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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Philipp der Vierte.
dem Maler später nicht mehr vor. Künstlern, welche auf Einheit
der Wirkung ausgehen, sind die Hände nie bequem gewesen.
Sie machen dem Antlitz in Farbe und Ausdruck Concurrenz. Die
deutschen und niederländischen Porträtisten des sechszehnten Jahr-
hunderts freilich fürchteten diese zerstreuende Wirkung so wenig,
dass sie die Hände in pantomimisch lebhaftem Fingerspiel plastisch
täuschend vordrängten; sie nöthigen das Auge sich mit ihnen zu
beschäftigen und beunruhigen es, da man nicht immer sieht was
sie wollen. Auch bei van Dyck sollen sie viel vorstellen, aber da
er sie zugleich kokett und schablonenhaft behandelt, so ist die
Wirkung eher fade. Velazquez ist immer mehr darauf aus sie
unschädlich zu machen. Ausser der überlieferten, conventionellen
Fesselung in bedeutungsloser Function, an Stuhllehne, Degen-
koppel, steckt er sie in Handschuhe verschiedener Art, lässt sie
halb verschwinden in einem weissen Taschentuch, schliesst die
geschwätzigen Finger fest zusammen in einem faustartigen,
eigentlich unschönen Griff, oder lässt sie im skizzenhaften Embryo-
zustand, fertigt sie ab mit einer leeren Contour.

Auch die Beine sind eine Verlegenheit des Bildnissmalers,
besonders bei solchen kurzen Wämsern und enganschliessenden
weissen Strümpfen. Im vorigen Jahrhundert nahmen Monarchen
und Feldherrn gern die auseinanderstehende, gespreizte Pose Hein-
rich VIII an, wie man sie z. B. noch an Mor's Bildniss Maximi-
lian II im Prado sieht. Jetzt rückt man sie nicht nur nahe bei-
sammen, man nimmt die Figur von der Schmalseite, so dass sich
die Beine fast ganz decken. In Folge davon erscheint die Ge-
stalt überaus schlank. Die Täuschung ist so vollkommen, dass Phi-
lipp IV, der nach den Zeitgenossen zwar zierliche (gracile) und
ebenmässige, aber mittlere (mediana) Verhältnisse hatte, lang
aussieht; und man ist erstaunt, beim Nachmessen kaum sieben
Kopflängen zu finden. In derselben Absicht ist der Kopf nahe
an den obern Rand gerückt, was die Figur ebenfalls höher macht.
Die beschriebene Stellung findet sich übrigens auch bei Nieder-
ländern, z. B. in dem kleinen Bildniss des Winterkönigs von
Gonzales Coques in der Bridgewater Galerie (Nr. 155) und sehr
oft bei Gerhard Terburg, dessen Bildnisse in ganzer Figur wie
ins kleine und feine übertragene Velazquez des ersten Stils aus-
sehn. W. Bürger, dem diese Aehnlichkeit zuerst auffiel, glaubte,
da Terburg in Madrid gewesen sein soll, Nachahmung annehmen
zu können, worin ihm ein Kenner des holländischen Malers,
W. Bode beitritt. Die in den schwarzen Mantel gehüllte Gestalt,

Philipp der Vierte.
dem Maler später nicht mehr vor. Künstlern, welche auf Einheit
der Wirkung ausgehen, sind die Hände nie bequem gewesen.
Sie machen dem Antlitz in Farbe und Ausdruck Concurrenz. Die
deutschen und niederländischen Porträtisten des sechszehnten Jahr-
hunderts freilich fürchteten diese zerstreuende Wirkung so wenig,
dass sie die Hände in pantomimisch lebhaftem Fingerspiel plastisch
täuschend vordrängten; sie nöthigen das Auge sich mit ihnen zu
beschäftigen und beunruhigen es, da man nicht immer sieht was
sie wollen. Auch bei van Dyck sollen sie viel vorstellen, aber da
er sie zugleich kokett und schablonenhaft behandelt, so ist die
Wirkung eher fade. Velazquez ist immer mehr darauf aus sie
unschädlich zu machen. Ausser der überlieferten, conventionellen
Fesselung in bedeutungsloser Function, an Stuhllehne, Degen-
koppel, steckt er sie in Handschuhe verschiedener Art, lässt sie
halb verschwinden in einem weissen Taschentuch, schliesst die
geschwätzigen Finger fest zusammen in einem faustartigen,
eigentlich unschönen Griff, oder lässt sie im skizzenhaften Embryo-
zustand, fertigt sie ab mit einer leeren Contour.

