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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Viertes Buch.
dabei ein recht katholischer Maler sein könne nach hispanischer
Facon, so möge er sich den Spagnoletto ansehn.

Dass diess ungefähr seine Rathschläge waren, zeigt der
Erfolg. Als er wieder zu Hause war, sah er plötzlich Bilder,
wo er bisher keine geahnt hatte. Das Werk, welches Murillo
gleich nach der Rückkehr übernahm, sind die Minoritengeschichten
im kleinen Klosterhof von S. Francisco, die Wunder des heil.
Diego von Alcala, der einst auf Philipp II Betrieb kanonisirt
worden war. In diesen elf, nun in alle Länder, ja Welttheile
zerstreuten Bildern1) sah man die Bettler und Bettelmönche, die
Strassenkinder, die Dons und die Kleriker von Sevilla, ohne
jede fremden Brillengläser. Da wird aus einem Küchenstück die
Ekstase eines Heiligen gemacht; aus einem Schwarm von Bettler-
modellen nach dem Muster der Lazzaroni Riberas jene Armen-
mahlzeit, wo S. Diego das gracias "auf seine Rechnung nimmt".
Seinen Läusejungen im Louvre könnte man, wäre er etwas
magerer gemalt, für eine Figur des Velazquez halten, in der
"Anbetung der Hirten" traf er mit dem Valencianer zusammen.
"Seine Nachbarn, lesen wir, wussten nicht, woher er diesen neuen,
meisterlichen und unbekannten Stil habe". Aber es fiel ihnen
nicht ein, dass er eine auswärtige Akademie besucht habe. "Sie
meinten, er habe sich zwei Jahre lang zu Hause eingeschlossen
und nach dem Leben studirt, so habe er diese Geschicklichkeit
erlangt." Auch die ältern Schriftsteller, die ihn noch erlebt hatten,
wie Palomino, der ihn gesehn, wenn auch nicht gesprochen hatte,
urtheilten so. Dieser sagt, er habe in Madrid die Natur studirt,
und nennt ihn neben Caravaggio als Beispiel, wie man ohne be-
deutende Lehrmeister und ohne Vorbilder ein grosser Maler wer-
den könne: durch das Studium der Natur, freilich unterstützt
von einem hohen Genie und natürlichem Geschmack. Nur einige
unbedeutende Elemente (ligeros principios) und was das blosse
Auge den Werken der Alten absehn konnte, verdankte er andern2).


1) Die frühste Erwähnung dieses Cyklus findet sich in dem Tagebuch des
kaiserlichen Gesandten und Gemäldeliebhabers, Grafen Ferdinand Bonaventura von
Harrach, der auch der erste Nichtspanier ist, der Murillo's Namen nennt. Er war
im August 1677 in Sevilla. "In einem kleinen Gang haben sie mir gewisse Bilder
von einem Maller Morillo genannt gezeigt, so noch hier lebt, vndt seindt gar guet."
Auch die Gemälde in der Caridad sah er, sie haben ihm "sehr woll gefallen"
(21. und 22. August).
2) Palomino, Museo pictorico II, 62. Se vino a Madrid, donde frequento el
estudio de el natural.

Viertes Buch.
dabei ein recht katholischer Maler sein könne nach hispanischer
Façon, so möge er sich den Spagnoletto ansehn.

Dass diess ungefähr seine Rathschläge waren, zeigt der
Erfolg. Als er wieder zu Hause war, sah er plötzlich Bilder,
wo er bisher keine geahnt hatte. Das Werk, welches Murillo
gleich nach der Rückkehr übernahm, sind die Minoritengeschichten
im kleinen Klosterhof von S. Francisco, die Wunder des heil.
Diego von Alcalá, der einst auf Philipp II Betrieb kanonisirt
worden war. In diesen elf, nun in alle Länder, ja Welttheile
zerstreuten Bildern1) sah man die Bettler und Bettelmönche, die
Strassenkinder, die Dons und die Kleriker von Sevilla, ohne
jede fremden Brillengläser. Da wird aus einem Küchenstück die
Ekstase eines Heiligen gemacht; aus einem Schwarm von Bettler-
modellen nach dem Muster der Lazzaroni Riberas jene Armen-
mahlzeit, wo S. Diego das gracias „auf seine Rechnung nimmt“.
Seinen Läusejungen im Louvre könnte man, wäre er etwas
magerer gemalt, für eine Figur des Velazquez halten, in der
„Anbetung der Hirten“ traf er mit dem Valencianer zusammen.
„Seine Nachbarn, lesen wir, wussten nicht, woher er diesen neuen,
meisterlichen und unbekannten Stil habe“. Aber es fiel ihnen
nicht ein, dass er eine auswärtige Akademie besucht habe. „Sie
meinten, er habe sich zwei Jahre lang zu Hause eingeschlossen
und nach dem Leben studirt, so habe er diese Geschicklichkeit
erlangt.“ Auch die ältern Schriftsteller, die ihn noch erlebt hatten,
wie Palomino, der ihn gesehn, wenn auch nicht gesprochen hatte,
urtheilten so. Dieser sagt, er habe in Madrid die Natur studirt,
und nennt ihn neben Caravaggio als Beispiel, wie man ohne be-
deutende Lehrmeister und ohne Vorbilder ein grosser Maler wer-
den könne: durch das Studium der Natur, freilich unterstützt
von einem hohen Genie und natürlichem Geschmack. Nur einige
unbedeutende Elemente (ligeros principios) und was das blosse
Auge den Werken der Alten absehn konnte, verdankte er andern2).


