Das Studium der Proportionen und des Nackten wurde der Leit- stern der Malerei; man machte die Schönheit zu einer Funktion der Zahlen. Alonso Berruguete hatte die vollkommenen Proportionen der Alten, von zehn Gesichtslängen, aus Italien mitgebracht; er fand anfangs Widerspruch, aber ihm folgte Gaspar Becerra, einst Gehülfe Vasari's in der Cancellerie auf Trinita de' monti, der in Rom die Zeichnungen zu der Anatomie des Dr. Juan de Valverde (1554) angefertigt hatte.
Dies war die Zeit, wo die Spanier nach Rom und Florenz wanderten, und einen Theil ihres Lebens, wohl auch ihr ganzes Leben dort blieben.
"Alle die grossen Männer, schreibt Pacheco (El Arte I. 411 f.), die Spanien in der Bildhauerei und Malerei besessen hat, ein Berruguete, Becerra, Machuca, der Stumme, Meister Campanna, Vargas, der Ruhm unserer Stadt, nachdem sie in unglaublichen Anstrengungen das Beste ihres Lebens in Italien verzehrt, trach- tend mit ihrem mehr als menschlichen Geist ein ewiges Anden- ken von sich zu hinterlassen, wählten den Weg Michelangelo's, Raphael's und deren Schule."
Und Pablo de Cespedes feierte Bonarroti als den neuen Prometheus und verglich ihn mit Pindar; eine Grazie wie die Raphaels sei nie gesehen worden und werde nach seinem Glau- ben auch nie wieder gesehen werden; Correggio scheine seine Gestalten vom Himmel geholt zu haben. "Jeder Pinsel bescheide sich ihm nachzustehn." Freilich nennt er auch die beiden Zuc- cari, seine Meister, "das wahre Archiv des Schatzes dieser Kunst". Aber Michelangelo ist es, der das Rund der Erde erleuchtet hat und die Alten weit übertroffen: er hat den Primat in allen drei Künsten, und wer nicht bei ihm lernt, wird wenig Kraft (nervio) haben und noch weniger Anmuth."
Bei der ersten Einführung des neuen Stils in Sevilla sieht man indess noch mehr Ausländer, und zwar Niederländer, als Einheimische auf dem Schauplatz. Nachdem in der gothischen Zeit Steinmetzen, Glasmaler, Bildschnitzer zur Ausstattung spani- scher Kirchen gekommen waren, folgte jetzt eine Einwande- rung von Malern. Schon vor diesen Romanisten hatten einige Vidrieros die italienische Art sich angeeignet; Arnao de Flan- des und Arnao de Vergara lieferten seit 1534 eine lange Reihe von Jahren durch die grossen Fenster: figurenreiche, pomphafte Compositionen nach italienischen Mustern, in prächtiger plateres- ker Einrahmung; im Lazarus z. B. ist die Benutzung Sebastian del Piombo's zu erkennen.
Erstes Buch.
Das Studium der Proportionen und des Nackten wurde der Leit- stern der Malerei; man machte die Schönheit zu einer Funktion der Zahlen. Alonso Berruguete hatte die vollkommenen Proportionen der Alten, von zehn Gesichtslängen, aus Italien mitgebracht; er fand anfangs Widerspruch, aber ihm folgte Gaspar Becerra, einst Gehülfe Vasari’s in der Cancellerie auf Trinità de’ monti, der in Rom die Zeichnungen zu der Anatomie des Dr. Juan de Valverde (1554) angefertigt hatte.
Dies war die Zeit, wo die Spanier nach Rom und Florenz wanderten, und einen Theil ihres Lebens, wohl auch ihr ganzes Leben dort blieben.
