dieser Name war vor hundert Jahren diesseits der Pyrenäen noch wenig gehört worden, am wenigsten in Deutschland. Der Kreis der Maler erster Ordnung schien längst geschlossen, und Niemand ahnte, dass im fernen Westen, in den Schlössern von Madrid und Buen Retiro die Rechtstitel eines Künstlers verborgen waren, der auf einen Sitz unter jenen oberen Göttern vollen An- spruch hatte. Er war freilich aus dem spanischen Vasari in die Abrisse der Künstlerleben übergegangen; aber erst im späten achtzehnten Jahrhundert hat ein deutscher Maler zuerst ihm Platz und Provinz in der Universalkarte der neueren Malerei gegeben. Raphael Mengs, der in seinen Schriften die klassischen Meister pries und zergliederte und eine Neugeburt der Kunst durch deren Verschmelzung und durch das Studium der Antike träumte, wäh- rend er in seinen Werken einer der letzten und mattesten Eklek- tiker blieb, als er im Jahre 1761 den königlichen Gemäldeschatz musterte, sah sich nicht ohne Aufregung (denn er hatte das Auge des Malers) Einem gegenüber, der von allen die ihm bisher vor- gekommen, ihm selbst am unähnlichsten war. In dem was der Sachse den "Stil der Natur" nannte, fand er ihn selbst denjenigen über, welche ihm bisher als dessen Bannerträger gegolten hatten, Tizian, Rembrandt, Gerhard Dow. "Die besten Muster des natürlichen Stils, so schrieb er im Jahre 1776 an Anton Ponz, den Periegeten spanischer Kunst, sind die Werke des Diego Velazquez, durch das Verständniss von Licht und Schatten, durch die Luft zwischen den Dingen, welche das wichtigste Stück sind in diesem Stil, weil sie die Vorstellung der Wahrheit geben."
Was hier Mengs in seiner Weise aussprach, ist schon der Eindruck der Zeitgenossen gewesen. Als der Kammermaler Philipps IV das Bildniss seines Sklaven Juan Pareja im Jahr des Jubiläums im Pantheon zu Rom ausstellte, sagten die Maler nach
Diego de Silva Velazquez
dieser Name war vor hundert Jahren diesseits der Pyrenäen noch wenig gehört worden, am wenigsten in Deutschland. Der Kreis der Maler erster Ordnung schien längst geschlossen, und Niemand ahnte, dass im fernen Westen, in den Schlössern von Madrid und Buen Retiro die Rechtstitel eines Künstlers verborgen waren, der auf einen Sitz unter jenen oberen Göttern vollen An- spruch hatte. Er war freilich aus dem spanischen Vasari in die Abrisse der Künstlerleben übergegangen; aber erst im späten achtzehnten Jahrhundert hat ein deutscher Maler zuerst ihm Platz und Provinz in der Universalkarte der neueren Malerei gegeben. Raphael Mengs, der in seinen Schriften die klassischen Meister pries und zergliederte und eine Neugeburt der Kunst durch deren Verschmelzung und durch das Studium der Antike träumte, wäh- rend er in seinen Werken einer der letzten und mattesten Eklek- tiker blieb, als er im Jahre 1761 den königlichen Gemäldeschatz musterte, sah sich nicht ohne Aufregung (denn er hatte das Auge des Malers) Einem gegenüber, der von allen die ihm bisher vor- gekommen, ihm selbst am unähnlichsten war. In dem was der Sachse den „Stil der Natur“ nannte, fand er ihn selbst denjenigen über, welche ihm bisher als dessen Bannerträger gegolten hatten, Tizian, Rembrandt, Gerhard Dow. „Die besten Muster des natürlichen Stils, so schrieb er im Jahre 1776 an Anton Ponz, den Periegeten spanischer Kunst, sind die Werke des Diego Velazquez, durch das Verständniss von Licht und Schatten, durch die Luft zwischen den Dingen, welche das wichtigste Stück sind in diesem Stil, weil sie die Vorstellung der Wahrheit geben.“
Was hier Mengs in seiner Weise aussprach, ist schon der Eindruck der Zeitgenossen gewesen. Als der Kammermaler Philipps IV das Bildniss seines Sklaven Juan Pareja im Jahr des Jubiläums im Pantheon zu Rom ausstellte, sagten die Maler nach
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0023"n="[3]"/><divn="2"><head><hirendition="#b">Diego de Silva<lb/>
Velazquez</hi></head><lb/><p>dieser Name war vor hundert Jahren diesseits der Pyrenäen<lb/>
noch wenig gehört worden, am wenigsten in Deutschland. Der<lb/>
