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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Der bunte Rock Josephs.
Figuren sind entkleidet; die Gründlichkeit ihrer Modellirung ist
von jeher bemerkt worden 1). Die Scene geht vor sich in einer
luftigen, ganz leeren Halle, mit schachbrettartigem Marmorboden
und zwei grossen Fenstern nach den blaugrünen Sträuchern eines
Gartens. Hier ist über einem Fussschemel (tarima) ein prachtvoller
Teppich ausgebreitet, und in dem Sessel, unter einem Vorhang,
im kühlen, von starkem Reflexlicht erhellten Schatten sitzt der
alte Herr, dem eben die verabredete Historie vorgetragen wird.
Diese Figur ist neu; ein alter Judenkopf mit kleinen Augen,
langer Nase, die Arme ausbreitend und erhebend mit der Ge-
berde jähen Schreckens bei dem Anblick des Blutes, das
keine zweifelnden Gedanken aufkommen lässt. Wieder also eine
Hauptfigur, der die übrigen zugewandt sind, nur ist es hier nicht
der Erzähler, sondern der Hörer, der Betroffene, das Opfer.
Obwol für die Nebenfiguren dieselben Urbilder dienten, so ist
doch ihr Eindruck niedriger. Zwei, wahrscheinlich die unver-
schämtesten, sind als Sprecher mit dem Hemd und dem bunten
Rock voran geschickt worden. Sie sind die gemeinsten Figuren
die Velazquez gemalt hat. Zwei dummdreiste Schnauzen; während
sie laut und gleichzeitig auf den Alten einreden, mischt sich in
ihren Blicken und Wendungen Frechheit, Angst vor Entlarvung
und Bestreben kläglich auszusehn. Möglich ist indess auch, dass
diese zwei die Hirten sind, welche nach dem Text mit den Kleidern
vorangeschickt wurden. Die andern aber müssen die Brüder
sein, nach der eigenen Erklärung des Velazquez 2). Zwei stehn
etwas zurück, im Schatten, der eine schlau und furchtsam hin-
überschielend, der andere verlegen an den Nägeln kauend. Der
Mann in der Ecke links (Ruben?) rauft sich die Haare; der
Maler hat uns mit seinem Gesicht verschont; wie im Vulcan ist
diese vorderste Figur abgewandt.

Das Bild ist in drastischer Wirkung dem ersten eben-
bürtig. Beckford fand darin sogar "ein Gemälde von tiefstem
Pathos; den erhabensten Beweis ausserordentlicher Gaben in Ve-
lazquez!" Die Arbeit ist ebenso sorgfältig, in Technik wie
Ausführung. Das reiche Detail der Schmiede fehlt; er hat sich

1) Las muestra desnudas, con tal arte, y disposicion, que puede ser exemplar
para la Notomia. F. de los Santos a. a. O.
2) Algunos han querido dezir, que estos Pastores . . . . son algunos de los
Hermanos de Joseph; y la razon que dan es, que le oyeron dezir al Autor, que
uno de los que pinto aqui, es Ruben, que se mostro mas piadoso que sus Her-
manos ...; y otro Simon, y assi los demas. Ebenda.

Der bunte Rock Josephs.
Figuren sind entkleidet; die Gründlichkeit ihrer Modellirung ist
von jeher bemerkt worden 1). Die Scene geht vor sich in einer
luftigen, ganz leeren Halle, mit schachbrettartigem Marmorboden
und zwei grossen Fenstern nach den blaugrünen Sträuchern eines
Gartens. Hier ist über einem Fussschemel (tarima) ein prachtvoller
Teppich ausgebreitet, und in dem Sessel, unter einem Vorhang,
im kühlen, von starkem Reflexlicht erhellten Schatten sitzt der
alte Herr, dem eben die verabredete Historie vorgetragen wird.
Diese Figur ist neu; ein alter Judenkopf mit kleinen Augen,
langer Nase, die Arme ausbreitend und erhebend mit der Ge-
berde jähen Schreckens bei dem Anblick des Blutes, das
keine zweifelnden Gedanken aufkommen lässt. Wieder also eine
Hauptfigur, der die übrigen zugewandt sind, nur ist es hier nicht
der Erzähler, sondern der Hörer, der Betroffene, das Opfer.
Obwol für die Nebenfiguren dieselben Urbilder dienten, so ist
doch ihr Eindruck niedriger. Zwei, wahrscheinlich die unver-
schämtesten, sind als Sprecher mit dem Hemd und dem bunten
Rock voran geschickt worden. Sie sind die gemeinsten Figuren
die Velazquez gemalt hat. Zwei dummdreiste Schnauzen; während
sie laut und gleichzeitig auf den Alten einreden, mischt sich in
ihren Blicken und Wendungen Frechheit, Angst vor Entlarvung
und Bestreben kläglich auszusehn. Möglich ist indess auch, dass
diese zwei die Hirten sind, welche nach dem Text mit den Kleidern
vorangeschickt wurden. Die andern aber müssen die Brüder
sein, nach der eigenen Erklärung des Velazquez 2). Zwei stehn
etwas zurück, im Schatten, der eine schlau und furchtsam hin-
überschielend, der andere verlegen an den Nägeln kauend. Der
Mann in der Ecke links (Ruben?) rauft sich die Haare; der
Maler hat uns mit seinem Gesicht verschont; wie im Vulcan ist
diese vorderste Figur abgewandt.

