Frühere fanden in ihnen die manera alemana; Deutsche wurden neuerdings durch den grossen Wurf der Gewänder an die florentinische Schule erinnert; jetzt erklärt man dort ihre Ge- stalten für "rein spanisch". Mir schien die Erziehung dieses Fernandez flandrisch. Flandrisch ist die Farbe, der ehrliche An- schluss an die Natur in jedem Stück, schon ohne Kleinlichkeit, aber nicht ohne eine gewisse starre stramme Härte. Das blasse Mädchen mit dem grünen goldgestickten Kopftüchlein (Geburt) scheint aus Antwerpen mitgekommen; die Madonna kann in Zügen, Haltung und Seitenblick ihre Herkunft aus der Schule des Nordens nicht verläugnen. Aber in den geistigen Reibungen jener bunt- gemischten Künstlerkolonie hat der Maler sich dem dortigen Ge- schmack angepasst, und der neuen Welt des Südens mehr und mehr geöffnet. Die Durchblicke gewölbter Hallen, vor denen seine Gestalten sich bewegen, sind im plateresken Stil des Felipe de Bor- gonna, mit maurischen Einzelheiten; die Aussichten in Stadt und Berge sind andalusisch; das Gold verräth den estofador. Bei niedern Personen scheint er zuweilen Modelle des halbafrikani- schen Pöbels der Triana vor sich gehabt zu haben; der heil. Bal- thasar ist ein Emir. Wahrlich, Köpfe von dieser Mannichfaltig- keit ohne Wiederholung, von solcher Kraft, Harmonie und Le- bendigkeit der Physiognomik sind in dem nun folgenden Jahr- hundert der "Wiedergeburt" der Kunst in Sevilla kaum wieder gesehen worden.
In der mit seinem Namen bezeichneten Virgen de la rosa, einer Maria mit dem Kind und anbetenden Engeln im Trascoro von S. Ana in der Triana, ist das flandrische Wesen freilich sehr zurückgetreten. Ein freier, fliessender Linienzug (die schönen Hände!), helle zarte Modellirung im Perlton, ein vornehmer Typus: kleine Stirne, lange gebogene Nase, sehr kleiner Mund, volles Kinn; reiche Brokatgehänge und goldene Gewandsäume. Nicht bloss dieser wegen denkt man an alte Venezianer, wie Carlo Crivelli, nur ist dessen metallische Schärfe mit Weichheit vertauscht. Man steht hier vor einem Räthsel, wie es uns die spanische Kunst jedoch nicht selten aufgiebt. Unter jenem Himmel sind die Wandlungen im Leben des Einzelnen wie zwischen zwei Geschlechtern oft tiefgehend und plötzlich.
Gemälde dieser Art sind aber nicht selten, und vielleicht werden sich einst noch einige als Arbeiten des Fernandez fest- stellen lassen. Die acht Ordensstifter und Kirchenlehrer in S. Benito de Calatrava sind nach demselben System gemalt,
Erstes Buch.
Frühere fanden in ihnen die manera alemana; Deutsche wurden neuerdings durch den grossen Wurf der Gewänder an die florentinische Schule erinnert; jetzt erklärt man dort ihre Ge- stalten für „rein spanisch“. Mir schien die Erziehung dieses Fernandez flandrisch. Flandrisch ist die Farbe, der ehrliche An- schluss an die Natur in jedem Stück, schon ohne Kleinlichkeit, aber nicht ohne eine gewisse starre stramme Härte. Das blasse Mädchen mit dem grünen goldgestickten Kopftüchlein (Geburt) scheint aus Antwerpen mitgekommen; die Madonna kann in Zügen, Haltung und Seitenblick ihre Herkunft aus der Schule des Nordens nicht verläugnen. Aber in den geistigen Reibungen jener bunt- gemischten Künstlerkolonie hat der Maler sich dem dortigen Ge- schmack angepasst, und der neuen Welt des Südens mehr und mehr geöffnet. Die Durchblicke gewölbter Hallen, vor denen seine Gestalten sich bewegen, sind im plateresken Stil des Felipe de Bor- goña, mit maurischen Einzelheiten; die Aussichten in Stadt und Berge sind andalusisch; das Gold verräth den estofador. Bei niedern Personen scheint er zuweilen Modelle des halbafrikani- schen Pöbels der Triana vor sich gehabt zu haben; der heil. Bal- thasar ist ein Emir. Wahrlich, Köpfe von dieser Mannichfaltig- keit ohne Wiederholung, von solcher Kraft, Harmonie und Le- bendigkeit der Physiognomik sind in dem nun folgenden Jahr- hundert der „Wiedergeburt“ der Kunst in Sevilla kaum wieder gesehen worden.
