“, für tausend Dukaten. Der
Freskotechnik nicht kundig, malte er in Tempera auf Leinwand;
in eine Flächendecoration, Grotesken auf schwarzem Grund, setzte
er Fabeln: fast lauter schwebende und stark verkürzte Figuren in
der Horizontalperspektive. Es waren: die Apotheose des Her-

1) Eine saubere Bleistiftzeichnung zu diesem Bilde befindet sich unter den Hand-
zeichnungen der Biblioteca nacional in Madrid. Hier hat der Patient einen Blick des
Entsetzens: er sieht sich noch auf Erden, nachdem er schon das Zeitliche gesegnet.
Bez. 7 de octubre 1615. Die Heiligenfiguren im Pradomuseum (1608) gehören zu
seinen frostigsten und hölzernsten Arbeiten.
2) Arte de la pintura I, 318 (Libro II, 5) „por oculta fuerza de naturaleza“, also
ein Geistesverwandter!
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[66/0086] Erstes Buch. eine blaugestreifte Bouillontasse in der Hand; vor ihm eine Frau mit dem regungslos blassen Gesicht, dem überwachten Blick der Krankenwärterin; eine kleine Magd legt Verbandzeug auf den Teller. Ueber dem Sessel hängt die reiche Offiziersuniform; an der Wand die als Reliquie aufbewahrten Pfeile, die Insignie. Durchs offene Fenster sieht man in der Ferne die vorhergegan- gene grausame Scene. Das Bild erinnert an die wunderlich trivialen Votivgemälde beglaubigender Wunder, wie man sie bei Canonisationen in St. Peter aufgehängt sieht. Dennoch fesselt es durch eine gewisse Wahrheit, wenn auch Wahrheit unterster Ord- nung, wie eine Ortsgeschichte erzählt mit der treuherzig um- ständlichen Plattheit des Dorfchronisten 1). Pacheco’s Jugend war noch in die Zeit gefallen, wo man sich mit der „römisch-florentinischen Schule“ in Reih und Glied zu stellen suchte. Er widmete aus der Ferne den grossen Italienern eine glühende Verehrung, er erzählt, dass er Raphael „seit seinem zehnten Jahre, in Folge eines geheimen Naturtriebs stets nachgeahmt habe, unter dem Eindruck seiner herrlichen Erfindungen und besonders einer getuschten Handzeichnung“, deren glücklicher Besitzer er geworden war 2). Sein besonderes Vorbild war Pablo de Céspedes, wie er selbst, Dichter, Künstler, Archäolog. Diese Verehrung, diese Studien waren aber nicht bloss akademische. Er fühlte von Zeit zu Zeit die Anwandlung, sich seinen Heroen an die Seite zu stellen, ja ihre Werke in einzel- nen Punkten zu korrigiren. Don Fernando de Rivera, Herzog von Alcalá, der vielleicht von dem Palast del Te in Mantua gelesen hatte, vertraute im Jahre 1603 Pacheco eine Deckenmalerei in diesem Geschmack, im Haupt- geschoss des „Hauses des Pilatus“, für tausend Dukaten. Der Freskotechnik nicht kundig, malte er in Tempera auf Leinwand; in eine Flächendecoration, Grotesken auf schwarzem Grund, setzte er Fabeln: fast lauter schwebende und stark verkürzte Figuren in der Horizontalperspektive. Es waren: die Apotheose des Her- 1) Eine saubere Bleistiftzeichnung zu diesem Bilde befindet sich unter den Hand- zeichnungen der Biblioteca nacional in Madrid. Hier hat der Patient einen Blick des Entsetzens: er sieht sich noch auf Erden, nachdem er schon das Zeitliche gesegnet. Bez. 7 de octubre 1615. Die Heiligenfiguren im Pradomuseum (1608) gehören zu seinen frostigsten und hölzernsten Arbeiten. 2) Arte de la pintura I, 318 (Libro II, 5) „por oculta fuerza de naturaleza“, also ein Geistesverwandter!

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/86>, abgerufen am 26.11.2024.