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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Drittes Buch.
Dagegen gewinnt das Antlitz durch die Frisur, das einzige nicht
geschmacklose in der Toilettenkunst der Zeit und für lange
Zeit die letzte, welche noch bloss mit der Natur und deren Farbe
arbeitete. Die blonden Haare, in hundert Löckchen gekräuselt
und aus der Stirn gestrichen, sind über dem Scheitel auf-
gethürmt und mit einem kleinen schwarzen Spitzenschleier um-
wunden, an den Seiten des Gesichts dagegen vorgedrängt: letz-
teres erscheint nahezu viereckig umrahmt: man liebte die graden
Linien.

Auch die Tracht stimmt zu der Zeit; ganz dieselbe begegnet
wunderlicher Weise wiederholt bei ihrer Schwägerin Isabella,
deren Bildnisse in Kopenhagen und sonst man neuerdings mit dem
ihrigen verwechselt hat, wie man früher sie selbst Isabella taufte.
Auch die Damen hatten sich dem von Olivares befohlenen Ge-
schmack der Einfachheit zu fügen. Die Porträts der prachtlie-
benden Königinnen Philipp II und III gehörten zu den reich-
sten Kostümbildern des Jahrhunderts. Nur der Grabstichel der
Wierx konnte sie einigermassen wiedergeben 1). Die mächtigen
Spitzenkragen, in welchen das Haupt wie eine Ananas in einer
Filigranschale lag, die Kapuze mit buntem Seidenfutter, die per-
lenbesäten, farbenheitern Roben, die kostbaren, selbst figürlichen
Schmuckstücke (z. B. Amor, der Phönix) in Haaren und Ohren,
an Hals und Brust, Arm und Finger u. a. wurden jetzt verboten,
und so streng, dass die Alguazile sie den Damen auf der Strasse
confiscirten. So sieht man nun statt der Mühlsteinkragen mit
flandrischen Kanten, Tüllkragen, gestärkt und mit blauen Pulvern
gefärbt, für die Maler zwar bequemer, aber auf den Bildnissen
wie ein Fleck, Kopf und Brust trennend.

Die ernste nussbraune Farbe des Kleides, mit Stich in
Olivengrün, wird belebt durch goldbrochirten Besatz und augen-
förmige, mit weisser Seide gepuffte und mit Goldlitzen ge-
säumte Schlitze (acuchillado). Der einzige Schmuck ist die gol-
dene Halskette mit dem Medaillon zweier die Hostie anbeten-
der Engel. Diess schwere Kleid fällt völlig faltenlos über das
Binsengestell; der lange Schneppenleib, die Achselstücke, die
zweiten, offnen Aermel erinnern an den Bau eines Käfers. Die
ganze Figur gleicht einer Glocke, die oben in einem bemalten

1) Zu den äusserst seltenen Damenbildnissen spanischen Geblüts von Kunst-
werth aus dieser Zeit gehören zwei charakteristische Frauenbildnisse in Hamptoncourt,
wahrscheinlich von Pantoja de la Cruz. South Gallery 622 und 642. "Sir A. More."

Drittes Buch.
Dagegen gewinnt das Antlitz durch die Frisur, das einzige nicht
geschmacklose in der Toilettenkunst der Zeit und für lange
Zeit die letzte, welche noch bloss mit der Natur und deren Farbe
arbeitete. Die blonden Haare, in hundert Löckchen gekräuselt
und aus der Stirn gestrichen, sind über dem Scheitel auf-
gethürmt und mit einem kleinen schwarzen Spitzenschleier um-
wunden, an den Seiten des Gesichts dagegen vorgedrängt: letz-
teres erscheint nahezu viereckig umrahmt: man liebte die graden
Linien.

Auch die Tracht stimmt zu der Zeit; ganz dieselbe begegnet
wunderlicher Weise wiederholt bei ihrer Schwägerin Isabella,
deren Bildnisse in Kopenhagen und sonst man neuerdings mit dem
ihrigen verwechselt hat, wie man früher sie selbst Isabella taufte.
Auch die Damen hatten sich dem von Olivares befohlenen Ge-
schmack der Einfachheit zu fügen. Die Porträts der prachtlie-
benden Königinnen Philipp II und III gehörten zu den reich-
sten Kostümbildern des Jahrhunderts. Nur der Grabstichel der
Wierx konnte sie einigermassen wiedergeben 1). Die mächtigen
Spitzenkragen, in welchen das Haupt wie eine Ananas in einer
Filigranschale lag, die Kapuze mit buntem Seidenfutter, die per-
lenbesäten, farbenheitern Roben, die kostbaren, selbst figürlichen
Schmuckstücke (z. B. Amor, der Phönix) in Haaren und Ohren,
an Hals und Brust, Arm und Finger u. a. wurden jetzt verboten,
und so streng, dass die Alguazile sie den Damen auf der Strasse
confiscirten. So sieht man nun statt der Mühlsteinkragen mit
flandrischen Kanten, Tüllkragen, gestärkt und mit blauen Pulvern
gefärbt, für die Maler zwar bequemer, aber auf den Bildnissen
wie ein Fleck, Kopf und Brust trennend.

