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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Zweites Buch.

In der Figur mit der Bittschrift (Ebenda 1070. 2,01 x 1,02),
stimmt der Kopf so genau mit dem vorigen überein, dass man
ihn ohne eine leichte Abmagerung für eine Wiederholung halten
würde. Der König steht, ganz in Schwarz, neben einem rothge-
deckten Tisch, auf dem der hohe Hut liegt. Eine hagere phleg-
matische Figur, in äusserst gravitätischer Haltung (portato grave),
diesem "Geheimniss des Körpers zur Verschleierung der Mängel
des Geistes". Man vermisst den sanften (placido) gütigen Aus-
druck, den die Gesandten in Philipps Gesicht fanden, und der
von einer klangvollen angenehmen Stimme begleitet wurde. So
stand er, unbeweglich, wenn er Audienz ertheilte, nur der Arm
bewegte sich, wenn er den Hut lüftete, ohne Mienenspiel kamen
die wenigen, abgemessenen, allgemeinen, stereotypen Antworten
aus seinem Munde.

Die Hände sind gut geformt, wolgenährt, weiss, vornehm, und
trefflich modellirt, wie die der Madonna in den "Hirten". Die
Linke ruht am Degen, nicht an der Tischecke (daher im Tische
kein perspectivischer Fehler!). Die herabhängende Rechte hält
eine Depesche. Oder ist es eine Bittschrift? Er pflegte die Me-
moriale entgegenzunehmen, wenn er sich morgens begleitet vom
Nuntius und den Gesandten in die Kapelle begab; händigte sie
aber sofort den Räthen ein. Königliche Bildnisse mit solchen
Papieren scheinen früher nicht vorzukommen; soll es ein Be-
kenntniss zur Regentenpflicht sein, das Versprechen selbst zu re-
gieren, die unmittelbare Beziehung zu den Vasallen andeuten?
Der König ist der erste Beamte! Die Gedanken früherer, be-
sonders grösserer Zeitalter beherrschen noch oft als Anspruch,
Form, Theorie die folgenden, ganz verwandelten. So haben wir
hier den Roi qui s' amuse, den Re cerimonioso (Querini), der be-
harrlich die Maske des nüchternen, schlichten, unermüdlichen Ge-
schäftsmannes vornimmt, seinen Grossvater Don Felipe el pru-
dente
kopiert, der die Eitelkeiten verachtete und die Welt mit
einem Blatt Papier regierte1).

Solche breite, weisse, wolmodellirte Hände kommen bei

1) Eine Wiederholung dieser Figur besass der Marques de Leganes, Olivares'
Vetter. Sie kam in das Haus Altamira, wurde von den Franzosen mitgenommen,
von Louis XVIII zurückerstattet, und mit jener Sammlung zu London 1827 ver-
kauft, für £ 29, 18 s. Sie befindet sich jetzt in W. R. Bankes' Landsitz Kingston
Lacy. S. Curtis Nr. 116. Bezeichnet R. PHE. 4. Das Bildniss im Palast des
Duque de Villahermosa zu Madrid, in ungefähr demselben Alter, ist eine alte
Schulkopie. Es stammt von dem Herzog von Narros.
Zweites Buch.

In der Figur mit der Bittschrift (Ebenda 1070. 2,01 × 1,02),
stimmt der Kopf so genau mit dem vorigen überein, dass man
ihn ohne eine leichte Abmagerung für eine Wiederholung halten
würde. Der König steht, ganz in Schwarz, neben einem rothge-
deckten Tisch, auf dem der hohe Hut liegt. Eine hagere phleg-
matische Figur, in äusserst gravitätischer Haltung (portato grave),
diesem „Geheimniss des Körpers zur Verschleierung der Mängel
des Geistes“. Man vermisst den sanften (placido) gütigen Aus-
druck, den die Gesandten in Philipps Gesicht fanden, und der
von einer klangvollen angenehmen Stimme begleitet wurde. So
stand er, unbeweglich, wenn er Audienz ertheilte, nur der Arm
bewegte sich, wenn er den Hut lüftete, ohne Mienenspiel kamen
die wenigen, abgemessenen, allgemeinen, stereotypen Antworten
aus seinem Munde.

