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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Die mittelalterliche Kunst.
ihnen zu bewundern. So halfen spanische Maler den italienischen
Freskisten in Trinita de' Monti, in der Cancellerie und im Vorsaal
der sixtinischen Kapelle, und man kann keine Spur nationaler Art
in ihrem Antheil entdecken; einige blieben ganz dort, wie Ru-
viales. Die Gemälde der Meister des neuen Stils in Sevilla sind
voll von Entlehnungen und Erinnerungen aus Italien. Wie
Herrera von der hohen Poesie fordert, Ausdrücke, welche dem Ge-
danken einen vertraulichen, gewöhnlichen Ton geben, zu verban-
nen, wie das Spanisch dieser Dichter sich mit fremden, der italieni-
schen und lateinischen Sprache entnommenen Ausdrücken, Wen-
dungen und Wortstellungen füllt: so verschwindet die reiche
Localfarbe der mittelalterlichen Maler, vergebens sucht man
nach Volkstypen und -Geberden, nach örtlich eigenen Motiven
und Tönen: diese Werke könnten eben so gut in Utrecht oder
Florenz gemalt sein. --

Doch in der Jugendzeit des Künstlers, der im folgenden ge-
schildert werden soll, waren diese Sterne des italo-hispanischen Par-
nass schon im Verbleichen begriffen. Ein ganz neuer, im Grunde
aber alter, nationaler Geschmack regte sich. In Calderon's Tagen
galten Sonette schon für altmodisch: er konnte von den "bereits ent-
schlummerten Erinnerungen des Boscan und Garcilaso" sprechen1).

Die mittelalterliche Kunst.

Wer zum erstenmale einen andalusischen Ort betritt, wird
die Empfindung haben, dass ein Wechsel des Schauplatzes statt-
gefunden hat. Das Bild ist farbiger, bewegter, klangvoller, hei-
terer. Hat man denn erst jetzt die Grenzmark Spaniens über-
schritten? Dem unwiderstehlichen Einfluss dieser südlichen Natur
konnten auch die nordspanischen Eroberergeschlechter sich nicht
entziehen. Der Reconquista war die Colonisation (poblacion ist
im Spanischen noch heute die Bezeichnung für Ortschaft) auf dem
Fusse gefolgt; doch brauchte es geraume Zeit, bis das Klima
den Charakter verändert hatte; und noch länger, bis die mit der
Kirche eingeführte Malerei zu einem vollkommenen Werkzeug
südspanischen Wesens umgebildet worden war. Die neuen Herren

1) Que, aunque hoy el dar un soneto
no esta en uso, dispertando
las ya dormidas memorias
del Boscan y Garcilaso. Calderon, Antes que todo es mi dama I.

Die mittelalterliche Kunst.
ihnen zu bewundern. So halfen spanische Maler den italienischen
Freskisten in Trinità de’ Monti, in der Cancellerie und im Vorsaal
der sixtinischen Kapelle, und man kann keine Spur nationaler Art
in ihrem Antheil entdecken; einige blieben ganz dort, wie Ru-
viales. Die Gemälde der Meister des neuen Stils in Sevilla sind
voll von Entlehnungen und Erinnerungen aus Italien. Wie
Herrera von der hohen Poesie fordert, Ausdrücke, welche dem Ge-
danken einen vertraulichen, gewöhnlichen Ton geben, zu verban-
nen, wie das Spanisch dieser Dichter sich mit fremden, der italieni-
schen und lateinischen Sprache entnommenen Ausdrücken, Wen-
dungen und Wortstellungen füllt: so verschwindet die reiche
Localfarbe der mittelalterlichen Maler, vergebens sucht man
nach Volkstypen und -Geberden, nach örtlich eigenen Motiven
und Tönen: diese Werke könnten eben so gut in Utrecht oder
Florenz gemalt sein. —

Doch in der Jugendzeit des Künstlers, der im folgenden ge-
schildert werden soll, waren diese Sterne des italo-hispanischen Par-
nass schon im Verbleichen begriffen. Ein ganz neuer, im Grunde
aber alter, nationaler Geschmack regte sich. In Calderon’s Tagen
galten Sonette schon für altmodisch: er konnte von den „bereits ent-
schlummerten Erinnerungen des Boscan und Garcilaso“ sprechen1).

