Schiffe. Aber diese Vorgänge treten so zurück gegen die zwei grossen Scenen des Vordergrundes, dass man sie fast übersieht 1).
Der Maler durfte sich erlauben, eine Art Schlüssel zu allen diesen Geschichten denen, die ihn verstehen wollten, diskret in die Hand zu geben. Auf einer Bühne rechts, die wahrscheinlich auf eine Insel (Taperica) gegenüber San Salvador verlegt ist, sieht man unter dem Baldachin, statt der Schauspieler, eine Tapisserie mit allegorischer Hand- lung, in reicher Groteskeneinfassung. Der sehr jugendliche König, in reich vergoldeter Rüstung, steht in der Mitte zwischen Minerva, aus deren Hand er einen grossen Palmzweig empfängt, und Olivares, ebenfalls in kriegerischer Tracht, der ein langes von Oelzweigen umwundenes Schwert hält; beide setzen ihm einen Lorbeerkranz auf. Die Männer treten nieder- geworfenen Unholden auf den Leib: Abfall und Ketzerei. Davor steht die eigentliche Hauptperson, der Feldherr Don Fadrique, der wie der Bänkelsänger auf der Messe seine Mordgeschichte, der Menge die be- deutungsvolle Gruppe erklärt. Vor der Bühne drängt sich ein Parterre von Unterthanen, kniend, mit erhobenen Händen, die etwas voreilig für den als Preis all dieses Blutvergiessens erwarteten Frieden zu danken scheinen. Unser Predigermönch hat es aber, seinem Ordensnamen ge- treu, für christliche Pflicht gehalten, neben der Apotheose der Götter dieser Erde in dem köstlichen Gewebe, auch die Kehrseite solcher Glorien, diese aber in voller Lebendigkeit, daneben zu setzen, indem er das menschliche Elend, mit dem diese Decoration bezahlt wird, concret veranschaulichte. Ein schwer verwundeter Soldat liegt links von der Bühne am Boden, arme Weiber erweisen ihm Samariterdienste, eine verzweifelte Mutter mit Kindern, ein weinender Knabe tritt herzu. Der Aermste ist nur eine Nummer aus der Summe von Tausenden, die jenes Publicum so gleichgültig auszusprechen pflegte, wie die Summe der Dukaten, die ihm gleichfalls abgepresst wurden. Diese Gruppe ist künstlerisch das Beste in dem ganzen Cyklus. Es sind also eigentlich drei Bilder, die historisch treue Ansicht der Aktion, mit dem See- und Landungsgefecht, die Schlachtfeldepisode und die Apotheose Phi- lipp IV. Dass er die Allegorie, die hier unentbehrlich war, aus dem Leben weg in einen panno historiado verlegt, zeugt von Geschmack. Merkwürdig ist der äusserst blasse Ton des Bildes, selbst in den Figuren des Vordergrunds, besonders verglichen mit den sonstigen farbenkräftigen
1) Das Gemälde heisst im Catalog des Prado irrig (N. 787): Sometimiento y pacificacion de los Estados de Flandes. Serrano nennt es "la recuperazione della Baya nel Brasil," ebenso Ponz; das Inventar von 1701: la toma del Brasil, und als Maler Un religioso domenico flamenco.
Buen Retiro.
Schiffe. Aber diese Vorgänge treten so zurück gegen die zwei grossen Scenen des Vordergrundes, dass man sie fast übersieht 1).
Der Maler durfte sich erlauben, eine Art Schlüssel zu allen diesen Geschichten denen, die ihn verstehen wollten, diskret in die Hand zu geben. Auf einer Bühne rechts, die wahrscheinlich auf eine Insel (Taperica) gegenüber San Salvador verlegt ist, sieht man unter dem Baldachin, statt der Schauspieler, eine Tapisserie mit allegorischer Hand- lung, in reicher Groteskeneinfassung. Der sehr jugendliche König, in reich vergoldeter Rüstung, steht in der Mitte zwischen Minerva, aus deren Hand er einen grossen Palmzweig empfängt, und Olivares, ebenfalls in kriegerischer Tracht, der ein langes von Oelzweigen umwundenes Schwert hält; beide setzen ihm einen Lorbeerkranz auf. Die Männer treten nieder- geworfenen Unholden auf den Leib: Abfall und Ketzerei. Davor steht die eigentliche Hauptperson, der Feldherr Don Fadrique, der wie der Bänkelsänger auf der Messe seine Mordgeschichte, der Menge die be- deutungsvolle Gruppe erklärt. Vor der Bühne drängt sich ein Parterre von Unterthanen, kniend, mit erhobenen Händen, die etwas voreilig für den als Preis all dieses Blutvergiessens erwarteten Frieden zu danken scheinen. Unser Predigermönch hat es aber, seinem Ordensnamen ge- treu, für christliche Pflicht gehalten, neben der Apotheose der Götter dieser Erde in dem köstlichen Gewebe, auch die Kehrseite solcher Glorien, diese aber in voller Lebendigkeit, daneben