In der mit seinem Namen bezeichneten Virgen de la rosa, einer Maria mit dem Kind und anbetenden Engeln im Trascoro von S. Ana in der Triana, ist das flandrische Wesen freilich sehr zurückgetreten. Ein freier, fliessender Linienzug (die schönen Hände!), helle zarte Modellirung im Perlton, ein vornehmer Typus: kleine Stirne, lange gebogene Nase, sehr kleiner Mund, volles Kinn; reiche Brokatgehänge und goldene Gewandsäume. Nicht bloss dieser wegen denkt man an alte Venezianer, wie Carlo Crivelli, nur ist dessen metallische Schärfe mit Weichheit vertauscht. Man steht hier vor einem Räthsel, wie es uns die spanische Kunst jedoch nicht selten aufgiebt. Unter jenem Himmel sind die Wandlungen im Leben des Einzelnen wie zwischen zwei Geschlechtern oft tiefgehend und plötzlich.
Gemälde dieser Art sind aber nicht selten, und vielleicht werden sich einst noch einige als Arbeiten des Fernandez fest- stellen lassen. Die acht Ordensstifter und Kirchenlehrer in S. Benito de Calatrava sind nach demselben System gemalt,
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Erstes Buch.
Frühere fanden in ihnen die manera alemana; Deutsche
wurden neuerdings durch den grossen Wurf der Gewänder an
die florentinische Schule erinnert; jetzt erklärt man dort ihre Ge-
stalten für „rein spanisch“. Mir schien die Erziehung dieses
Fernandez flandrisch. Flandrisch ist die Farbe, der ehrliche An-
schluss an die Natur in jedem Stück, schon ohne Kleinlichkeit, aber
nicht ohne eine gewisse starre stramme Härte. Das blasse Mädchen
mit dem grünen goldgestickten Kopftüchlein (Geburt) scheint aus
Antwerpen mitgekommen; die Madonna kann in Zügen, Haltung
und Seitenblick ihre Herkunft aus der Schule des Nordens
nicht verläugnen. Aber in den geistigen Reibungen jener bunt-
gemischten Künstlerkolonie hat der Maler sich dem dortigen Ge-
schmack angepasst, und der neuen Welt des Südens mehr und
mehr geöffnet. Die Durchblicke gewölbter Hallen, vor denen seine
Gestalten sich bewegen, sind im plateresken Stil des Felipe de Bor-
goña, mit maurischen Einzelheiten; die Aussichten in Stadt und
Berge sind andalusisch; das Gold verräth den estofador. Bei
niedern Personen scheint er zuweilen Modelle des halbafrikani-
schen Pöbels der Triana vor sich gehabt zu haben; der heil. Bal-
thasar ist ein Emir. Wahrlich, Köpfe von dieser Mannichfaltig-
keit ohne Wiederholung, von solcher Kraft, Harmonie und Le-
bendigkeit der Physiognomik sind in dem nun folgenden Jahr-
hundert der „Wiedergeburt“ der Kunst in Sevilla kaum wieder
gesehen worden.
In der mit seinem Namen bezeichneten Virgen de la rosa,
einer Maria mit dem Kind und anbetenden Engeln im Trascoro
von S. Ana in der Triana, ist das flandrische Wesen freilich sehr
zurückgetreten. Ein freier, fliessender Linienzug (die schönen
Hände!), helle zarte Modellirung im Perlton, ein vornehmer
Typus: kleine Stirne, lange gebogene Nase, sehr kleiner Mund,
volles Kinn; reiche Brokatgehänge und goldene Gewandsäume.
Nicht bloss dieser wegen denkt man an alte Venezianer, wie
Carlo Crivelli, nur ist dessen metallische Schärfe mit Weichheit
vertauscht. Man steht hier vor einem Räthsel, wie es uns die
spanische Kunst jedoch nicht selten aufgiebt. Unter jenem
Himmel sind die Wandlungen im Leben des Einzelnen wie zwischen
zwei Geschlechtern oft tiefgehend und plötzlich.
Gemälde dieser Art sind aber nicht selten, und vielleicht
werden sich einst noch einige als Arbeiten des Fernandez fest-
stellen lassen. Die acht Ordensstifter und Kirchenlehrer in
S. Benito de Calatrava sind nach demselben System gemalt,
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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/60>, abgerufen am 23.11.2024.
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