Auch die Beine sind eine Verlegenheit des Bildnissmalers,
besonders bei solchen kurzen Wämsern und enganschliessenden
weissen Strümpfen. Im vorigen Jahrhundert nahmen Monarchen
und Feldherrn gern die auseinanderstehende, gespreizte Pose Hein-
rich VIII an, wie man sie z. B. noch an Mor’s Bildniss Maximi-
lian II im Prado sieht. Jetzt rückt man sie nicht nur nahe bei-
sammen, man nimmt die Figur von der Schmalseite, so dass sich
die Beine fast ganz decken. In Folge davon erscheint die Ge-
stalt überaus schlank. Die Täuschung ist so vollkommen, dass Phi-
lipp IV, der nach den Zeitgenossen zwar zierliche (gracile) und
ebenmässige, aber mittlere (mediana) Verhältnisse hatte, lang
aussieht; und man ist erstaunt, beim Nachmessen kaum sieben
Kopflängen zu finden. In derselben Absicht ist der Kopf nahe
an den obern Rand gerückt, was die Figur ebenfalls höher macht.
Die beschriebene Stellung findet sich übrigens auch bei Nieder-
ländern, z. B. in dem kleinen Bildniss des Winterkönigs von
Gonzales Coques in der Bridgewater Galerie (Nr. 155) und sehr
oft bei Gerhard Terburg, dessen Bildnisse in ganzer Figur wie
ins kleine und feine übertragene Velazquez des ersten Stils aus-
sehn. W. Bürger, dem diese Aehnlichkeit zuerst auffiel, glaubte,
da Terburg in Madrid gewesen sein soll, Nachahmung annehmen
zu können, worin ihm ein Kenner des holländischen Malers,
W. Bode beitritt. Die in den schwarzen Mantel gehüllte Gestalt,

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[203/0225] Philipp der Vierte. dem Maler später nicht mehr vor. Künstlern, welche auf Einheit der Wirkung ausgehen, sind die Hände nie bequem gewesen. Sie machen dem Antlitz in Farbe und Ausdruck Concurrenz. Die deutschen und niederländischen Porträtisten des sechszehnten Jahr- hunderts freilich fürchteten diese zerstreuende Wirkung so wenig, dass sie die Hände in pantomimisch lebhaftem Fingerspiel plastisch täuschend vordrängten; sie nöthigen das Auge sich mit ihnen zu beschäftigen und beunruhigen es, da man nicht immer sieht was sie wollen. Auch bei van Dyck sollen sie viel vorstellen, aber da er sie zugleich kokett und schablonenhaft behandelt, so ist die Wirkung eher fade. Velazquez ist immer mehr darauf aus sie unschädlich zu machen. Ausser der überlieferten, conventionellen Fesselung in bedeutungsloser Function, an Stuhllehne, Degen- koppel, steckt er sie in Handschuhe verschiedener Art, lässt sie halb verschwinden in einem weissen Taschentuch, schliesst die geschwätzigen Finger fest zusammen in einem faustartigen, eigentlich unschönen Griff, oder lässt sie im skizzenhaften Embryo- zustand, fertigt sie ab mit einer leeren Contour. Auch die Beine sind eine Verlegenheit des Bildnissmalers, besonders bei solchen kurzen Wämsern und enganschliessenden weissen Strümpfen. Im vorigen Jahrhundert nahmen Monarchen und Feldherrn gern die auseinanderstehende, gespreizte Pose Hein- rich VIII an, wie man sie z. B. noch an Mor’s Bildniss Maximi- lian II im Prado sieht. Jetzt rückt man sie nicht nur nahe bei- sammen, man nimmt die Figur von der Schmalseite, so dass sich die Beine fast ganz decken. In Folge davon erscheint die Ge- stalt überaus schlank. Die Täuschung ist so vollkommen, dass Phi- lipp IV, der nach den Zeitgenossen zwar zierliche (gracile) und ebenmässige, aber mittlere (mediana) Verhältnisse hatte, lang aussieht; und man ist erstaunt, beim Nachmessen kaum sieben Kopflängen zu finden. In derselben Absicht ist der Kopf nahe an den obern Rand gerückt, was die Figur ebenfalls höher macht. Die beschriebene Stellung findet sich übrigens auch bei Nieder- ländern, z. B. in dem kleinen Bildniss des Winterkönigs von Gonzales Coques in der Bridgewater Galerie (Nr. 155) und sehr oft bei Gerhard Terburg, dessen Bildnisse in ganzer Figur wie ins kleine und feine übertragene Velazquez des ersten Stils aus- sehn. W. Bürger, dem diese Aehnlichkeit zuerst auffiel, glaubte, da Terburg in Madrid gewesen sein soll, Nachahmung annehmen zu können, worin ihm ein Kenner des holländischen Malers, W. Bode beitritt. Die in den schwarzen Mantel gehüllte Gestalt,

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/225>, abgerufen am 24.11.2024.