Das Bild ist in drastischer Wirkung dem ersten eben-
bürtig. Beckford fand darin sogar „ein Gemälde von tiefstem
Pathos; den erhabensten Beweis ausserordentlicher Gaben in Ve-
lazquez!“ Die Arbeit ist ebenso sorgfältig, in Technik wie
Ausführung. Das reiche Detail der Schmiede fehlt; er hat sich

1) Las muestra desnudas, con tal arte, y disposicion, que puede ser exemplar
para la Notomia. F. de los Santos a. a. O.
2) Algunos han querido dezir, que estos Pastores . . . . son algunos de los
Hermanos de Joseph; y la razon que dan es, que le oyeron dezir al Autor, que
uno de los que pintó aquí, es Rúben, que se mostró mas piadoso que sus Her-
manos …; y otro Simon, y assi los demas. Ebenda.
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[309/0335] Der bunte Rock Josephs. Figuren sind entkleidet; die Gründlichkeit ihrer Modellirung ist von jeher bemerkt worden 1). Die Scene geht vor sich in einer luftigen, ganz leeren Halle, mit schachbrettartigem Marmorboden und zwei grossen Fenstern nach den blaugrünen Sträuchern eines Gartens. Hier ist über einem Fussschemel (tarima) ein prachtvoller Teppich ausgebreitet, und in dem Sessel, unter einem Vorhang, im kühlen, von starkem Reflexlicht erhellten Schatten sitzt der alte Herr, dem eben die verabredete Historie vorgetragen wird. Diese Figur ist neu; ein alter Judenkopf mit kleinen Augen, langer Nase, die Arme ausbreitend und erhebend mit der Ge- berde jähen Schreckens bei dem Anblick des Blutes, das keine zweifelnden Gedanken aufkommen lässt. Wieder also eine Hauptfigur, der die übrigen zugewandt sind, nur ist es hier nicht der Erzähler, sondern der Hörer, der Betroffene, das Opfer. Obwol für die Nebenfiguren dieselben Urbilder dienten, so ist doch ihr Eindruck niedriger. Zwei, wahrscheinlich die unver- schämtesten, sind als Sprecher mit dem Hemd und dem bunten Rock voran geschickt worden. Sie sind die gemeinsten Figuren die Velazquez gemalt hat. Zwei dummdreiste Schnauzen; während sie laut und gleichzeitig auf den Alten einreden, mischt sich in ihren Blicken und Wendungen Frechheit, Angst vor Entlarvung und Bestreben kläglich auszusehn. Möglich ist indess auch, dass diese zwei die Hirten sind, welche nach dem Text mit den Kleidern vorangeschickt wurden. Die andern aber müssen die Brüder sein, nach der eigenen Erklärung des Velazquez 2). Zwei stehn etwas zurück, im Schatten, der eine schlau und furchtsam hin- überschielend, der andere verlegen an den Nägeln kauend. Der Mann in der Ecke links (Ruben?) rauft sich die Haare; der Maler hat uns mit seinem Gesicht verschont; wie im Vulcan ist diese vorderste Figur abgewandt. Das Bild ist in drastischer Wirkung dem ersten eben- bürtig. Beckford fand darin sogar „ein Gemälde von tiefstem Pathos; den erhabensten Beweis ausserordentlicher Gaben in Ve- lazquez!“ Die Arbeit ist ebenso sorgfältig, in Technik wie Ausführung. Das reiche Detail der Schmiede fehlt; er hat sich 1) Las muestra desnudas, con tal arte, y disposicion, que puede ser exemplar para la Notomia. F. de los Santos a. a. O. 2) Algunos han querido dezir, que estos Pastores . . . . son algunos de los Hermanos de Joseph; y la razon que dan es, que le oyeron dezir al Autor, que uno de los que pintó aquí, es Rúben, que se mostró mas piadoso que sus Her- manos …; y otro Simon, y assi los demas. Ebenda.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/335>, abgerufen am 24.11.2024.