Einige Typen und der tiefe braune Ton der Schatten weisen wieder aut Sebastian del Piombo.
Seine gefeiertste Schöpfung daselbst, Maria den alttestament- lichen Gerechten im Gefängniss des Limbus erscheinend, ist die Bearbeitung einer Vasari'schen Composition, die der Franzose Philipp Thomassin gestochen hat. Der Name La gamba war von dem ausgestreckten Bein des Protoplasten hergenommen; mit wie bescheidenen Proben der neuen Kunst des Nackten konnte man damals Aufsehen machen! Die Körper beider Stammeltern sind allerdings mit weit feinerer und echterer Natürlichkeit gemalt als die Colosse des Aretiners. Eva, eine etwas üppige Blondine, geberdet sich anständiger und geschmackvoller als die seines Vorbildes, welche eine Stiefschwester der Leda und der Nacht Michelangelos ist. Die Kinder sind raphaelisch; die Madonna in den Wolken hat starke correggeske Verkürzungen; ihr dem Adam zugewandter Blick ist jedoch kalt und stolz. In der "Klage" in S. Maria la blanca (1564) ist er bereits ins grausenhaft leere verfallen.
Sein Erfolg dürfte zum Theil darauf beruhen, dass er dem Sinnlichschönen unter mystischen Namen Einlass verschaffte. Seine Geberdensprache und sein Ausdruck ist indess frostig und gemacht, seine Gesichter aus zweiter Hand, seine Compositionen gedrängt. Sein Schüler Villegas, der auch Raphaels Kinder nachahmt (heil. Familie in S. Lorenzo), ist nur ein schwacher Abdruck des Meisters.
Der Leser hat schon errathen, was für Meister er hier vor sich hat. Allgemeine, wolabgemessene Formen, gleichgültige, characterlose Gesichter, Trachten nach Gelegenheiten anatomische Kenntnisse zu zeigen, Verkürzungen, Ausnutzung der Bildfläche, um schwierige Aufgaben der Perspektive zu lösen, völlige Unter- ordnung der Farbe. An vielen ihrer Werke würde man in Italien und den Niederlanden vorbeigehn, und man thut es öfters auch in Spanien, ehe man die Namen ihrer Urheber nachgelesen hat. Es kostet Mühe zu verstehen, was den Zeitgenossen an diesen Wiederherstellern der Malerei so gross erschien, wir ver- gessen die Anstrengungen, welche es ihnen kostete, so lang- weilig zu malen. Nur die Ehrlichkeit im Verhältniss zum Gegen- stand haben sie vor ihren auswärtigen Verwandten voraus.
Man bemerkt auch, dass für fast jedes bedeutende Bild ein italienisches Original aufzuweisen ist, und der Kupferstich, der es nach Spanien verpflanzt hat. Marc Anton und die Ghisi
Erstes Buch.
Einige Typen und der tiefe braune Ton der Schatten weisen wieder aut Sebastian del Piombo.
Seine gefeiertste Schöpfung daselbst, Maria den alttestament- lichen Gerechten im Gefängniss des Limbus erscheinend, ist die Bearbeitung einer Vasari’schen Composition, die der Franzose Philipp Thomassin gestochen hat. Der Name La gamba war von dem ausgestreckten Bein des Protoplasten hergenommen; mit wie bescheidenen Proben der neuen Kunst des Nackten konnte man damals Aufsehen machen! Die Körper beider Stammeltern sind allerdings mit weit feinerer und echterer Natürlichkeit gemalt als die Colosse des Aretiners. Eva, eine etwas üppige Blondine, geberdet sich anständiger und geschmackvoller als die seines Vorbildes, welche eine Stiefschwester der Leda und der Nacht Michelangelos ist. Die Kinder sind raphaelisch; die Madonna in den Wolken hat starke correggeske Verkürzungen; ihr dem Adam zugewandter Blick ist jedoch kalt und stolz. In der „Klage“ in S. Maria la blanca (1564) ist er bereits ins grausenhaft leere verfallen.
Sein Erfolg dürfte zum Theil darauf beruhen, dass er dem Sinnlichschönen unter mystischen Namen Einlass verschaffte. Seine Geberdensprache und sein Ausdruck ist indess frostig und gemacht, seine Gesichter aus zweiter Hand, seine Compositionen gedrängt. Sein Schüler Villegas, der auch Raphaels Kinder nachahmt (heil. Familie in S. Lorenzo), ist nur ein schwacher Abdruck des Meisters.
