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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Erstes Buch.
man jene Landschaften wieder, mit ihrem klaren, satten, cyanblauen
Luftton, in die er seine schimmernden Reiterbilder versetzt, oder in
den engen Gassen seiner Städte einen Bauer, einen Bettler, der
aus einem Rahmen des Velazquez herausgeschritten scheint.
Das Museum selbst ist ein Theil dieses Commentars: dort sieht
man die Gesellschaft, die Berge, die Parks in denen er sich
bewegte, die Erzeugnisse italienischen Pinsels die er bewunderte
und studirte und von denen er einige selbst mitgebracht und auf-
gestellt hatte.

Nur wenige bedeutende Stücke sind durch Brand von
Schlössern und Kirchen zerstört worden; Vieles aber ist in den
Stürmen zu Anfang des Jahrhunderts ins Ausland gewandert,
und wohl alles, was sich in Privatbesitz befand. Zu einem voll-
ständigen Ueberblick seines Schaffens gehört die Kenntniss dieser
zweiten zerstreuten -- und beweglichen -- Hälfte seiner Werke.
Niemand bilde sich ein, diesen Maler zu kennen, der die in Eng-
land befindlichen Werke nicht aufgesucht hat. Während das
Madrider Museum allerdings immer ohne Nebenbuhler bleiben
wird als Besitzer aller der fünf grossen Historien und der Reiter-
bilder: so fehlen ihm dagegen manche merkwürdige Stücke, ja
ganze Klassen von Darstellungen. Dahin gehören die Volks-
und Küchenstücke seiner andalusischen Zeit, wie der Wasserträger
bei Lord Wellington, ferner die Typen der hohen Klerisei, wie
der Papst im Palast Doria und der Cardinal in Frankfurt; und mit
einer Ausnahme, die grossen Bildnisse spanischer Damen und das
Unicum seiner Venus. In lieblichen, mit allem Schmelz zarter Ju-
gend und schimmerndem Schmuck ausgestatteten Kinderbildern
übertrifft die Galerie des Belvedere Madrid. Endlich sind die
Scenen der Jagd und der Reitbahn alle in England und last not
least
die wenigen echten Originalskizzen.

Die guten Velazquez ausserhalb Spaniens darf man nicht
gerade in den grossen Galerien suchen. Nirgends erscheinen die
vielregierten öffentlichen Museen so im Nachtheil gegenüber den
Erfolgen der Privatliebhaberei. Die Nationalgalerie Englands
besitzt nur die Ruine der Saujagd, zwei wenig merkwürdige
Darstellungen Philipp IV und die Hirten, welche als Jugend-
werk und Nachahmung zwar von biographischem Werth sind,
aber nicht gerade geeignet, von der Art des Meisters einen
Begriff zu geben. Erst seit Kurzem ist dieser durch ein Ge-
schenk, den Christus an der Säule, dort würdig vertreten.
Obwol fast alle beweglichen Werke des Velazquez, sowie des

Erstes Buch.
man jene Landschaften wieder, mit ihrem klaren, satten, cyanblauen
Luftton, in die er seine schimmernden Reiterbilder versetzt, oder in
den engen Gassen seiner Städte einen Bauer, einen Bettler, der
aus einem Rahmen des Velazquez herausgeschritten scheint.
Das Museum selbst ist ein Theil dieses Commentars: dort sieht
man die Gesellschaft, die Berge, die Parks in denen er sich
bewegte, die Erzeugnisse italienischen Pinsels die er bewunderte
und studirte und von denen er einige selbst mitgebracht und auf-
gestellt hatte.

Nur wenige bedeutende Stücke sind durch Brand von
Schlössern und Kirchen zerstört worden; Vieles aber ist in den
Stürmen zu Anfang des Jahrhunderts ins Ausland gewandert,
und wohl alles, was sich in Privatbesitz befand. Zu einem voll-
ständigen Ueberblick seines Schaffens gehört die Kenntniss dieser
zweiten zerstreuten — und beweglichen — Hälfte seiner Werke.
Niemand bilde sich ein, diesen Maler zu kennen, der die in Eng-
land befindlichen Werke nicht aufgesucht hat. Während das
Madrider Museum allerdings immer ohne Nebenbuhler bleiben
wird als Besitzer aller der fünf grossen Historien und der Reiter-
bilder: so fehlen ihm dagegen manche merkwürdige Stücke, ja
ganze Klassen von Darstellungen. Dahin gehören die Volks-
und Küchenstücke seiner andalusischen Zeit, wie der Wasserträger
bei Lord Wellington, ferner die Typen der hohen Klerisei, wie
der Papst im Palast Doria und der Cardinal in Frankfurt; und mit
einer Ausnahme, die grossen Bildnisse spanischer Damen und das
Unicum seiner Venus. In lieblichen, mit allem Schmelz zarter Ju-
gend und schimmerndem Schmuck ausgestatteten Kinderbildern
übertrifft die Galerie des Belvedere Madrid. Endlich sind die
Scenen der Jagd und der Reitbahn alle in England und last not
least
die wenigen echten Originalskizzen.

