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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Erstes Buch.
manche seiner "gelehrten Federzeichnungen": keiner hat sich später
in seinen Gemälden so eng an die alten Statuen, besonders in der
Draperie angelehnt. Er war auch Bildhauer, und einige Gestalten
in S. Ana der Triana sind gemalte Marmorbilder. Aber in sei-
nem Meisterwerk, dem Retablo des Mariscal (1553) erkennt man
tiefgehende Studien Raphaels, dessen Linie wenige damals so
nahegekommen sind. Mit einer glücklicheren Natur vor Augen
als Scorel und Orley, konnte er diese römischen Formstudien
durch die Anschauung lebendiger Natur vor seinen Augen, bele-
ben. Diese "Opferung Mariä" in der Kapelle des Mariscal ist
ein Denkmal des die Kunst jener Zeit beherschenden Schön-
heitscultus: ein Garten schlanker, blühender, klassisch vollkom-
mener Gestalten und Köpfe1).

Am treuesten hatte er von der vaterländischen Mitgift die
Bildnisskunst bewahrt. D. Pedro Caballero und die Seinigen in
der Predella, werden noch heute von den Spaniern als Typen des
Adels vom alten kastilischen Schlag bewundert. In Festigkeit der
Linien und der Plastik, in Grösse und Feinheit der Charakteristik
Holbein nahestehend, übertreffen sie weit alles was das Jahrhundert
sonst dort im Bildnissfach hervorgebracht hat. Hier allein ist er
vollkommen befriedigend.

Gleichwol hat er am stärksten zu den Sevillanern gesprochen
durch dasjenige Werk, in dem altflandrische Strenge und michel-
angeleske Formen sich in eigener Weise verschmelzen, der
Kreuzabnahme von Sa. Cruz (1648). Hier ist er mit germanischer
Aneignungsfähigkeit auf die ascetische Empfindungsweise seiner
Nachbarn eingegangen; er ist spanischer als die Spanier.

Von bronzener Schärfe und Härte, von metallisch-düsterem
Schimmer sind die unheimlichen Figuren dieser Tafel, merkwürdig
abstechend von der sonnigen Helle des Mariscalretablos. In
der langsam herabschwebenden Gestalt des Heilandes, der in
grausig zufälliger Aeffung des Lebens Auge, Antlitz und Arme
den Frauen zukehrt, in der zurückgebeugten Mutter, die wie
im Ecce Homo des Correggio von der beginnenden Lähmung er-
griffen scheint, und mit den vor Entsetzen gläsernen Augen das
Todtenantlitz anstarrt, hat Campanna sich an Bedürfnisse religiöser
Aufregung gewandt, von deren Verbreitung die zahlreichen Zerr-
bilder des "göttlichen" Morales ein Zeugniss liefern. Pacheco ge-
stand, dass er sich fürchte mit diesem Bilde im Dunkeln allein

1) Nach Pacheco sagte Vargas: quien quisiere ver pintura de Rafael, vea un
angel que esta en el claustro de S. Pablo, en una Salutacion de Maese Pedro.

Erstes Buch.
manche seiner „gelehrten Federzeichnungen“: keiner hat sich später
in seinen Gemälden so eng an die alten Statuen, besonders in der
Draperie angelehnt. Er war auch Bildhauer, und einige Gestalten
in S. Ana der Triana sind gemalte Marmorbilder. Aber in sei-
nem Meisterwerk, dem Retablo des Mariscal (1553) erkennt man
tiefgehende Studien Raphaels, dessen Linie wenige damals so
nahegekommen sind. Mit einer glücklicheren Natur vor Augen
als Scorel und Orley, konnte er diese römischen Formstudien
durch die Anschauung lebendiger Natur vor seinen Augen, bele-
ben. Diese „Opferung Mariä“ in der Kapelle des Mariscal ist
ein Denkmal des die Kunst jener Zeit beherschenden Schön-
heitscultus: ein Garten schlanker, blühender, klassisch vollkom-
mener Gestalten und Köpfe1).

Am treuesten hatte er von der vaterländischen Mitgift die
Bildnisskunst bewahrt. D. Pedro Caballero und die Seinigen in
der Predella, werden noch heute von den Spaniern als Typen des
Adels vom alten kastilischen Schlag bewundert. In Festigkeit der
Linien und der Plastik, in Grösse und Feinheit der Charakteristik
Holbein nahestehend, übertreffen sie weit alles was das Jahrhundert
sonst dort im Bildnissfach hervorgebracht hat. Hier allein ist er
vollkommen befriedigend.