Der Leser hat schon errathen, was für Meister er hier vor sich hat. Allgemeine, wolabgemessene Formen, gleichgültige, characterlose Gesichter, Trachten nach Gelegenheiten anatomische Kenntnisse zu zeigen, Verkürzungen, Ausnutzung der Bildfläche, um schwierige Aufgaben der Perspektive zu lösen, völlige Unter- ordnung der Farbe. An vielen ihrer Werke würde man in Italien und den Niederlanden vorbeigehn, und man thut es öfters auch in Spanien, ehe man die Namen ihrer Urheber nachgelesen hat. Es kostet Mühe zu verstehen, was den Zeitgenossen an diesen Wiederherstellern der Malerei so gross erschien, wir ver- gessen die Anstrengungen, welche es ihnen kostete, so lang- weilig zu malen. Nur die Ehrlichkeit im Verhältniss zum Gegen- stand haben sie vor ihren auswärtigen Verwandten voraus.
Man bemerkt auch, dass für fast jedes bedeutende Bild ein italienisches Original aufzuweisen ist, und der Kupferstich, der es nach Spanien verpflanzt hat. Marc Anton und die Ghisi
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Erstes Buch.
Einige Typen und der tiefe braune Ton der Schatten weisen
wieder aut Sebastian del Piombo.
Seine gefeiertste Schöpfung daselbst, Maria den alttestament-
lichen Gerechten im Gefängniss des Limbus erscheinend, ist die
Bearbeitung einer Vasari’schen Composition, die der Franzose
Philipp Thomassin gestochen hat. Der Name La gamba war
von dem ausgestreckten Bein des Protoplasten hergenommen;
mit wie bescheidenen Proben der neuen Kunst des Nackten konnte
man damals Aufsehen machen! Die Körper beider Stammeltern
sind allerdings mit weit feinerer und echterer Natürlichkeit gemalt
als die Colosse des Aretiners. Eva, eine etwas üppige Blondine,
geberdet sich anständiger und geschmackvoller als die seines
Vorbildes, welche eine Stiefschwester der Leda und der Nacht
Michelangelos ist. Die Kinder sind raphaelisch; die Madonna
in den Wolken hat starke correggeske Verkürzungen; ihr dem
Adam zugewandter Blick ist jedoch kalt und stolz. In der „Klage“
in S. Maria la blanca (1564) ist er bereits ins grausenhaft leere
verfallen.
Sein Erfolg dürfte zum Theil darauf beruhen, dass er dem
Sinnlichschönen unter mystischen Namen Einlass verschaffte.
Seine Geberdensprache und sein Ausdruck ist indess frostig und
gemacht, seine Gesichter aus zweiter Hand, seine Compositionen
gedrängt. Sein Schüler Villegas, der auch Raphaels Kinder
nachahmt (heil. Familie in S. Lorenzo), ist nur ein schwacher
Abdruck des Meisters.
Der Leser hat schon errathen, was für Meister er hier vor
sich hat. Allgemeine, wolabgemessene Formen, gleichgültige,
characterlose Gesichter, Trachten nach Gelegenheiten anatomische
Kenntnisse zu zeigen, Verkürzungen, Ausnutzung der Bildfläche,
um schwierige Aufgaben der Perspektive zu lösen, völlige Unter-
ordnung der Farbe. An vielen ihrer Werke würde man in
Italien und den Niederlanden vorbeigehn, und man thut es öfters
auch in Spanien, ehe man die Namen ihrer Urheber nachgelesen
hat. Es kostet Mühe zu verstehen, was den Zeitgenossen an
diesen Wiederherstellern der Malerei so gross erschien, wir ver-
gessen die Anstrengungen, welche es ihnen kostete, so lang-
weilig zu malen. Nur die Ehrlichkeit im Verhältniss zum Gegen-
stand haben sie vor ihren auswärtigen Verwandten voraus.
Man bemerkt auch, dass für fast jedes bedeutende Bild ein
italienisches Original aufzuweisen ist, und der Kupferstich, der
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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/68>, abgerufen am 24.11.2024.
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