„Alle die grossen Männer, schreibt Pacheco (El Arte I. 411 f.), die Spanien in der Bildhauerei und Malerei besessen hat, ein Berruguete, Becerra, Machuca, der Stumme, Meister Campaña, Vargas, der Ruhm unserer Stadt, nachdem sie in unglaublichen Anstrengungen das Beste ihres Lebens in Italien verzehrt, trach- tend mit ihrem mehr als menschlichen Geist ein ewiges Anden- ken von sich zu hinterlassen, wählten den Weg Michelangelo’s, Raphael’s und deren Schule.“
Und Pablo de Céspedes feierte Bonarroti als den neuen Prometheus und verglich ihn mit Pindar; eine Grazie wie die Raphaels sei nie gesehen worden und werde nach seinem Glau- ben auch nie wieder gesehen werden; Correggio scheine seine Gestalten vom Himmel geholt zu haben. „Jeder Pinsel bescheide sich ihm nachzustehn.“ Freilich nennt er auch die beiden Zuc- cari, seine Meister, „das wahre Archiv des Schatzes dieser Kunst“. Aber Michelangelo ist es, der das Rund der Erde erleuchtet hat und die Alten weit übertroffen: er hat den Primat in allen drei Künsten, und wer nicht bei ihm lernt, wird wenig Kraft (nervio) haben und noch weniger Anmuth.“
Bei der ersten Einführung des neuen Stils in Sevilla sieht man indess noch mehr Ausländer, und zwar Niederländer, als Einheimische auf dem Schauplatz. Nachdem in der gothischen Zeit Steinmetzen, Glasmaler, Bildschnitzer zur Ausstattung spani- scher Kirchen gekommen waren, folgte jetzt eine Einwande- rung von Malern. Schon vor diesen Romanisten hatten einige Vidrieros die italienische Art sich angeeignet; Arnao de Flan- des und Arnao de Vergara lieferten seit 1534 eine lange Reihe von Jahren durch die grossen Fenster: figurenreiche, pomphafte Compositionen nach italienischen Mustern, in prächtiger plateres- ker Einrahmung; im Lazarus z. B. ist die Benutzung Sebastian del Piombo’s zu erkennen.
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[44/0064]
Erstes Buch.
Das Studium der Proportionen und des Nackten wurde der Leit-
stern der Malerei; man machte die Schönheit zu einer Funktion der
Zahlen. Alonso Berruguete hatte die vollkommenen Proportionen
der Alten, von zehn Gesichtslängen, aus Italien mitgebracht; er
fand anfangs Widerspruch, aber ihm folgte Gaspar Becerra, einst
Gehülfe Vasari’s in der Cancellerie auf Trinità de’ monti, der in
Rom die Zeichnungen zu der Anatomie des Dr. Juan de Valverde
(1554) angefertigt hatte.
Dies war die Zeit, wo die Spanier nach Rom und Florenz
wanderten, und einen Theil ihres Lebens, wohl auch ihr ganzes
Leben dort blieben.
„Alle die grossen Männer, schreibt Pacheco (El Arte I. 411 f.),
die Spanien in der Bildhauerei und Malerei besessen hat, ein
Berruguete, Becerra, Machuca, der Stumme, Meister Campaña,
Vargas, der Ruhm unserer Stadt, nachdem sie in unglaublichen
Anstrengungen das Beste ihres Lebens in Italien verzehrt, trach-
tend mit ihrem mehr als menschlichen Geist ein ewiges Anden-
ken von sich zu hinterlassen, wählten den Weg Michelangelo’s,
Raphael’s und deren Schule.“
Und Pablo de Céspedes feierte Bonarroti als den neuen
Prometheus und verglich ihn mit Pindar; eine Grazie wie die
Raphaels sei nie gesehen worden und werde nach seinem Glau-
ben auch nie wieder gesehen werden; Correggio scheine seine
Gestalten vom Himmel geholt zu haben. „Jeder Pinsel bescheide
sich ihm nachzustehn.“ Freilich nennt er auch die beiden Zuc-
cari, seine Meister, „das wahre Archiv des Schatzes dieser Kunst“.
Aber Michelangelo ist es, der das Rund der Erde erleuchtet hat
und die Alten weit übertroffen: er hat den Primat in allen
drei Künsten, und wer nicht bei ihm lernt, wird wenig Kraft
(nervio) haben und noch weniger Anmuth.“
Bei der ersten Einführung des neuen Stils in Sevilla sieht
man indess noch mehr Ausländer, und zwar Niederländer, als
Einheimische auf dem Schauplatz. Nachdem in der gothischen
Zeit Steinmetzen, Glasmaler, Bildschnitzer zur Ausstattung spani-
scher Kirchen gekommen waren, folgte jetzt eine Einwande-
rung von Malern. Schon vor diesen Romanisten hatten einige
Vidrieros die italienische Art sich angeeignet; Arnao de Flan-
des und Arnao de Vergara lieferten seit 1534 eine lange Reihe
von Jahren durch die grossen Fenster: figurenreiche, pomphafte
Compositionen nach italienischen Mustern, in prächtiger plateres-
ker Einrahmung; im Lazarus z. B. ist die Benutzung Sebastian
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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/64>, abgerufen am 24.11.2024.
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