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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Zweites Buch.
die Palastwohnung, welche sich unter den Gemächern des Königs
an der Westseite befand; nach seinem Fall wurde sie in hundert
grossen Kisten weggeschafft. Die einzigen Geschenke, die man
wagen konnte ihm anzubieten, waren Kunstwerke und Gemälde 1).
Die grossen Decorationsbilder des Rubens in seiner Kirche zu Loe-
ches, jetzt in Grosvenor House, waren ein Geschenk des Königs.

Diess waren die Anfänge des Staatsmanns, von dem man
gesagt hat, dass er die Monarchie um mehr Länder gebracht
habe, als je ein Eroberer ihr gewonnen, -- des trotzigen und
unglücklichen Nebenbuhlers Richelieu's, den er beneidete, fürch-
tete und vergebens zu stürzen trachtete, -- des Günstlings, der
seinen König beherrschte "nicht wie ein Minister, sondern als
unbeschränkter Lenker aller Staatsgeschäfte" (Correr), -- eines
jener Schicksalsmenschen, wie sie abwärtsgehenden Staaten ihr
böser Genius bescheert.

Die Bildnisse, welche Velazquez am Anfang und Ende
seiner Laufbahn von ihm gemacht hat, gehören zu den ersten
Charakterköpfen der neuern Porträtmalerei.

Dieser Charakter war in hohem Grade labyrinthisch. Sein
raschfassender durchdringender Verstand, sein Muth, sein Eifer
ist nie bezweifelt worden. Er glaubte wol selbst, nur für das
Interesse seines Königs zu wirken, welchen er, dem vorausgreifend
wozu er ihn zu machen sich getraute, El grande genannt hatte.
In ihm hatte der von Carl V Spanien eingeimpfte Instinkt der
Universalherrschaft noch einmal Gestalt gewonnen. Doch solche
Ziele sind bei Menschen dieser Art unzertrennlich von persön-
lichem Ehrgeiz.

Aber er besass kein politisches Temperament, und sein Un-
glück war wol, dass er ohne staatsmännische Schule ans Ruder
kam. Sein Kopf war bizarr und launenhaft, unberechenbar,
borracho nannte ihn eine Satire; geblendet durch das Neue,
ohne Takt in der Wahl seiner Räthe. Er setzte sich beim Be-
ginn eines Unternehmens über die Schwierigkeiten weg, und
verlor die Haltung bei Misserfolgen, welche er solange als es
ging nicht glaubte. Er weinte dann; der König selbst musste
ihn trösten. Das alles unbeschadet einer blinden und tauben

1) Crederei poi, per quanto io giudico, che non riuscisse difficile l'accertare
il gusto del Conte Duca, col donargli alcuna pittura isquisita, che egli n'e assai
vago, et e di natura che ama le blandizie. G. B. Ronchi an den Herzog von Mo-
dena, 15. Sept. 1630.

Zweites Buch.
die Palastwohnung, welche sich unter den Gemächern des Königs
an der Westseite befand; nach seinem Fall wurde sie in hundert
grossen Kisten weggeschafft. Die einzigen Geschenke, die man
wagen konnte ihm anzubieten, waren Kunstwerke und Gemälde 1).
Die grossen Decorationsbilder des Rubens in seiner Kirche zu Loe-
ches, jetzt in Grosvenor House, waren ein Geschenk des Königs.

Diess waren die Anfänge des Staatsmanns, von dem man
gesagt hat, dass er die Monarchie um mehr Länder gebracht
habe, als je ein Eroberer ihr gewonnen, — des trotzigen und
unglücklichen Nebenbuhlers Richelieu’s, den er beneidete, fürch-
tete und vergebens zu stürzen trachtete, — des Günstlings, der
seinen König beherrschte „nicht wie ein Minister, sondern als
unbeschränkter Lenker aller Staatsgeschäfte“ (Correr), — eines
jener Schicksalsmenschen, wie sie abwärtsgehenden Staaten ihr
böser Genius bescheert.

Die Bildnisse, welche Velazquez am Anfang und Ende
seiner Laufbahn von ihm gemacht hat, gehören zu den ersten
Charakterköpfen der neuern Porträtmalerei.

