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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Die Schmiede Vulcans.
erbringt, dass auch ein Naturalist die ausgesuchtesten For-
men der Antike gebrauchen kann, denn dieser Apollo ist dem
belvederischen nachgebildet. Es giebt indess auch in Rom nicht
wenige Apollostatuen, die schlimmer sind als unser spanischer,
z. B. zwei in der Villa Ludovisi, welche wie alte Castraten aus-
sehn, und jeden gesunden Menschen anekeln müssen. So haben
also Alterthum und Modernita sich, was den Apollo angeht,
nichts vorzuwerfen.

Wie dem auch sei, diese Geschmackspriester können über-
zeugt sein, dass Velazquez die Schönheit der Antike ebenfalls ge-
kannt und gefühlt hat, wünschte er doch auch um ihretwillen in
der Villa Medici zu wohnen. Auch hätte er griechische Profile
ebenso richtig zeichnen können, wie viele andere, um die sich
Niemand bekümmert. Wir glauben auch nicht, dass selbst die
Römer einst sein Bild so blind schülerhaft beurtheilt haben.
Auf jeden Unbefangenen wird es schon damals einen ähnlichen
Eindruck gemacht haben, wie etwa Adolf Menzels Eisengies-
serei auf uns. Richard Cumberland, obwol er im Zeitalter des
neuklassischen Zopfs schrieb, doch ein Maler, fand gerade, dass
der Gegenstand dem Künstler Gelegenheit gegeben habe, seine
Kunst im vollsten Umfang zu zeigen. Aber man hat oft gemeint,
die wahre Kritik bestehe nicht darin, seinen echten Eindruck
zu Wort kommen zu lassen, sondern angesichts der Kunstwerke
ästhetische Compendien im Gedächtniss aufzuschlagen, und "sich
die Augen auszustechen, um besser durchs Fernrohr zu sehn."

Es liesse sich hier eine Predigt halten über den Undank
des Publicums. Man bescheinigt mit schwülstigen Lobsprüchen
die Langeweile, welche das correkt befolgte Recept verursacht
hat und straft mit hofmeisterlichen Belehrungen die gute Unter-
haltung, die einem abgenöthigt wurde. Statt dem Manne zu dan-
ken, dass er auch in der Villa Medici kein akademisches Wasser
in seinen Wein gegossen, dass er die langweiligste Klasse mo-
derner Bilder mit einem Stück bereichert hat, das Niemand ohne
Lachen ansieht (obwol diess Lachen, wie der gracioso der Co-
mödie, nur eine Zugabe des höflichen Malers war für die, wel-
chen der Genuss seiner ernsten künstlerischen Arbeit nicht ge-
nügt hätte): statt dessen hält man ihm eine Lektion über den
Apoll von Belvedere. --

Der in diesem Bild gegebene mythologische Anstoss wirkt
übrigens noch später fort. Nach Jahren hat er uns auch anver-

Die Schmiede Vulcans.
erbringt, dass auch ein Naturalist die ausgesuchtesten For-
men der Antike gebrauchen kann, denn dieser Apollo ist dem
belvederischen nachgebildet. Es giebt indess auch in Rom nicht
wenige Apollostatuen, die schlimmer sind als unser spanischer,
z. B. zwei in der Villa Ludovisi, welche wie alte Castraten aus-
sehn, und jeden gesunden Menschen anekeln müssen. So haben
also Alterthum und Modernità sich, was den Apollo angeht,
nichts vorzuwerfen.

Wie dem auch sei, diese Geschmackspriester können über-
zeugt sein, dass Velazquez die Schönheit der Antike ebenfalls ge-
kannt und gefühlt hat, wünschte er doch auch um ihretwillen in
der Villa Medici zu wohnen. Auch hätte er griechische Profile
ebenso richtig zeichnen können, wie viele andere, um die sich
Niemand bekümmert. Wir glauben auch nicht, dass selbst die
Römer einst sein Bild so blind schülerhaft beurtheilt haben.
Auf jeden Unbefangenen wird es schon damals einen ähnlichen
Eindruck gemacht haben, wie etwa Adolf Menzels Eisengies-
serei auf uns. Richard Cumberland, obwol er im Zeitalter des
neuklassischen Zopfs schrieb, doch ein Maler, fand gerade, dass
der Gegenstand dem Künstler Gelegenheit gegeben habe, seine
Kunst im vollsten Umfang zu zeigen. Aber man hat oft gemeint,
die wahre Kritik bestehe nicht darin, seinen echten Eindruck
zu Wort kommen zu lassen, sondern angesichts der Kunstwerke
ästhetische Compendien im Gedächtniss aufzuschlagen, und „sich
die Augen auszustechen, um besser durchs Fernrohr zu sehn.“

