Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.
Zweites Buch. ohne Handlung, in der Mitte der weiten leeren grauen Fläche,gleich einer geschliffenen Marmorplatte, der phlegmatische Stolz, nur in holländischer Version, der roth ausgeschlagene Lehnsessel oder Tisch mit dem Hut darauf, -- sollten diese und andere Uebereinstimmungen das Maass des Zufälligen überschreiten? Velazquez war übrigens im Bildniss nur Dolmetscher des spa- nischen Hofstils; auf diesen muss auch Terburg in seinem Verkehr mit Pennaranda in Münster eingegangen sein. Bekannt ist, wie die unabhängigen Holländer ihren früheren Tyrannen gern die vornehmen und hochfahrenden Allüren absahen. Ein Zug der bei allen diesen Bildnissen sofort auffällt, ist Solche Bildnisse geben zwar eine deutliche Vorstellung von Es kann nur wenig später entstanden sein, als das vorher- 1) John Burnet, practical hints on portrait painting. London 1860. 4°. S. 35 f. Der Maler Wilkie nannte Velazquez "Teniers on a large scale". 2) Gekauft nach Curtis (Nr. 107) von Nieuwenhuys, kann aber nicht das
Bildniss der Sammlung von Alton Towers sein, wo der König nach Passavant (Kunstreise II, 118) einen Löwen zu seinen Füssen hatte. Zweites Buch. ohne Handlung, in der Mitte der weiten leeren grauen Fläche,gleich einer geschliffenen Marmorplatte, der phlegmatische Stolz, nur in holländischer Version, der roth ausgeschlagene Lehnsessel oder Tisch mit dem Hut darauf, — sollten diese und andere Uebereinstimmungen das Maass des Zufälligen überschreiten? Velazquez war übrigens im Bildniss nur Dolmetscher des spa- nischen Hofstils; auf diesen muss auch Terburg in seinem Verkehr mit Peñaranda in Münster eingegangen sein. Bekannt ist, wie die unabhängigen Holländer ihren früheren Tyrannen gern die vornehmen und hochfahrenden Allüren absahen. Ein Zug der bei allen diesen Bildnissen sofort auffällt, ist Solche Bildnisse geben zwar eine deutliche Vorstellung von Es kann nur wenig später entstanden sein, als das vorher- 1) John Burnet, practical hints on portrait painting. London 1860. 4°. S. 35 f. Der Maler Wilkie nannte Velazquez „Teniers on a large scale“. 2) Gekauft nach Curtis (Nr. 107) von Nieuwenhuys, kann aber nicht das
Bildniss der Sammlung von Alton Towers sein, wo der König nach Passavant (Kunstreise II, 118) einen Löwen zu seinen Füssen hatte. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0226" n="204"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch.</fw><lb/> ohne Handlung, in der Mitte der weiten leeren grauen Fläche,<lb/> gleich einer geschliffenen Marmorplatte, der phlegmatische Stolz,<lb/> nur in holländischer Version, der roth ausgeschlagene Lehnsessel<lb/> oder Tisch mit dem Hut darauf, — sollten diese und andere<lb/> Uebereinstimmungen das Maass des Zufälligen überschreiten?<lb/> Velazquez war übrigens im Bildniss nur Dolmetscher des spa-<lb/> nischen Hofstils; auf diesen muss auch Terburg in seinem<lb/> Verkehr mit Peñaranda in Münster eingegangen sein. Bekannt<lb/> ist, wie die unabhängigen Holländer ihren früheren Tyrannen<lb/> gern die vornehmen und hochfahrenden Allüren absahen.</p><lb/> <p>Ein Zug der bei allen diesen Bildnissen sofort auffällt, ist<lb/> der hohe Augenpunkt. Während Tizian sass, so stand Velaz-<lb/> quez bei der Aufnahme. Deshalb sind die Linien des meist hellen<lb/> Dielenbodens stark ansteigend, aber bei der geringen Ausfüh-<lb/> rung perspektivisch nicht überzeugend. Die Figur scheint auf<lb/> einem Dache, auf den Zehen zu stehen, zuweilen gar zu schwe-<lb/> ben. Gleichwol liegt das Gesicht, wie bei den Malern Venedigs<lb/> über dem Augenpunkt: wahrscheinlich stand der König auf einer<lb/> Estrade. Die Venezianer hatten schon den niedrigen Horizont<lb/> eingeführt, fast im Niveau der Füsse, weil er der Figur Grösse<lb/> giebt, ohne dass sie freilich, in malerisch berechtigter Inconse-<lb/> quenz, auch das Gesicht nach diesem tiefen Augenpunkt zeich-<lb/> neten, welches sonst zu stark verkürzt erscheinen würde<note place="foot" n="1)">John Burnet, practical hints on portrait painting. London 1860. 