Gleichwol hat er am stärksten zu den Sevillanern gesprochen
durch dasjenige Werk, in dem altflandrische Strenge und michel-
angeleske Formen sich in eigener Weise verschmelzen, der
Kreuzabnahme von Sa. Cruz (1648). Hier ist er mit germanischer
Aneignungsfähigkeit auf die ascetische Empfindungsweise seiner
Nachbarn eingegangen; er ist spanischer als die Spanier.

Von bronzener Schärfe und Härte, von metallisch-düsterem
Schimmer sind die unheimlichen Figuren dieser Tafel, merkwürdig
abstechend von der sonnigen Helle des Mariscalretablos. In
der langsam herabschwebenden Gestalt des Heilandes, der in
grausig zufälliger Aeffung des Lebens Auge, Antlitz und Arme
den Frauen zukehrt, in der zurückgebeugten Mutter, die wie
im Ecce Homo des Correggio von der beginnenden Lähmung er-
griffen scheint, und mit den vor Entsetzen gläsernen Augen das
Todtenantlitz anstarrt, hat Campaña sich an Bedürfnisse religiöser
Aufregung gewandt, von deren Verbreitung die zahlreichen Zerr-
bilder des „göttlichen“ Morales ein Zeugniss liefern. Pacheco ge-
stand, dass er sich fürchte mit diesem Bilde im Dunkeln allein

1) Nach Pacheco sagte Vargas: quien quisiere ver pintura de Rafael, vea un
ángel que está en el claustro de S. Pablo, en una Salutacion de Maese Pedro.
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[46/0066] Erstes Buch. manche seiner „gelehrten Federzeichnungen“: keiner hat sich später in seinen Gemälden so eng an die alten Statuen, besonders in der Draperie angelehnt. Er war auch Bildhauer, und einige Gestalten in S. Ana der Triana sind gemalte Marmorbilder. Aber in sei- nem Meisterwerk, dem Retablo des Mariscal (1553) erkennt man tiefgehende Studien Raphaels, dessen Linie wenige damals so nahegekommen sind. Mit einer glücklicheren Natur vor Augen als Scorel und Orley, konnte er diese römischen Formstudien durch die Anschauung lebendiger Natur vor seinen Augen, bele- ben. Diese „Opferung Mariä“ in der Kapelle des Mariscal ist ein Denkmal des die Kunst jener Zeit beherschenden Schön- heitscultus: ein Garten schlanker, blühender, klassisch vollkom- mener Gestalten und Köpfe 1). Am treuesten hatte er von der vaterländischen Mitgift die Bildnisskunst bewahrt. D. Pedro Caballero und die Seinigen in der Predella, werden noch heute von den Spaniern als Typen des Adels vom alten kastilischen Schlag bewundert. In Festigkeit der Linien und der Plastik, in Grösse und Feinheit der Charakteristik Holbein nahestehend, übertreffen sie weit alles was das Jahrhundert sonst dort im Bildnissfach hervorgebracht hat. Hier allein ist er vollkommen befriedigend. Gleichwol hat er am stärksten zu den Sevillanern gesprochen durch dasjenige Werk, in dem altflandrische Strenge und michel- angeleske Formen sich in eigener Weise verschmelzen, der Kreuzabnahme von Sa. Cruz (1648). Hier ist er mit germanischer Aneignungsfähigkeit auf die ascetische Empfindungsweise seiner Nachbarn eingegangen; er ist spanischer als die Spanier. Von bronzener Schärfe und Härte, von metallisch-düsterem Schimmer sind die unheimlichen Figuren dieser Tafel, merkwürdig abstechend von der sonnigen Helle des Mariscalretablos. In der langsam herabschwebenden Gestalt des Heilandes, der in grausig zufälliger Aeffung des Lebens Auge, Antlitz und Arme den Frauen zukehrt, in der zurückgebeugten Mutter, die wie im Ecce Homo des Correggio von der beginnenden Lähmung er- griffen scheint, und mit den vor Entsetzen gläsernen Augen das Todtenantlitz anstarrt, hat Campaña sich an Bedürfnisse religiöser Aufregung gewandt, von deren Verbreitung die zahlreichen Zerr- bilder des „göttlichen“ Morales ein Zeugniss liefern. Pacheco ge- stand, dass er sich fürchte mit diesem Bilde im Dunkeln allein 1) Nach Pacheco sagte Vargas: quien quisiere ver pintura de Rafael, vea un ángel que está en el claustro de S. Pablo, en una Salutacion de Maese Pedro.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/66>, abgerufen am 28.11.2024.