Es liesse sich hier eine Predigt halten über den Undank
des Publicums. Man bescheinigt mit schwülstigen Lobsprüchen
die Langeweile, welche das correkt befolgte Recept verursacht
hat und straft mit hofmeisterlichen Belehrungen die gute Unter-
haltung, die einem abgenöthigt wurde. Statt dem Manne zu dan-
ken, dass er auch in der Villa Medici kein akademisches Wasser
in seinen Wein gegossen, dass er die langweiligste Klasse mo-
derner Bilder mit einem Stück bereichert hat, das Niemand ohne
Lachen ansieht (obwol diess Lachen, wie der gracioso der Co-
mödie, nur eine Zugabe des höflichen Malers war für die, wel-
chen der Genuss seiner ernsten künstlerischen Arbeit nicht ge-
nügt hätte): statt dessen hält man ihm eine Lektion über den
Apoll von Belvedere. —

Der in diesem Bild gegebene mythologische Anstoss wirkt
übrigens noch später fort. Nach Jahren hat er uns auch anver-

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[307/0333] Die Schmiede Vulcans. erbringt, dass auch ein Naturalist die ausgesuchtesten For- men der Antike gebrauchen kann, denn dieser Apollo ist dem belvederischen nachgebildet. Es giebt indess auch in Rom nicht wenige Apollostatuen, die schlimmer sind als unser spanischer, z. B. zwei in der Villa Ludovisi, welche wie alte Castraten aus- sehn, und jeden gesunden Menschen anekeln müssen. So haben also Alterthum und Modernità sich, was den Apollo angeht, nichts vorzuwerfen. Wie dem auch sei, diese Geschmackspriester können über- zeugt sein, dass Velazquez die Schönheit der Antike ebenfalls ge- kannt und gefühlt hat, wünschte er doch auch um ihretwillen in der Villa Medici zu wohnen. Auch hätte er griechische Profile ebenso richtig zeichnen können, wie viele andere, um die sich Niemand bekümmert. Wir glauben auch nicht, dass selbst die Römer einst sein Bild so blind schülerhaft beurtheilt haben. Auf jeden Unbefangenen wird es schon damals einen ähnlichen Eindruck gemacht haben, wie etwa Adolf Menzels Eisengies- serei auf uns. Richard Cumberland, obwol er im Zeitalter des neuklassischen Zopfs schrieb, doch ein Maler, fand gerade, dass der Gegenstand dem Künstler Gelegenheit gegeben habe, seine Kunst im vollsten Umfang zu zeigen. Aber man hat oft gemeint, die wahre Kritik bestehe nicht darin, seinen echten Eindruck zu Wort kommen zu lassen, sondern angesichts der Kunstwerke ästhetische Compendien im Gedächtniss aufzuschlagen, und „sich die Augen auszustechen, um besser durchs Fernrohr zu sehn.“ Es liesse sich hier eine Predigt halten über den Undank des Publicums. Man bescheinigt mit schwülstigen Lobsprüchen die Langeweile, welche das correkt befolgte Recept verursacht hat und straft mit hofmeisterlichen Belehrungen die gute Unter- haltung, die einem abgenöthigt wurde. Statt dem Manne zu dan- ken, dass er auch in der Villa Medici kein akademisches Wasser in seinen Wein gegossen, dass er die langweiligste Klasse mo- derner Bilder mit einem Stück bereichert hat, das Niemand ohne Lachen ansieht (obwol diess Lachen, wie der gracioso der Co- mödie, nur eine Zugabe des höflichen Malers war für die, wel- chen der Genuss seiner ernsten künstlerischen Arbeit nicht ge- nügt hätte): statt dessen hält man ihm eine Lektion über den Apoll von Belvedere. — Der in diesem Bild gegebene mythologische Anstoss wirkt übrigens noch später fort. Nach Jahren hat er uns auch anver-

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/333>, abgerufen am 26.08.2024.