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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Drittes Buch.
Shakespeare im Troilus die trojanischen Helden, er überträgt
den Mythus in den trivialsten Stil der Nationalcomödie. Er
hat seine Modelle nicht bloss zu Studien benutzt, um den kon-
ventionellen Schulformen etwas Naturfrische zu geben: nein, er
bringt ihre sehr gewöhnlichen Porträts, nicht bloss in den Ge-
sichtern unbefangen auf die Leinwand.

Dadurch kam der komische Kontrast hinein zwischen den
vornehm-klassischen Namen und der Familiarität einer Gegen-
wart bescheidenster Stufe. Parodie indess, welche zuweilen die
Reaktion war auf anspruchsvoll hohle Formphrase, lag dem
Maler wol fern. Er nahm wieder den Mythus beim Wort. Er liest
von einem Welterleuchter, dessen tägliche Beschäftigung ist, am
Firmament spazieren zu fahren und sich von schönen Mädchen
umtanzen zu lassen; er kann sich ihn nur vorstellen wie einen
Tänzer in den Mythologien des Corral del principe etwa. So
war es ihm unmöglich den Gott der Eisenindustrie anders denn
als Schmied zu malen. Ein Opernschmied, ein Cyklopenballet
nach akademischen Kontraposten war nicht seine Sache. Er
hat auch wohl ein lahmes Modell, mit etwas verkrümmter Wir-
belsäule ausfindig gemacht.

Der Fremde, der in Rom, wie der Pilger nach den sieben
Basiliken, so der Reihe nach zu dem Apollo in Guido's Aurora,
zu dem belvederischen u. s. w. gewallfahrtet ist, und die Sätze
seines Führers aus der Metaphysik und Archäologie der Schön-
heit an ihnen konstatirt hat, nimmt an einem Jüngling Apollo
mit so einfältigem Profil Aergerniss. "Unter dem Schatten des
Vatican, mit den Mustern des Phidias und Raphael zur Hand,
ist es schwer verständlich, wie Velazquez einen so unedlen (ignoble)
Apollo malen konnte", meint Sir W. Stirling. "Ihm fehlte die
Phantasie, klagt ein anderer, und die ideale Kraft." R. Ford
schien es, "dass dieser Spanier, zum Erweis seiner Unabhängig-
keit, seine niedrigste Abschrift (transscript) der Natur noch herab-
gedrückt habe, um dem Idealen und Göttlichen selbst unter
den Schatten Roms zu trotzen 1)." Man könnte noch hinzufügen,
dass selbst der trotzige Spagnoletto und zwar in demselben
Jahre 1630 einen Apoll mit Marsyas gemalt hat, eine herrliche
Gestalt, in seinem lichtschimmernden Kolorit, die den Beweis

1) Stirling, Annals II, 118 Apollo, "a common-place youngster"; die Cyclopen
seien Grobschmiede der Mancha. Quarterly Review 1872. Ford, Penny Cyclopaedia.

Drittes Buch.
Shakespeare im Troilus die trojanischen Helden, er überträgt
den Mythus in den trivialsten Stil der Nationalcomödie. Er
hat seine Modelle nicht bloss zu Studien benutzt, um den kon-
ventionellen Schulformen etwas Naturfrische zu geben: nein, er
bringt ihre sehr gewöhnlichen Porträts, nicht bloss in den Ge-
sichtern unbefangen auf die Leinwand.

Dadurch kam der komische Kontrast hinein zwischen den
vornehm-klassischen Namen und der Familiarität einer Gegen-
wart bescheidenster Stufe. Parodie indess, welche zuweilen die
Reaktion war auf anspruchsvoll hohle Formphrase, lag dem
Maler wol fern. Er nahm wieder den Mythus beim Wort. Er liest
von einem Welterleuchter, dessen tägliche Beschäftigung ist, am
Firmament spazieren zu fahren und sich von schönen Mädchen
umtanzen zu lassen; er kann sich ihn nur vorstellen wie einen
Tänzer in den Mythologien des Corral del principe etwa. So
war es ihm unmöglich den Gott der Eisenindustrie anders denn
als Schmied zu malen. Ein Opernschmied, ein Cyklopenballet
nach akademischen Kontraposten war nicht seine Sache. Er
hat auch wohl ein lahmes Modell, mit etwas verkrümmter Wir-
belsäule ausfindig gemacht.

