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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Jusepe Ribera.
eine Erinnerung an S. Prospero in Reggio: Maria beugt sich
lächelnd über das Kind 1).

Daneben stand eine Curiosität, das Bildniss einer bärtigen
Frau aus den Abruzzen, Maddalena Ventura mit ihrem Mann,
das Kind an der Brust; es war für den Vicekönig bestimmt 2).
Für denselben gelehrten Herrn waren Bilder von Bettelphi-
losophen, einer "Archimedes" gescholten (Prado 1010, bz. 1630),
er sah aus wie eine Caricatur Michelangelo's. Seit einiger Zeit
hatte er ein ganz besonders unheimliches Modell angenommen:
eine Hünengestalt mit starkem breitem Schädel, dicken schwarzen
Brauen, tückischen Augen und eingedrückter Nase, einen Kerl
den Lavater ohne Belastungszeugen der Galere bestimmt haben
würde. Dieses Ungeheuer ist am unverfälschtesten aufbewahrt in
dem hl. Rochus (Prado Nr. 1000, bz. 1631); es lag aber bereits
dem Träumer Jakob (ebenda Nr. 982 von 1626) zu Grunde, und
ist noch in dem Elias der Karthause von S. Martino (1638) wie-
derzuerkennen.

Jener Schläfer mit der Himmelsleiter wird so wenig durch
Lage und Beleuchtung wie durch seine Physiognomie anziehen.
Aber über der Oede ringsum, die in meilenweiter Ferne durch
tiefblaue Hügel begrenzt wird, breitet sich ein Tageshimmel
aus mit grauem Gewölk, zwischen dem ein sanfter goldener
Lichtstrahl herabsteigt. Nur bei scharfem Sehen unterscheidet
man darin kleine lichte Elfen. Es ist nur der natürliche Sonnen-
schein, aber man sehe sich in dem Saal Isabella II um bei allen
Glorienmalern, ihr Licht wird sich neben diesem wie getünchte
Wand ausnehmen. Dieser Patriarch ist aus dem frühsten Jahr,
in dem datirte Gemälde Spagnoletto's vorkommen, 1626, aus
demselben wie die Himmelfahrt der Magdalena in der Akademie
von S. Fernando, das erste Beispiel jenes schwermüthigen
Frauentypus, der bei ihm viele Jahre lang wiederkehrt, mit seinen
grossen, dunklen träumerischen Augen, und den langen Händen
mit den dünnen Fingern; in ruhigem Zauber kaum von italieni-
schen Malern dieses Jahrhunderts erreicht. --

Irren wir nicht, so nahm Velazquez einen berichtigten und
günstigen Eindruck von Ribera mit nach Madrid. Die überaus

1) Diess Rundbild, sehr nachgedunkelt, ist in der Galerie des Herrn Consul
Weber in Hamburg; bez. 1630. Auch ein Evangelist Matthäus fällt in dieses Jahr,
Palomino III, 313.
2) Früher in S. Ildefonso, jetzt in der Academie von S. Fernando, Nr. 140,
nicht aufgestellt oder abhanden gekommen, bez. 1631.

Jusepe Ribera.
eine Erinnerung an S. Prospero in Reggio: Maria beugt sich
lächelnd über das Kind 1).

Daneben stand eine Curiosität, das Bildniss einer bärtigen
Frau aus den Abruzzen, Maddalena Ventura mit ihrem Mann,
das Kind an der Brust; es war für den Vicekönig bestimmt 2).
Für denselben gelehrten Herrn waren Bilder von Bettelphi-
losophen, einer „Archimedes“ gescholten (Prado 1010, bz. 1630),
er sah aus wie eine Caricatur Michelangelo’s. Seit einiger Zeit
hatte er ein ganz besonders unheimliches Modell angenommen:
eine Hünengestalt mit starkem breitem Schädel, dicken schwarzen
Brauen, tückischen Augen und eingedrückter Nase, einen Kerl
den Lavater ohne Belastungszeugen der Galere bestimmt haben
würde. Dieses Ungeheuer ist am unverfälschtesten aufbewahrt in
dem hl. Rochus (Prado Nr. 1000, bz. 1631); es lag aber bereits
dem Träumer Jakob (ebenda Nr. 982 von 1626) zu Grunde, und
ist noch in dem Elias der Karthause von S. Martino (1638) wie-
derzuerkennen.

