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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Drittes Buch.
stüm linkisch benimmt. Da kniet er, mit weit ausgebreiteten Armen,
in fast wilder Entschlossenheit, während ihm in einer Strahlensonne
das Monogramm Jesu gezeigt wird; dort wendet er sich über-
rascht, entzückt, fast verlegen um nach dem hohen Besuch
U. L. F., die ihn beim Schreiben der Constitutionen überrascht;
hier huldigt er mit seinen Gefährten in soldatischer Subordination
dem Stellvertreter Christi. Man sieht wie frisch noch Ribera's
parmensische Erinnerungen waren: das berühmte Porträt Paul III
von Tizian im farnesischen Palast ist in das Bild aufgenommen.
Historische Farbe, Wahrheit der Charaktere lassen also nichts
zu wünschen übrig; aber was war das für seinen Begleiter neben
diesem lichtblauen Himmel mit den goldenen Wölkchen des
nahenden Abends, diesen blonden, blühenden, wilden Himmelskin-
dern, und der jugendlichen Madonna, die mütterlich, huldvoll, an
ihr Kind sich anschmiegt, das nach dem wunderlichen Heiligen
forschend das Köpfchen zurückdreht. Jenes "Colorit Tizian's",
welches die Caracci zur Nachachtung vorgeschrieben hatten, aber
Niemand mehr verstand, hier war es wieder gefunden. In diesen
drei Bildern war nichts dunkel als Augen und Talar des Hei-
ligen; etwas lichteres, farbenschöneres hatte Velazquez aus
diesem Jahrhundert in Italien nicht gesehn.

Das Atelier am Anfang der Strasse Toledo enthielt eine
seltsame Gesellschaft. Der Pittor di Corte war damals sehr
in Anspruch genommen durch den Vicekönig, Herzog von Alcala.
Da Ribera fast alle seine Werke datirte, so lässt sich das Inventar
fast für jedes Jahr feststellen. Im Jahre 1630 veranschaulichte
es die "zwei Seelen", welche in seiner Brust wohnten. Da sah
man einen Apoll mit Marsyas 1), ein Studium jugendlicher Männ-
lichkeit; der Silberglanz der Haut, die grünlichen Halbtöne, die
goldenen Haare zu einer eigenen Harmonie gestimmt auf dem
Grund des schimmernden purpurnen Mantels; eine herrliche Ge-
stalt, an der man sah (wenn man es aus den Marmorköpfen
nicht schon wüsste, die man oft zu den Füssen seiner Blutzeugen
erblickt oder in der Hand des blinden Bildhauers Gambazo,
Prado 1003), dass auch er im Cortile delle statue seine Andacht
verrichtet hat. Man vergleiche die fade Gestalt Apollos in
der Galerie des Luxemburg. Das Nachtstück der Hirten war

1) Im Palast zu Madrid nach den Inventaren von 1666 flg.; es hing im
Schlaf- und Sterbezimmer Philipp IV. Später in den Galerien des Infanten D. Luis
de Borbon und Salamanca's, 1874 zu Paris für 2000 Fr. verkauft, bez. 1630.

Drittes Buch.
stüm linkisch benimmt. Da kniet er, mit weit ausgebreiteten Armen,
in fast wilder Entschlossenheit, während ihm in einer Strahlensonne
das Monogramm Jesu gezeigt wird; dort wendet er sich über-
rascht, entzückt, fast verlegen um nach dem hohen Besuch
U. L. F., die ihn beim Schreiben der Constitutionen überrascht;
hier huldigt er mit seinen Gefährten in soldatischer Subordination
dem Stellvertreter Christi. Man sieht wie frisch noch Ribera’s
parmensische Erinnerungen waren: das berühmte Porträt Paul III
von Tizian im farnesischen Palast ist in das Bild aufgenommen.
Historische Farbe, Wahrheit der Charaktere lassen also nichts
zu wünschen übrig; aber was war das für seinen Begleiter neben
diesem lichtblauen Himmel mit den goldenen Wölkchen des
nahenden Abends, diesen blonden, blühenden, wilden Himmelskin-
dern, und der jugendlichen Madonna, die mütterlich, huldvoll, an
ihr Kind sich anschmiegt, das nach dem wunderlichen Heiligen
forschend das Köpfchen zurückdreht. Jenes „Colorit Tizian’s“,
welches die Caracci zur Nachachtung vorgeschrieben hatten, aber
Niemand mehr verstand, hier war es wieder gefunden. In diesen
drei Bildern war nichts dunkel als Augen und Talar des Hei-
ligen; etwas lichteres, farbenschöneres hatte Velazquez aus
diesem Jahrhundert in Italien nicht gesehn.