Der Fremde, der in Rom, wie der Pilger nach den sieben
Basiliken, so der Reihe nach zu dem Apollo in Guido’s Aurora,
zu dem belvederischen u. s. w. gewallfahrtet ist, und die Sätze
seines Führers aus der Metaphysik und Archäologie der Schön-
heit an ihnen konstatirt hat, nimmt an einem Jüngling Apollo
mit so einfältigem Profil Aergerniss. „Unter dem Schatten des
Vatican, mit den Mustern des Phidias und Raphael zur Hand,
ist es schwer verständlich, wie Velazquez einen so unedlen (ignoble)
Apollo malen konnte“, meint Sir W. Stirling. „Ihm fehlte die
Phantasie, klagt ein anderer, und die ideale Kraft.“ R. Ford
schien es, „dass dieser Spanier, zum Erweis seiner Unabhängig-
keit, seine niedrigste Abschrift (transscript) der Natur noch herab-
gedrückt habe, um dem Idealen und Göttlichen selbst unter
den Schatten Roms zu trotzen 1).“ Man könnte noch hinzufügen,
dass selbst der trotzige Spagnoletto und zwar in demselben
Jahre 1630 einen Apoll mit Marsyas gemalt hat, eine herrliche
Gestalt, in seinem lichtschimmernden Kolorit, die den Beweis

1) Stirling, Annals II, 118 Apollo, „a common-place youngster“; die Cyclopen
seien Grobschmiede der Mancha. Quarterly Review 1872. Ford, Penny Cyclopædia.
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[306/0332] Drittes Buch. Shakespeare im Troilus die trojanischen Helden, er überträgt den Mythus in den trivialsten Stil der Nationalcomödie. Er hat seine Modelle nicht bloss zu Studien benutzt, um den kon- ventionellen Schulformen etwas Naturfrische zu geben: nein, er bringt ihre sehr gewöhnlichen Porträts, nicht bloss in den Ge- sichtern unbefangen auf die Leinwand. Dadurch kam der komische Kontrast hinein zwischen den vornehm-klassischen Namen und der Familiarität einer Gegen- wart bescheidenster Stufe. Parodie indess, welche zuweilen die Reaktion war auf anspruchsvoll hohle Formphrase, lag dem Maler wol fern. Er nahm wieder den Mythus beim Wort. Er liest von einem Welterleuchter, dessen tägliche Beschäftigung ist, am Firmament spazieren zu fahren und sich von schönen Mädchen umtanzen zu lassen; er kann sich ihn nur vorstellen wie einen Tänzer in den Mythologien des Corral del principe etwa. So war es ihm unmöglich den Gott der Eisenindustrie anders denn als Schmied zu malen. Ein Opernschmied, ein Cyklopenballet nach akademischen Kontraposten war nicht seine Sache. Er hat auch wohl ein lahmes Modell, mit etwas verkrümmter Wir- belsäule ausfindig gemacht. Der Fremde, der in Rom, wie der Pilger nach den sieben Basiliken, so der Reihe nach zu dem Apollo in Guido’s Aurora, zu dem belvederischen u. s. w. gewallfahrtet ist, und die Sätze seines Führers aus der Metaphysik und Archäologie der Schön- heit an ihnen konstatirt hat, nimmt an einem Jüngling Apollo mit so einfältigem Profil Aergerniss. „Unter dem Schatten des Vatican, mit den Mustern des Phidias und Raphael zur Hand, ist es schwer verständlich, wie Velazquez einen so unedlen (ignoble) Apollo malen konnte“, meint Sir W. Stirling. „Ihm fehlte die Phantasie, klagt ein anderer, und die ideale Kraft.“ R. Ford schien es, „dass dieser Spanier, zum Erweis seiner Unabhängig- keit, seine niedrigste Abschrift (transscript) der Natur noch herab- gedrückt habe, um dem Idealen und Göttlichen selbst unter den Schatten Roms zu trotzen 1).“ Man könnte noch hinzufügen, dass selbst der trotzige Spagnoletto und zwar in demselben Jahre 1630 einen Apoll mit Marsyas gemalt hat, eine herrliche Gestalt, in seinem lichtschimmernden Kolorit, die den Beweis 1) Stirling, Annals II, 118 Apollo, „a common-place youngster“; die Cyclopen seien Grobschmiede der Mancha. Quarterly Review 1872. Ford, Penny Cyclopædia.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/332>, abgerufen am 28.11.2024.