wie in dem klassisch gelehrten Niederland. Kaum gab es ein grosses Fest, wo nicht der Olymp, der Parnass, der Dianenhain sich im Theater von Buen Retiro niederliessen. Diese wilden Jagden der Cynthia und Atalante, diese Nymphen und Satyrn, diese Kämpfe der Lapithen und Centauren, es waren die Legen- den der Götter, denen dort im rauschenden Leben der Jagden, Turniere und Liebesabenteuer geopfert wurde. Diese Stücke waren aber auch wie wenige geeignet, die unerschöpfliche Phan- tasie des Meisters zu entfesseln. Sie gaben ihm neue und dra- matische Vorwürfe, in welchen er auf dem schwindelnden Gipfel- punkt der Bewegung, der Leidenschaft und zuweilen des Gräss- lichen steht. Wol nur ein an Stiergefechte gewöhntes Publikum konnte Darstellungen wünschen und geniessen, wie jenes "Gast- mahl des Tereus", vielleicht die grausigste Scene die Rubens ersonnen hat. --
Da die Rede so oft auf "Rubens in Spanien" gekommen ist, so wird die Notiz nicht ohne Interesse sein, dass es auch einen Spanier gegeben hat, der ganz den Stil des Meisters sich angeeignet hatte. Der Hauptmann D. Miguel Manrique, in Flan- dern geboren, hatte dort Rubens studirt, man sagt sogar, seinen Unterricht genossen. Letzteres möchte man glauben, wenn man in Malaga, wo er sich später niederliess, seine grossen Gemälde kennen lernt. Ausser einer trefflichen Kopie des berühmten Gastmals der Magdalena für das Victoriakloster, jetzt in der Kathedrale, sieht man eine Himmelfahrt Mariä in der Sakristei und eine Stiftung nebst Glorification des Mercenarierordens in dessen Kirche, wol das bedeutendste Gemälde, welches die Stadt besitzt. Dieser kunstfertige Kriegsmann war auch der erste, welcher den aus Madrid gebürtigen D. Juan Ninno de Gue- vara (1632 + 1698) in die Malerei einführte; später freilich schloss dieser sich ganz dem Alonso Cano an. Das Rubens'sche Wesen klingt nur noch nach in den derben Formen der Köpfe und in figurenreichen religiösen Allegorien, wie man sie in der Au- gustinerkirche zu Granada sieht, der Hauptstätte seiner Thä- tigkeit.
Viertes Buch.
wie in dem klassisch gelehrten Niederland. Kaum gab es ein grosses Fest, wo nicht der Olymp, der Parnass, der Dianenhain sich im Theater von Buen Retiro niederliessen. Diese wilden Jagden der Cynthia und Atalante, diese Nymphen und Satyrn, diese Kämpfe der Lapithen und Centauren, es waren die Legen- den der Götter, denen dort im rauschenden Leben der Jagden, Turniere und Liebesabenteuer geopfert wurde. Diese Stücke waren aber auch wie wenige geeignet, die unerschöpfliche Phan- tasie des Meisters zu entfesseln. Sie gaben ihm neue und dra- matische Vorwürfe, in welchen er auf dem schwindelnden Gipfel- punkt der Bewegung, der Leidenschaft und zuweilen des Gräss- lichen steht. Wol nur ein an Stiergefechte gewöhntes Publikum konnte Darstellungen wünschen und geniessen, wie jenes „Gast- mahl des Tereus“, vielleicht die grausigste Scene die Rubens ersonnen hat. —
Da die Rede so oft auf „Rubens in Spanien“ gekommen ist, so wird die Notiz nicht ohne Interesse sein, dass es auch einen Spanier gegeben hat, der ganz den Stil des Meisters sich angeeignet hatte. Der Hauptmann D. Miguel Manrique, in Flan- dern geboren, hatte dort Rubens studirt, man sagt sogar, seinen Unterricht genossen. Letzteres möchte man glauben, wenn man in Malaga, wo er sich später niederliess, seine grossen Gemälde kennen lernt. Ausser einer trefflichen Kopie des berühmten Gastmals der Magdalena für das Victoriakloster, jetzt in der Kathedrale, sieht man eine Himmelfahrt Mariä in der Sakristei und eine Stiftung nebst Glorification des Mercenarierordens in dessen Kirche, wol das bedeutendste Gemälde, welches die Stadt besitzt. Dieser kunstfertige Kriegsmann war auch der erste, welcher den aus Madrid gebürtigen D. Juan Niño de Gue- vara (1632 † 1698) in die Malerei einführte; später freilich schloss dieser sich ganz dem Alonso Cano an. Das Rubens’sche Wesen klingt nur noch nach in den derben Formen der Köpfe und in figurenreichen religiösen Allegorien, wie man sie in der Au- gustinerkirche zu Granada sieht, der Hauptstätte seiner Thä- tigkeit.
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Viertes Buch.
wie in dem klassisch gelehrten Niederland. Kaum gab es ein
grosses Fest, wo nicht der Olymp, der Parnass, der Dianenhain
sich im Theater von Buen Retiro niederliessen. Diese wilden
Jagden der Cynthia und Atalante, diese Nymphen und Satyrn,
diese Kämpfe der Lapithen und Centauren, es waren die Legen-
den der Götter, denen dort im rauschenden Leben der Jagden,
Turniere und Liebesabenteuer geopfert wurde. Diese Stücke
waren aber auch wie wenige geeignet, die unerschöpfliche Phan-
tasie des Meisters zu entfesseln. Sie gaben ihm neue und dra-
matische Vorwürfe, in welchen er auf dem schwindelnden Gipfel-
punkt der Bewegung, der Leidenschaft und zuweilen des Gräss-
lichen steht. Wol nur ein an Stiergefechte gewöhntes Publikum
konnte Darstellungen wünschen und geniessen, wie jenes „Gast-
mahl des Tereus“, vielleicht die grausigste Scene die Rubens
ersonnen hat. —
Da die Rede so oft auf „Rubens in Spanien“ gekommen
ist, so wird die Notiz nicht ohne Interesse sein, dass es auch
einen Spanier gegeben hat, der ganz den Stil des Meisters sich
angeeignet hatte. Der Hauptmann D. Miguel Manrique, in Flan-
dern geboren, hatte dort Rubens studirt, man sagt sogar, seinen
Unterricht genossen. Letzteres möchte man glauben, wenn man
in Malaga, wo er sich später niederliess, seine grossen Gemälde
kennen lernt. Ausser einer trefflichen Kopie des berühmten
Gastmals der Magdalena für das Victoriakloster, jetzt in der
Kathedrale, sieht man eine Himmelfahrt Mariä in der Sakristei
und eine Stiftung nebst Glorification des Mercenarierordens in
dessen Kirche, wol das bedeutendste Gemälde, welches die
Stadt besitzt. Dieser kunstfertige Kriegsmann war auch der
erste, welcher den aus Madrid gebürtigen D. Juan Niño de Gue-
vara (1632 † 1698) in die Malerei einführte; später freilich schloss
dieser sich ganz dem Alonso Cano an. Das Rubens’sche Wesen
klingt nur noch nach in den derben Formen der Köpfe und in
figurenreichen religiösen Allegorien, wie man sie in der Au-
gustinerkirche zu Granada sieht, der Hauptstätte seiner Thä-
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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/428>, abgerufen am 16.02.2025.
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