Die guten Velazquez ausserhalb Spaniens darf man nicht
gerade in den grossen Galerien suchen. Nirgends erscheinen die
vielregierten öffentlichen Museen so im Nachtheil gegenüber den
Erfolgen der Privatliebhaberei. Die Nationalgalerie Englands
besitzt nur die Ruine der Saujagd, zwei wenig merkwürdige
Darstellungen Philipp IV und die Hirten, welche als Jugend-
werk und Nachahmung zwar von biographischem Werth sind,
aber nicht gerade geeignet, von der Art des Meisters einen
Begriff zu geben. Erst seit Kurzem ist dieser durch ein Ge-
schenk, den Christus an der Säule, dort würdig vertreten.
Obwol fast alle beweglichen Werke des Velazquez, sowie des

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[12/0032] Erstes Buch. man jene Landschaften wieder, mit ihrem klaren, satten, cyanblauen Luftton, in die er seine schimmernden Reiterbilder versetzt, oder in den engen Gassen seiner Städte einen Bauer, einen Bettler, der aus einem Rahmen des Velazquez herausgeschritten scheint. Das Museum selbst ist ein Theil dieses Commentars: dort sieht man die Gesellschaft, die Berge, die Parks in denen er sich bewegte, die Erzeugnisse italienischen Pinsels die er bewunderte und studirte und von denen er einige selbst mitgebracht und auf- gestellt hatte. Nur wenige bedeutende Stücke sind durch Brand von Schlössern und Kirchen zerstört worden; Vieles aber ist in den Stürmen zu Anfang des Jahrhunderts ins Ausland gewandert, und wohl alles, was sich in Privatbesitz befand. Zu einem voll- ständigen Ueberblick seines Schaffens gehört die Kenntniss dieser zweiten zerstreuten — und beweglichen — Hälfte seiner Werke. Niemand bilde sich ein, diesen Maler zu kennen, der die in Eng- land befindlichen Werke nicht aufgesucht hat. Während das Madrider Museum allerdings immer ohne Nebenbuhler bleiben wird als Besitzer aller der fünf grossen Historien und der Reiter- bilder: so fehlen ihm dagegen manche merkwürdige Stücke, ja ganze Klassen von Darstellungen. Dahin gehören die Volks- und Küchenstücke seiner andalusischen Zeit, wie der Wasserträger bei Lord Wellington, ferner die Typen der hohen Klerisei, wie der Papst im Palast Doria und der Cardinal in Frankfurt; und mit einer Ausnahme, die grossen Bildnisse spanischer Damen und das Unicum seiner Venus. In lieblichen, mit allem Schmelz zarter Ju- gend und schimmerndem Schmuck ausgestatteten Kinderbildern übertrifft die Galerie des Belvedere Madrid. Endlich sind die Scenen der Jagd und der Reitbahn alle in England und last not least die wenigen echten Originalskizzen. Die guten Velazquez ausserhalb Spaniens darf man nicht gerade in den grossen Galerien suchen. Nirgends erscheinen die vielregierten öffentlichen Museen so im Nachtheil gegenüber den Erfolgen der Privatliebhaberei. Die Nationalgalerie Englands besitzt nur die Ruine der Saujagd, zwei wenig merkwürdige Darstellungen Philipp IV und die Hirten, welche als Jugend- werk und Nachahmung zwar von biographischem Werth sind, aber nicht gerade geeignet, von der Art des Meisters einen Begriff zu geben. Erst seit Kurzem ist dieser durch ein Ge- schenk, den Christus an der Säule, dort würdig vertreten. Obwol fast alle beweglichen Werke des Velazquez, sowie des

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/32>, abgerufen am 23.11.2024.