1) Die frühste Erwähnung dieses Cyklus findet sich in dem Tagebuch des
kaiserlichen Gesandten und Gemäldeliebhabers, Grafen Ferdinand Bonaventura von
Harrach, der auch der erste Nichtspanier ist, der Murillo’s Namen nennt. Er war
im August 1677 in Sevilla. „In einem kleinen Gang haben sie mir gewisse Bilder
von einem Maller Morillo genannt gezeigt, so noch hier lebt, vndt seindt gar guet.“
Auch die Gemälde in der Caridad sah er, sie haben ihm „sehr woll gefallen“
(21. und 22. August).
2) Palomino, Museo pictórico II, 62. Se vino á Madrid, donde frequentó el
estudio de el natural.
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[410/0438] Viertes Buch. dabei ein recht katholischer Maler sein könne nach hispanischer Façon, so möge er sich den Spagnoletto ansehn. Dass diess ungefähr seine Rathschläge waren, zeigt der Erfolg. Als er wieder zu Hause war, sah er plötzlich Bilder, wo er bisher keine geahnt hatte. Das Werk, welches Murillo gleich nach der Rückkehr übernahm, sind die Minoritengeschichten im kleinen Klosterhof von S. Francisco, die Wunder des heil. Diego von Alcalá, der einst auf Philipp II Betrieb kanonisirt worden war. In diesen elf, nun in alle Länder, ja Welttheile zerstreuten Bildern 1) sah man die Bettler und Bettelmönche, die Strassenkinder, die Dons und die Kleriker von Sevilla, ohne jede fremden Brillengläser. Da wird aus einem Küchenstück die Ekstase eines Heiligen gemacht; aus einem Schwarm von Bettler- modellen nach dem Muster der Lazzaroni Riberas jene Armen- mahlzeit, wo S. Diego das gracias „auf seine Rechnung nimmt“. Seinen Läusejungen im Louvre könnte man, wäre er etwas magerer gemalt, für eine Figur des Velazquez halten, in der „Anbetung der Hirten“ traf er mit dem Valencianer zusammen. „Seine Nachbarn, lesen wir, wussten nicht, woher er diesen neuen, meisterlichen und unbekannten Stil habe“. Aber es fiel ihnen nicht ein, dass er eine auswärtige Akademie besucht habe. „Sie meinten, er habe sich zwei Jahre lang zu Hause eingeschlossen und nach dem Leben studirt, so habe er diese Geschicklichkeit erlangt.“ Auch die ältern Schriftsteller, die ihn noch erlebt hatten, wie Palomino, der ihn gesehn, wenn auch nicht gesprochen hatte, urtheilten so. Dieser sagt, er habe in Madrid die Natur studirt, und nennt ihn neben Caravaggio als Beispiel, wie man ohne be- deutende Lehrmeister und ohne Vorbilder ein grosser Maler wer- den könne: durch das Studium der Natur, freilich unterstützt von einem hohen Genie und natürlichem Geschmack. Nur einige unbedeutende Elemente (ligeros principios) und was das blosse Auge den Werken der Alten absehn konnte, verdankte er andern 2). 1) Die frühste Erwähnung dieses Cyklus findet sich in dem Tagebuch des kaiserlichen Gesandten und Gemäldeliebhabers, Grafen Ferdinand Bonaventura von Harrach, der auch der erste Nichtspanier ist, der Murillo’s Namen nennt. Er war im August 1677 in Sevilla. „In einem kleinen Gang haben sie mir gewisse Bilder von einem Maller Morillo genannt gezeigt, so noch hier lebt, vndt seindt gar guet.“ Auch die Gemälde in der Caridad sah er, sie haben ihm „sehr woll gefallen“ (21. und 22. August). 2) Palomino, Museo pictórico II, 62. Se vino á Madrid, donde frequentó el estudio de el natural.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/438>, abgerufen am 25.11.2024.