Die Hände sind gut geformt, wolgenährt, weiss, vornehm, und
trefflich modellirt, wie die der Madonna in den „Hirten“. Die
Linke ruht am Degen, nicht an der Tischecke (daher im Tische
kein perspectivischer Fehler!). Die herabhängende Rechte hält
eine Depesche. Oder ist es eine Bittschrift? Er pflegte die Me-
moriale entgegenzunehmen, wenn er sich morgens begleitet vom
Nuntius und den Gesandten in die Kapelle begab; händigte sie
aber sofort den Räthen ein. Königliche Bildnisse mit solchen
Papieren scheinen früher nicht vorzukommen; soll es ein Be-
kenntniss zur Regentenpflicht sein, das Versprechen selbst zu re-
gieren, die unmittelbare Beziehung zu den Vasallen andeuten?
Der König ist der erste Beamte! Die Gedanken früherer, be-
sonders grösserer Zeitalter beherrschen noch oft als Anspruch,
Form, Theorie die folgenden, ganz verwandelten. So haben wir
hier den Roi qui s’ amuse, den Rè cerimonioso (Querini), der be-
harrlich die Maske des nüchternen, schlichten, unermüdlichen Ge-
schäftsmannes vornimmt, seinen Grossvater Don Felipe el pru-
dente
kopiert, der die Eitelkeiten verachtete und die Welt mit
einem Blatt Papier regierte1).

Solche breite, weisse, wolmodellirte Hände kommen bei

1) Eine Wiederholung dieser Figur besass der Marques de Leganés, Olivares’
Vetter. Sie kam in das Haus Altamira, wurde von den Franzosen mitgenommen,
von Louis XVIII zurückerstattet, und mit jener Sammlung zu London 1827 ver-
kauft, für £ 29, 18 s. Sie befindet sich jetzt in W. R. Bankes’ Landsitz Kingston
Lacy. S. Curtis Nr. 116. Bezeichnet R. PHE. 4. Das Bildniss im Palast des
Duque de Villahermosa zu Madrid, in ungefähr demselben Alter, ist eine alte
Schulkopie. Es stammt von dem Herzog von Narros.
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[202/0224] Zweites Buch. In der Figur mit der Bittschrift (Ebenda 1070. 2,01 × 1,02), stimmt der Kopf so genau mit dem vorigen überein, dass man ihn ohne eine leichte Abmagerung für eine Wiederholung halten würde. Der König steht, ganz in Schwarz, neben einem rothge- deckten Tisch, auf dem der hohe Hut liegt. Eine hagere phleg- matische Figur, in äusserst gravitätischer Haltung (portato grave), diesem „Geheimniss des Körpers zur Verschleierung der Mängel des Geistes“. Man vermisst den sanften (placido) gütigen Aus- druck, den die Gesandten in Philipps Gesicht fanden, und der von einer klangvollen angenehmen Stimme begleitet wurde. So stand er, unbeweglich, wenn er Audienz ertheilte, nur der Arm bewegte sich, wenn er den Hut lüftete, ohne Mienenspiel kamen die wenigen, abgemessenen, allgemeinen, stereotypen Antworten aus seinem Munde. Die Hände sind gut geformt, wolgenährt, weiss, vornehm, und trefflich modellirt, wie die der Madonna in den „Hirten“. Die Linke ruht am Degen, nicht an der Tischecke (daher im Tische kein perspectivischer Fehler!). Die herabhängende Rechte hält eine Depesche. Oder ist es eine Bittschrift? Er pflegte die Me- moriale entgegenzunehmen, wenn er sich morgens begleitet vom Nuntius und den Gesandten in die Kapelle begab; händigte sie aber sofort den Räthen ein. Königliche Bildnisse mit solchen Papieren scheinen früher nicht vorzukommen; soll es ein Be- kenntniss zur Regentenpflicht sein, das Versprechen selbst zu re- gieren, die unmittelbare Beziehung zu den Vasallen andeuten? Der König ist der erste Beamte! Die Gedanken früherer, be- sonders grösserer Zeitalter beherrschen noch oft als Anspruch, Form, Theorie die folgenden, ganz verwandelten. So haben wir hier den Roi qui s’ amuse, den Rè cerimonioso (Querini), der be- harrlich die Maske des nüchternen, schlichten, unermüdlichen Ge- schäftsmannes vornimmt, seinen Grossvater Don Felipe el pru- dente kopiert, der die Eitelkeiten verachtete und die Welt mit einem Blatt Papier regierte 1). Solche breite, weisse, wolmodellirte Hände kommen bei 1) Eine Wiederholung dieser Figur besass der Marques de Leganés, Olivares’ Vetter. Sie kam in das Haus Altamira, wurde von den Franzosen mitgenommen, von Louis XVIII zurückerstattet, und mit jener Sammlung zu London 1827 ver- kauft, für £ 29, 18 s. Sie befindet sich jetzt in W. R. Bankes’ Landsitz Kingston Lacy. S. Curtis Nr. 116. Bezeichnet R. PHE. 4. Das Bildniss im Palast des Duque de Villahermosa zu Madrid, in ungefähr demselben Alter, ist eine alte Schulkopie. Es stammt von dem Herzog von Narros.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/224>, abgerufen am 22.11.2024.