Dieser Charakter war in hohem Grade labyrinthisch. Sein
raschfassender durchdringender Verstand, sein Muth, sein Eifer
ist nie bezweifelt worden. Er glaubte wol selbst, nur für das
Interesse seines Königs zu wirken, welchen er, dem vorausgreifend
wozu er ihn zu machen sich getraute, El grande genannt hatte.
In ihm hatte der von Carl V Spanien eingeimpfte Instinkt der
Universalherrschaft noch einmal Gestalt gewonnen. Doch solche
Ziele sind bei Menschen dieser Art unzertrennlich von persön-
lichem Ehrgeiz.

Aber er besass kein politisches Temperament, und sein Un-
glück war wol, dass er ohne staatsmännische Schule ans Ruder
kam. Sein Kopf war bizarr und launenhaft, unberechenbar,
borracho nannte ihn eine Satire; geblendet durch das Neue,
ohne Takt in der Wahl seiner Räthe. Er setzte sich beim Be-
ginn eines Unternehmens über die Schwierigkeiten weg, und
verlor die Haltung bei Misserfolgen, welche er solange als es
ging nicht glaubte. Er weinte dann; der König selbst musste
ihn trösten. Das alles unbeschadet einer blinden und tauben

1) Crederei poi, per quanto io giudico, che non riuscisse difficile l’accertare
il gusto del Conte Duca, col donargli alcuna pittura isquisita, che egli n’ė assai
vago, et è di natura che ama le blandizie. G. B. Ronchi an den Herzog von Mo-
dena, 15. Sept. 1630.
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[210/0232] Zweites Buch. die Palastwohnung, welche sich unter den Gemächern des Königs an der Westseite befand; nach seinem Fall wurde sie in hundert grossen Kisten weggeschafft. Die einzigen Geschenke, die man wagen konnte ihm anzubieten, waren Kunstwerke und Gemälde 1). Die grossen Decorationsbilder des Rubens in seiner Kirche zu Loe- ches, jetzt in Grosvenor House, waren ein Geschenk des Königs. Diess waren die Anfänge des Staatsmanns, von dem man gesagt hat, dass er die Monarchie um mehr Länder gebracht habe, als je ein Eroberer ihr gewonnen, — des trotzigen und unglücklichen Nebenbuhlers Richelieu’s, den er beneidete, fürch- tete und vergebens zu stürzen trachtete, — des Günstlings, der seinen König beherrschte „nicht wie ein Minister, sondern als unbeschränkter Lenker aller Staatsgeschäfte“ (Correr), — eines jener Schicksalsmenschen, wie sie abwärtsgehenden Staaten ihr böser Genius bescheert. Die Bildnisse, welche Velazquez am Anfang und Ende seiner Laufbahn von ihm gemacht hat, gehören zu den ersten Charakterköpfen der neuern Porträtmalerei. Dieser Charakter war in hohem Grade labyrinthisch. Sein raschfassender durchdringender Verstand, sein Muth, sein Eifer ist nie bezweifelt worden. Er glaubte wol selbst, nur für das Interesse seines Königs zu wirken, welchen er, dem vorausgreifend wozu er ihn zu machen sich getraute, El grande genannt hatte. In ihm hatte der von Carl V Spanien eingeimpfte Instinkt der Universalherrschaft noch einmal Gestalt gewonnen. Doch solche Ziele sind bei Menschen dieser Art unzertrennlich von persön- lichem Ehrgeiz. Aber er besass kein politisches Temperament, und sein Un- glück war wol, dass er ohne staatsmännische Schule ans Ruder kam. Sein Kopf war bizarr und launenhaft, unberechenbar, borracho nannte ihn eine Satire; geblendet durch das Neue, ohne Takt in der Wahl seiner Räthe. Er setzte sich beim Be- ginn eines Unternehmens über die Schwierigkeiten weg, und verlor die Haltung bei Misserfolgen, welche er solange als es ging nicht glaubte. Er weinte dann; der König selbst musste ihn trösten. Das alles unbeschadet einer blinden und tauben 1) Crederei poi, per quanto io giudico, che non riuscisse difficile l’accertare il gusto del Conte Duca, col donargli alcuna pittura isquisita, che egli n’ė assai vago, et è di natura che ama le blandizie. G. B. Ronchi an den Herzog von Mo- dena, 15. Sept. 1630.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/232>, abgerufen am 24.11.2024.