Kreis der Maler erster Ordnung schien längst geschlossen, und<lb/>
Niemand ahnte, dass im fernen Westen, in den Schlössern von<lb/>
Madrid und Buen Retiro die Rechtstitel eines Künstlers verborgen<lb/>
waren, der auf einen Sitz unter jenen oberen Göttern vollen An-<lb/>
spruch hatte. Er war freilich aus dem spanischen Vasari in die<lb/>
Abrisse der Künstlerleben übergegangen; aber erst im späten<lb/>
achtzehnten Jahrhundert hat ein deutscher Maler zuerst ihm Platz<lb/>
und Provinz in der Universalkarte der neueren Malerei gegeben.<lb/>
Raphael Mengs, der in seinen Schriften die klassischen Meister<lb/>
pries und zergliederte und eine Neugeburt der Kunst durch deren<lb/>
Verschmelzung und durch das Studium der Antike träumte, wäh-<lb/>
rend er in seinen Werken einer der letzten und mattesten Eklek-<lb/>
tiker blieb, als er im Jahre 1761 den königlichen Gemäldeschatz<lb/>
musterte, sah sich nicht ohne Aufregung (denn er hatte das Auge<lb/>
des Malers) Einem gegenüber, der von allen die ihm bisher vor-<lb/>
gekommen, ihm selbst am unähnlichsten war. In dem was der<lb/>
Sachse den „Stil der Natur“ nannte, fand er ihn selbst denjenigen<lb/>
über, welche ihm bisher als dessen Bannerträger gegolten<lb/>
hatten, Tizian, Rembrandt, Gerhard Dow. „Die besten Muster des<lb/>
natürlichen Stils, so schrieb er im Jahre 1776 an Anton Ponz,<lb/>
den Periegeten spanischer Kunst, sind die Werke des Diego<lb/>
Velazquez, durch das Verständniss von Licht und Schatten, durch<lb/>
die Luft zwischen den Dingen, welche das wichtigste Stück sind<lb/>
in diesem Stil, weil sie die Vorstellung der Wahrheit geben.“</p><lb/><p>Was hier Mengs in seiner Weise aussprach, ist schon der<lb/>
Eindruck der Zeitgenossen gewesen. Als der Kammermaler<lb/>
Philipps IV das Bildniss seines Sklaven Juan Pareja im Jahr des<lb/>
Jubiläums im Pantheon zu Rom ausstellte, sagten die Maler nach<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[[3]/0023]
Diego de Silva
Velazquez
dieser Name war vor hundert Jahren diesseits der Pyrenäen
noch wenig gehört worden, am wenigsten in Deutschland. Der
Kreis der Maler erster Ordnung schien längst geschlossen, und
Niemand ahnte, dass im fernen Westen, in den Schlössern von
Madrid und Buen Retiro die Rechtstitel eines Künstlers verborgen
waren, der auf einen Sitz unter jenen oberen Göttern vollen An-
spruch hatte. Er war freilich aus dem spanischen Vasari in die
Abrisse der Künstlerleben übergegangen; aber erst im späten
achtzehnten Jahrhundert hat ein deutscher Maler zuerst ihm Platz
und Provinz in der Universalkarte der neueren Malerei gegeben.
Raphael Mengs, der in seinen Schriften die klassischen Meister
pries und zergliederte und eine Neugeburt der Kunst durch deren
Verschmelzung und durch das Studium der Antike träumte, wäh-
rend er in seinen Werken einer der letzten und mattesten Eklek-
tiker blieb, als er im Jahre 1761 den königlichen Gemäldeschatz
musterte, sah sich nicht ohne Aufregung (denn er hatte das Auge
des Malers) Einem gegenüber, der von allen die ihm bisher vor-
gekommen, ihm selbst am unähnlichsten war. In dem was der
Sachse den „Stil der Natur“ nannte, fand er ihn selbst denjenigen
über, welche ihm bisher als dessen Bannerträger gegolten
hatten, Tizian, Rembrandt, Gerhard Dow. „Die besten Muster des
natürlichen Stils, so schrieb er im Jahre 1776 an Anton Ponz,
den Periegeten spanischer Kunst, sind die Werke des Diego
Velazquez, durch das Verständniss von Licht und Schatten, durch
die Luft zwischen den Dingen, welche das wichtigste Stück sind
in diesem Stil, weil sie die Vorstellung der Wahrheit geben.“
Was hier Mengs in seiner Weise aussprach, ist schon der
Eindruck der Zeitgenossen gewesen. Als der Kammermaler
Philipps IV das Bildniss seines Sklaven Juan Pareja im Jahr des
Jubiläums im Pantheon zu Rom ausstellte, sagten die Maler nach
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. [3]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/23>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.