Die ernste nussbraune Farbe des Kleides, mit Stich in
Olivengrün, wird belebt durch goldbrochirten Besatz und augen-
förmige, mit weisser Seide gepuffte und mit Goldlitzen ge-
säumte Schlitze (acuchillado). Der einzige Schmuck ist die gol-
dene Halskette mit dem Medaillon zweier die Hostie anbeten-
der Engel. Diess schwere Kleid fällt völlig faltenlos über das
Binsengestell; der lange Schneppenleib, die Achselstücke, die
zweiten, offnen Aermel erinnern an den Bau eines Käfers. Die
ganze Figur gleicht einer Glocke, die oben in einem bemalten

1) Zu den äusserst seltenen Damenbildnissen spanischen Geblüts von Kunst-
werth aus dieser Zeit gehören zwei charakteristische Frauenbildnisse in Hamptoncourt,
wahrscheinlich von Pantoja de la Cruz. South Gallery 622 und 642. „Sir A. More.“
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[316/0342] Drittes Buch. Dagegen gewinnt das Antlitz durch die Frisur, das einzige nicht geschmacklose in der Toilettenkunst der Zeit und für lange Zeit die letzte, welche noch bloss mit der Natur und deren Farbe arbeitete. Die blonden Haare, in hundert Löckchen gekräuselt und aus der Stirn gestrichen, sind über dem Scheitel auf- gethürmt und mit einem kleinen schwarzen Spitzenschleier um- wunden, an den Seiten des Gesichts dagegen vorgedrängt: letz- teres erscheint nahezu viereckig umrahmt: man liebte die graden Linien. Auch die Tracht stimmt zu der Zeit; ganz dieselbe begegnet wunderlicher Weise wiederholt bei ihrer Schwägerin Isabella, deren Bildnisse in Kopenhagen und sonst man neuerdings mit dem ihrigen verwechselt hat, wie man früher sie selbst Isabella taufte. Auch die Damen hatten sich dem von Olivares befohlenen Ge- schmack der Einfachheit zu fügen. Die Porträts der prachtlie- benden Königinnen Philipp II und III gehörten zu den reich- sten Kostümbildern des Jahrhunderts. Nur der Grabstichel der Wierx konnte sie einigermassen wiedergeben 1). Die mächtigen Spitzenkragen, in welchen das Haupt wie eine Ananas in einer Filigranschale lag, die Kapuze mit buntem Seidenfutter, die per- lenbesäten, farbenheitern Roben, die kostbaren, selbst figürlichen Schmuckstücke (z. B. Amor, der Phönix) in Haaren und Ohren, an Hals und Brust, Arm und Finger u. a. wurden jetzt verboten, und so streng, dass die Alguazile sie den Damen auf der Strasse confiscirten. So sieht man nun statt der Mühlsteinkragen mit flandrischen Kanten, Tüllkragen, gestärkt und mit blauen Pulvern gefärbt, für die Maler zwar bequemer, aber auf den Bildnissen wie ein Fleck, Kopf und Brust trennend. Die ernste nussbraune Farbe des Kleides, mit Stich in Olivengrün, wird belebt durch goldbrochirten Besatz und augen- förmige, mit weisser Seide gepuffte und mit Goldlitzen ge- säumte Schlitze (acuchillado). Der einzige Schmuck ist die gol- dene Halskette mit dem Medaillon zweier die Hostie anbeten- der Engel. Diess schwere Kleid fällt völlig faltenlos über das Binsengestell; der lange Schneppenleib, die Achselstücke, die zweiten, offnen Aermel erinnern an den Bau eines Käfers. Die ganze Figur gleicht einer Glocke, die oben in einem bemalten 1) Zu den äusserst seltenen Damenbildnissen spanischen Geblüts von Kunst- werth aus dieser Zeit gehören zwei charakteristische Frauenbildnisse in Hamptoncourt, wahrscheinlich von Pantoja de la Cruz. South Gallery 622 und 642. „Sir A. More.“

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/342>, abgerufen am 28.11.2024.