zu setzen, indem er das menschliche Elend, mit dem diese Decoration bezahlt wird, concret veranschaulichte. Ein schwer verwundeter Soldat liegt links von der Bühne am Boden, arme Weiber erweisen ihm Samariterdienste, eine verzweifelte Mutter mit Kindern, ein weinender Knabe tritt herzu. Der Aermste ist nur eine Nummer aus der Summe von Tausenden, die jenes Publicum so gleichgültig auszusprechen pflegte, wie die Summe der Dukaten, die ihm gleichfalls abgepresst wurden. Diese Gruppe ist künstlerisch das Beste in dem ganzen Cyklus. Es sind also eigentlich drei Bilder, die historisch treue Ansicht der Aktion, mit dem See- und Landungsgefecht, die Schlachtfeldepisode und die Apotheose Phi- lipp IV. Dass er die Allegorie, die hier unentbehrlich war, aus dem Leben weg in einen paño historiado verlegt, zeugt von Geschmack. Merkwürdig ist der äusserst blasse Ton des Bildes, selbst in den Figuren des Vordergrunds, besonders verglichen mit den sonstigen farbenkräftigen
1) Das Gemälde heisst im Catalog des Prado irrig (N. 787): Sometimiento y pacificacion de los Estados de Flandes. Serrano nennt es „la recuperazione della Baya nel Brasil,“ ebenso Ponz; das Inventar von 1701: la toma del Brasil, und als Maler Un religioso doménico flamenco.
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Buen Retiro.
Schiffe. Aber diese Vorgänge treten so zurück gegen die zwei grossen
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Der Maler durfte sich erlauben, eine Art Schlüssel zu allen diesen
Geschichten denen, die ihn verstehen wollten, diskret in die Hand zu
geben. Auf einer Bühne rechts, die wahrscheinlich auf eine Insel
(Taperica) gegenüber San Salvador verlegt ist, sieht man unter dem
Baldachin, statt der Schauspieler, eine Tapisserie mit allegorischer Hand-
lung, in reicher Groteskeneinfassung. Der sehr jugendliche König, in
reich vergoldeter Rüstung, steht in der Mitte zwischen Minerva, aus deren
Hand er einen grossen Palmzweig empfängt, und Olivares, ebenfalls in
kriegerischer Tracht, der ein langes von Oelzweigen umwundenes Schwert
hält; beide setzen ihm einen Lorbeerkranz auf. Die Männer treten nieder-
geworfenen Unholden auf den Leib: Abfall und Ketzerei. Davor steht
die eigentliche Hauptperson, der Feldherr Don Fadrique, der wie der
Bänkelsänger auf der Messe seine Mordgeschichte, der Menge die be-
deutungsvolle Gruppe erklärt. Vor der Bühne drängt sich ein Parterre
von Unterthanen, kniend, mit erhobenen Händen, die etwas voreilig für
den als Preis all dieses Blutvergiessens erwarteten Frieden zu danken
scheinen. Unser Predigermönch hat es aber, seinem Ordensnamen ge-
treu, für christliche Pflicht gehalten, neben der Apotheose der Götter
dieser Erde in dem köstlichen Gewebe, auch die Kehrseite solcher Glorien,
diese aber in voller Lebendigkeit, daneben zu setzen, indem er das
menschliche Elend, mit dem diese Decoration bezahlt wird, concret
veranschaulichte. Ein schwer verwundeter Soldat liegt links von der
Bühne am Boden, arme Weiber erweisen ihm Samariterdienste, eine
verzweifelte Mutter mit Kindern, ein weinender Knabe tritt herzu. Der
Aermste ist nur eine Nummer aus der Summe von Tausenden, die
jenes Publicum so gleichgültig auszusprechen pflegte, wie die Summe der
Dukaten, die ihm gleichfalls abgepresst wurden. Diese Gruppe ist
künstlerisch das Beste in dem ganzen Cyklus. Es sind also eigentlich
drei Bilder, die historisch treue Ansicht der Aktion, mit dem See-
und Landungsgefecht, die Schlachtfeldepisode und die Apotheose Phi-
lipp IV. Dass er die Allegorie, die hier unentbehrlich war, aus dem
Leben weg in einen paño historiado verlegt, zeugt von Geschmack.
Merkwürdig ist der äusserst blasse Ton des Bildes, selbst in den Figuren
des Vordergrunds, besonders verglichen mit den sonstigen farbenkräftigen
1) Das Gemälde heisst im Catalog des Prado irrig (N. 787): Sometimiento y
pacificacion de los Estados de Flandes. Serrano nennt es „la recuperazione della
Baya nel Brasil,“ ebenso Ponz; das Inventar von 1701: la toma del Brasil,
und als Maler Un religioso doménico flamenco.
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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/375>, abgerufen am 16.07.2024.
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