Das Atelier am Anfang der Strasse Toledo enthielt eine
seltsame Gesellschaft. Der Pittor di Corte war damals sehr
in Anspruch genommen durch den Vicekönig, Herzog von Alcalá.
Da Ribera fast alle seine Werke datirte, so lässt sich das Inventar
fast für jedes Jahr feststellen. Im Jahre 1630 veranschaulichte
es die „zwei Seelen“, welche in seiner Brust wohnten. Da sah
man einen Apoll mit Marsyas 1), ein Studium jugendlicher Männ-
lichkeit; der Silberglanz der Haut, die grünlichen Halbtöne, die
goldenen Haare zu einer eigenen Harmonie gestimmt auf dem
Grund des schimmernden purpurnen Mantels; eine herrliche Ge-
stalt, an der man sah (wenn man es aus den Marmorköpfen
nicht schon wüsste, die man oft zu den Füssen seiner Blutzeugen
erblickt oder in der Hand des blinden Bildhauers Gambazo,
Prado 1003), dass auch er im Cortile delle statue seine Andacht
verrichtet hat. Man vergleiche die fade Gestalt Apollos in
der Galerie des Luxemburg. Das Nachtstück der Hirten war

1) Im Palast zu Madrid nach den Inventaren von 1666 flg.; es hing im
Schlaf- und Sterbezimmer Philipp IV. Später in den Galerien des Infanten D. Luis
de Borbon und Salamanca’s, 1874 zu Paris für 2000 Fr. verkauft, bez. 1630.
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[324/0350] Drittes Buch. stüm linkisch benimmt. Da kniet er, mit weit ausgebreiteten Armen, in fast wilder Entschlossenheit, während ihm in einer Strahlensonne das Monogramm Jesu gezeigt wird; dort wendet er sich über- rascht, entzückt, fast verlegen um nach dem hohen Besuch U. L. F., die ihn beim Schreiben der Constitutionen überrascht; hier huldigt er mit seinen Gefährten in soldatischer Subordination dem Stellvertreter Christi. Man sieht wie frisch noch Ribera’s parmensische Erinnerungen waren: das berühmte Porträt Paul III von Tizian im farnesischen Palast ist in das Bild aufgenommen. Historische Farbe, Wahrheit der Charaktere lassen also nichts zu wünschen übrig; aber was war das für seinen Begleiter neben diesem lichtblauen Himmel mit den goldenen Wölkchen des nahenden Abends, diesen blonden, blühenden, wilden Himmelskin- dern, und der jugendlichen Madonna, die mütterlich, huldvoll, an ihr Kind sich anschmiegt, das nach dem wunderlichen Heiligen forschend das Köpfchen zurückdreht. Jenes „Colorit Tizian’s“, welches die Caracci zur Nachachtung vorgeschrieben hatten, aber Niemand mehr verstand, hier war es wieder gefunden. In diesen drei Bildern war nichts dunkel als Augen und Talar des Hei- ligen; etwas lichteres, farbenschöneres hatte Velazquez aus diesem Jahrhundert in Italien nicht gesehn. Das Atelier am Anfang der Strasse Toledo enthielt eine seltsame Gesellschaft. Der Pittor di Corte war damals sehr in Anspruch genommen durch den Vicekönig, Herzog von Alcalá. Da Ribera fast alle seine Werke datirte, so lässt sich das Inventar fast für jedes Jahr feststellen. Im Jahre 1630 veranschaulichte es die „zwei Seelen“, welche in seiner Brust wohnten. Da sah man einen Apoll mit Marsyas 1), ein Studium jugendlicher Männ- lichkeit; der Silberglanz der Haut, die grünlichen Halbtöne, die goldenen Haare zu einer eigenen Harmonie gestimmt auf dem Grund des schimmernden purpurnen Mantels; eine herrliche Ge- stalt, an der man sah (wenn man es aus den Marmorköpfen nicht schon wüsste, die man oft zu den Füssen seiner Blutzeugen erblickt oder in der Hand des blinden Bildhauers Gambazo, Prado 1003), dass auch er im Cortile delle statue seine Andacht verrichtet hat. Man vergleiche die fade Gestalt Apollos in der Galerie des Luxemburg. Das Nachtstück der Hirten war 1) Im Palast zu Madrid nach den Inventaren von 1666 flg.; es hing im Schlaf- und Sterbezimmer Philipp IV. Später in den Galerien des Infanten D. Luis de Borbon und Salamanca’s, 1874 zu Paris für 2000 Fr. verkauft, bez. 1630.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/350>, abgerufen am 24.11.2024.