Jener Schläfer mit der Himmelsleiter wird so wenig durch
Lage und Beleuchtung wie durch seine Physiognomie anziehen.
Aber über der Oede ringsum, die in meilenweiter Ferne durch
tiefblaue Hügel begrenzt wird, breitet sich ein Tageshimmel
aus mit grauem Gewölk, zwischen dem ein sanfter goldener
Lichtstrahl herabsteigt. Nur bei scharfem Sehen unterscheidet
man darin kleine lichte Elfen. Es ist nur der natürliche Sonnen-
schein, aber man sehe sich in dem Saal Isabella II um bei allen
Glorienmalern, ihr Licht wird sich neben diesem wie getünchte
Wand ausnehmen. Dieser Patriarch ist aus dem frühsten Jahr,
in dem datirte Gemälde Spagnoletto’s vorkommen, 1626, aus
demselben wie die Himmelfahrt der Magdalena in der Akademie
von S. Fernando, das erste Beispiel jenes schwermüthigen
Frauentypus, der bei ihm viele Jahre lang wiederkehrt, mit seinen
grossen, dunklen träumerischen Augen, und den langen Händen
mit den dünnen Fingern; in ruhigem Zauber kaum von italieni-
schen Malern dieses Jahrhunderts erreicht. —

Irren wir nicht, so nahm Velazquez einen berichtigten und
günstigen Eindruck von Ribera mit nach Madrid. Die überaus

1) Diess Rundbild, sehr nachgedunkelt, ist in der Galerie des Herrn Consul
Weber in Hamburg; bez. 1630. Auch ein Evangelist Matthäus fällt in dieses Jahr,
Palomino III, 313.
2) Früher in S. Ildefonso, jetzt in der Academie von S. Fernando, Nr. 140,
nicht aufgestellt oder abhanden gekommen, bez. 1631.
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[325/0351] Jusepe Ribera. eine Erinnerung an S. Prospero in Reggio: Maria beugt sich lächelnd über das Kind 1). Daneben stand eine Curiosität, das Bildniss einer bärtigen Frau aus den Abruzzen, Maddalena Ventura mit ihrem Mann, das Kind an der Brust; es war für den Vicekönig bestimmt 2). Für denselben gelehrten Herrn waren Bilder von Bettelphi- losophen, einer „Archimedes“ gescholten (Prado 1010, bz. 1630), er sah aus wie eine Caricatur Michelangelo’s. Seit einiger Zeit hatte er ein ganz besonders unheimliches Modell angenommen: eine Hünengestalt mit starkem breitem Schädel, dicken schwarzen Brauen, tückischen Augen und eingedrückter Nase, einen Kerl den Lavater ohne Belastungszeugen der Galere bestimmt haben würde. Dieses Ungeheuer ist am unverfälschtesten aufbewahrt in dem hl. Rochus (Prado Nr. 1000, bz. 1631); es lag aber bereits dem Träumer Jakob (ebenda Nr. 982 von 1626) zu Grunde, und ist noch in dem Elias der Karthause von S. Martino (1638) wie- derzuerkennen. Jener Schläfer mit der Himmelsleiter wird so wenig durch Lage und Beleuchtung wie durch seine Physiognomie anziehen. Aber über der Oede ringsum, die in meilenweiter Ferne durch tiefblaue Hügel begrenzt wird, breitet sich ein Tageshimmel aus mit grauem Gewölk, zwischen dem ein sanfter goldener Lichtstrahl herabsteigt. Nur bei scharfem Sehen unterscheidet man darin kleine lichte Elfen. Es ist nur der natürliche Sonnen- schein, aber man sehe sich in dem Saal Isabella II um bei allen Glorienmalern, ihr Licht wird sich neben diesem wie getünchte Wand ausnehmen. Dieser Patriarch ist aus dem frühsten Jahr, in dem datirte Gemälde Spagnoletto’s vorkommen, 1626, aus demselben wie die Himmelfahrt der Magdalena in der Akademie von S. Fernando, das erste Beispiel jenes schwermüthigen Frauentypus, der bei ihm viele Jahre lang wiederkehrt, mit seinen grossen, dunklen träumerischen Augen, und den langen Händen mit den dünnen Fingern; in ruhigem Zauber kaum von italieni- schen Malern dieses Jahrhunderts erreicht. — Irren wir nicht, so nahm Velazquez einen berichtigten und günstigen Eindruck von Ribera mit nach Madrid. Die überaus 1) Diess Rundbild, sehr nachgedunkelt, ist in der Galerie des Herrn Consul Weber in Hamburg; bez. 1630. Auch ein Evangelist Matthäus fällt in dieses Jahr, Palomino III, 313. 2) Früher in S. Ildefonso, jetzt in der Academie von S. Fernando, Nr. 140, nicht aufgestellt oder abhanden gekommen, bez. 1631.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/351>, abgerufen am 24.11.2024.