Die mittelalterliche Kunst.

Wer zum erstenmale einen andalusischen Ort betritt, wird
die Empfindung haben, dass ein Wechsel des Schauplatzes statt-
gefunden hat. Das Bild ist farbiger, bewegter, klangvoller, hei-
terer. Hat man denn erst jetzt die Grenzmark Spaniens über-
schritten? Dem unwiderstehlichen Einfluss dieser südlichen Natur
konnten auch die nordspanischen Eroberergeschlechter sich nicht
entziehen. Der Reconquista war die Colonisation (poblacion ist
im Spanischen noch heute die Bezeichnung für Ortschaft) auf dem
Fusse gefolgt; doch brauchte es geraume Zeit, bis das Klima
den Charakter verändert hatte; und noch länger, bis die mit der
Kirche eingeführte Malerei zu einem vollkommenen Werkzeug
südspanischen Wesens umgebildet worden war. Die neuen Herren

1) Que, aunque hoy el dar un soneto
no está en uso, dispertando
las ya dormidas memorias
del Boscan y Garcilaso. Calderon, Antes que todo es mi dama I.
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[35/0055] Die mittelalterliche Kunst. ihnen zu bewundern. So halfen spanische Maler den italienischen Freskisten in Trinità de’ Monti, in der Cancellerie und im Vorsaal der sixtinischen Kapelle, und man kann keine Spur nationaler Art in ihrem Antheil entdecken; einige blieben ganz dort, wie Ru- viales. Die Gemälde der Meister des neuen Stils in Sevilla sind voll von Entlehnungen und Erinnerungen aus Italien. Wie Herrera von der hohen Poesie fordert, Ausdrücke, welche dem Ge- danken einen vertraulichen, gewöhnlichen Ton geben, zu verban- nen, wie das Spanisch dieser Dichter sich mit fremden, der italieni- schen und lateinischen Sprache entnommenen Ausdrücken, Wen- dungen und Wortstellungen füllt: so verschwindet die reiche Localfarbe der mittelalterlichen Maler, vergebens sucht man nach Volkstypen und -Geberden, nach örtlich eigenen Motiven und Tönen: diese Werke könnten eben so gut in Utrecht oder Florenz gemalt sein. — Doch in der Jugendzeit des Künstlers, der im folgenden ge- schildert werden soll, waren diese Sterne des italo-hispanischen Par- nass schon im Verbleichen begriffen. Ein ganz neuer, im Grunde aber alter, nationaler Geschmack regte sich. In Calderon’s Tagen galten Sonette schon für altmodisch: er konnte von den „bereits ent- schlummerten Erinnerungen des Boscan und Garcilaso“ sprechen 1). Die mittelalterliche Kunst. Wer zum erstenmale einen andalusischen Ort betritt, wird die Empfindung haben, dass ein Wechsel des Schauplatzes statt- gefunden hat. Das Bild ist farbiger, bewegter, klangvoller, hei- terer. Hat man denn erst jetzt die Grenzmark Spaniens über- schritten? Dem unwiderstehlichen Einfluss dieser südlichen Natur konnten auch die nordspanischen Eroberergeschlechter sich nicht entziehen. Der Reconquista war die Colonisation (poblacion ist im Spanischen noch heute die Bezeichnung für Ortschaft) auf dem Fusse gefolgt; doch brauchte es geraume Zeit, bis das Klima den Charakter verändert hatte; und noch länger, bis die mit der Kirche eingeführte Malerei zu einem vollkommenen Werkzeug südspanischen Wesens umgebildet worden war. Die neuen Herren 1) Que, aunque hoy el dar un soneto no está en uso, dispertando las ya dormidas memorias del Boscan y Garcilaso. Calderon, Antes que todo es mi dama I.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/55>, abgerufen am 23.11.2024.