4°.<lb/> S. 35 f. Der Maler Wilkie nannte Velazquez „Teniers on a large scale“.</note>.</p><lb/> <p>Solche Bildnisse geben zwar eine deutliche Vorstellung von<lb/> der ersten Manier, doch wird man den Eindruck haben, dass sie<lb/> jenen Enthusiasmus nicht ganz begreiflich machen. Diess scheint<lb/> eher der Fall zu sein bei einem königlichen Porträt das nach<lb/> England gekommen ist und zur Zeit M<hi rendition="#sup">r</hi>. R. S. Holford gehört,<lb/> in Dorchesterhouse<note place="foot" n="2)">Gekauft nach Curtis (Nr. 107) von Nieuwenhuys, kann aber nicht das<lb/> Bildniss der Sammlung von Alton Towers sein, wo der König nach Passavant<lb/> (Kunstreise II, 118) einen Löwen zu seinen Füssen hatte.</note>.</p><lb/> <p>Es kann nur wenig später entstanden sein, als das vorher-<lb/> gehende. Der junge König, bei dem der Keim des <hi rendition="#i">bigote</hi> schon<lb/> deutlicher ist, steht in ähnlicher Wendung, aber vollständig<lb/> equipirt fürs Feld. In der Rechten den Kommandostab, die<lb/> Linke an der Koppel des waagerecht stehenden Degens. Ueber<lb/> dem Ringpanzer, von dem nur ein Stückchen unter dem Hals<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [204/0226]
Zweites Buch.
ohne Handlung, in der Mitte der weiten leeren grauen Fläche,
gleich einer geschliffenen Marmorplatte, der phlegmatische Stolz,
nur in holländischer Version, der roth ausgeschlagene Lehnsessel
oder Tisch mit dem Hut darauf, — sollten diese und andere
Uebereinstimmungen das Maass des Zufälligen überschreiten?
Velazquez war übrigens im Bildniss nur Dolmetscher des spa-
nischen Hofstils; auf diesen muss auch Terburg in seinem
Verkehr mit Peñaranda in Münster eingegangen sein. Bekannt
ist, wie die unabhängigen Holländer ihren früheren Tyrannen
gern die vornehmen und hochfahrenden Allüren absahen.
Ein Zug der bei allen diesen Bildnissen sofort auffällt, ist
der hohe Augenpunkt. Während Tizian sass, so stand Velaz-
quez bei der Aufnahme. Deshalb sind die Linien des meist hellen
Dielenbodens stark ansteigend, aber bei der geringen Ausfüh-
rung perspektivisch nicht überzeugend. Die Figur scheint auf
einem Dache, auf den Zehen zu stehen, zuweilen gar zu schwe-
ben. Gleichwol liegt das Gesicht, wie bei den Malern Venedigs
über dem Augenpunkt: wahrscheinlich stand der König auf einer
Estrade. Die Venezianer hatten schon den niedrigen Horizont
eingeführt, fast im Niveau der Füsse, weil er der Figur Grösse
giebt, ohne dass sie freilich, in malerisch berechtigter Inconse-
quenz, auch das Gesicht nach diesem tiefen Augenpunkt zeich-
neten, welches sonst zu stark verkürzt erscheinen würde 1).
Solche Bildnisse geben zwar eine deutliche Vorstellung von
der ersten Manier, doch wird man den Eindruck haben, dass sie
jenen Enthusiasmus nicht ganz begreiflich machen. Diess scheint
eher der Fall zu sein bei einem königlichen Porträt das nach
England gekommen ist und zur Zeit Mr. R. S. Holford gehört,
in Dorchesterhouse 2).
Es kann nur wenig später entstanden sein, als das vorher-
gehende. Der junge König, bei dem der Keim des bigote schon
deutlicher ist, steht in ähnlicher Wendung, aber vollständig
equipirt fürs Feld. In der Rechten den Kommandostab, die
Linke an der Koppel des waagerecht stehenden Degens. Ueber
dem Ringpanzer, von dem nur ein Stückchen unter dem Hals
1) John Burnet, practical hints on portrait painting. London 1860. 4°.
S. 35 f. Der Maler Wilkie nannte Velazquez „Teniers on a large scale“.
2) Gekauft nach Curtis (Nr. 107) von Nieuwenhuys, kann aber nicht das
Bildniss der Sammlung von Alton Towers sein, wo der König nach Passavant
(Kunstreise II, 118) einen Löwen zu seinen Füssen hatte.
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| Zitationshilfe: | Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/226>, abgerufen am 25.11.2024. |
