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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Zweites Buch.
sen blauen Augen unter der steilen Stirn, zwischen blondem, steif
gekräuseltem Haar; mit den starken, platten Lippen und dem massi-
ven Kinn. Ueber dem allen der Ausdruck des jede Annäherung
ablehnenden, jede Aeusserung verschliessenden Stolzes. Nur
einmal, in der Mitte dieser Zeit hat sich das Gesicht thatenlustig
belebt; aber gleich darauf sinkt es wieder zurück in Starrheit
und Apathie. In 37 Jahren ist er keinmal aus seiner Rolle ge-
fallen, -- auch als das Feuer die Coulissen ergriff. Man sagt,
er habe nur dreimal in seinem Leben gelacht; dagegen liessen
sich zwar, wenn es der Mühe werth wäre, Beweise beibringen;
allein Calderon spielt im "Arzt seiner Ehre" offenbar darauf an1).

Wie mag jenes verlorene grosse Reiterbild von 1623 aus-
gesehen haben, mit welchem Velazquez einen so durchschlagen-
den Erfolg erzielte? Davon können eine Reihe Figuren und Halb-
figuren aus jenen Jahren einen Begriff geben.

Aeusserlich und stofflich schliessen sie sich ziemlich eng an
die früheren Darstellungen königlicher Personen. Stellung
und Geberde sind viel mehr etikettemässig als malerisch, die
Ausführung ist sorgfältig und verräth eine Kenntniss aller Einzel-
heiten der Toilette, die vor den Fachmännern der Civil- und
Militärgarderobe des Hofs bestehen würde; sie könnten daraus
nach Stoff und Facon wiederhergestellt werden. Keine Künstler-
einfälle in malerisch zufälligen Attitüden lockern die strenge Con-
vention, wie die welche sich von van Dyck seine Gönner ge-
fallen liessen. Diese Porträts scheinen die Dynastie der Anton
Mor, Sanchez Coello und Pantoja fortzusetzen. Ja vergleicht
man sie mit denen des Utrechters, so wird man den Eindruck
haben, dass dieser sich in Stellung, Beschäftigung der Hände,
Ausdruck mehr Freiheit erlaubte. Jener ist durchweg ceremoniös
und apathisch, der sosiego überzieht die Züge wie die Schminke
die des Schauspielers in der Charakterrolle. Nur die Wendung des
Kopfes und der oft scharfe Seitenblick belebt sie. Auf diesen
Blick ist der Hauptnachdruck gelegt. Es ist ein merkwürdiger,
magischer Blick, der den Beobachter unbeweglich, kalt fixirt,
ihm überallhin folgt, aber doch in keine persönliche Beziehung
zu ihm tritt. Seine Menschen machen keine Conversation mit
dem Betrachter, wie jene lebhaften Bildnisse eines Lorenzo Lotto,
eines Moroni und Moreto. Sie gehn nicht aus sich heraus. Es

1) Das Lachen ist eine specifische Fähigkeit des Menschen, denn der
Mensch ist pasible animal: "y el Rey, contra el orden y arte, no quiere reir."

Zweites Buch.
sen blauen Augen unter der steilen Stirn, zwischen blondem, steif
gekräuseltem Haar; mit den starken, platten Lippen und dem massi-
ven Kinn. Ueber dem allen der Ausdruck des jede Annäherung
ablehnenden, jede Aeusserung verschliessenden Stolzes. Nur
einmal, in der Mitte dieser Zeit hat sich das Gesicht thatenlustig
belebt; aber gleich darauf sinkt es wieder zurück in Starrheit
und Apathie. In 37 Jahren ist er keinmal aus seiner Rolle ge-
fallen, — auch als das Feuer die Coulissen ergriff. Man sagt,
er habe nur dreimal in seinem Leben gelacht; dagegen liessen
sich zwar, wenn es der Mühe werth wäre, Beweise beibringen;
allein Calderon spielt im „Arzt seiner Ehre“ offenbar darauf an1).

Wie mag jenes verlorene grosse Reiterbild von 1623 aus-
gesehen haben, mit welchem Velazquez einen so durchschlagen-
den Erfolg erzielte? Davon können eine Reihe Figuren und Halb-
figuren aus jenen Jahren einen Begriff geben.

Aeusserlich und stofflich schliessen sie sich ziemlich eng an
die früheren Darstellungen königlicher Personen. Stellung
und Geberde sind viel mehr etikettemässig als malerisch, die
Ausführung ist sorgfältig und verräth eine Kenntniss aller Einzel-
heiten der Toilette, die vor den Fachmännern der Civil- und
Militärgarderobe des Hofs bestehen würde; sie könnten daraus
nach Stoff und Façon wiederhergestellt werden. Keine Künstler-
einfälle in malerisch zufälligen Attitüden lockern die strenge Con-
vention, wie die welche sich von van Dyck seine Gönner ge-
fallen liessen. Diese Porträts scheinen die Dynastie der Anton
Mor, Sanchez Coello und Pantoja fortzusetzen. Ja vergleicht
man sie mit denen des Utrechters, so wird man den Eindruck
haben, dass dieser sich in Stellung, Beschäftigung der Hände,
Ausdruck mehr Freiheit erlaubte. Jener ist durchweg ceremoniös
und apathisch, der sosiego überzieht die Züge wie die Schminke
die des Schauspielers in der Charakterrolle. Nur die Wendung des
Kopfes und der oft scharfe Seitenblick belebt sie. Auf diesen
Blick ist der Hauptnachdruck gelegt. Es ist ein merkwürdiger,
magischer Blick, der den Beobachter unbeweglich, kalt fixirt,
ihm überallhin folgt, aber doch in keine persönliche Beziehung
zu ihm tritt. Seine Menschen machen keine Conversation mit
dem Betrachter, wie jene lebhaften Bildnisse eines Lorenzo Lotto,
eines Moroni und Moreto. Sie gehn nicht aus sich heraus. Es

1) Das Lachen ist eine specifische Fähigkeit des Menschen, denn der
Mensch ist pasible animal: „y el Rey, contra el órden y arte, no quiere reir.“
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[198/0220] Zweites Buch. sen blauen Augen unter der steilen Stirn, zwischen blondem, steif gekräuseltem Haar; mit den starken, platten Lippen und dem massi- ven Kinn. Ueber dem allen der Ausdruck des jede Annäherung ablehnenden, jede Aeusserung verschliessenden Stolzes. Nur einmal, in der Mitte dieser Zeit hat sich das Gesicht thatenlustig belebt; aber gleich darauf sinkt es wieder zurück in Starrheit und Apathie. In 37 Jahren ist er keinmal aus seiner Rolle ge- fallen, — auch als das Feuer die Coulissen ergriff. Man sagt, er habe nur dreimal in seinem Leben gelacht; dagegen liessen sich zwar, wenn es der Mühe werth wäre, Beweise beibringen; allein Calderon spielt im „Arzt seiner Ehre“ offenbar darauf an 1). Wie mag jenes verlorene grosse Reiterbild von 1623 aus- gesehen haben, mit welchem Velazquez einen so durchschlagen- den Erfolg erzielte? Davon können eine Reihe Figuren und Halb- figuren aus jenen Jahren einen Begriff geben. Aeusserlich und stofflich schliessen sie sich ziemlich eng an die früheren Darstellungen königlicher Personen. Stellung und Geberde sind viel mehr etikettemässig als malerisch, die Ausführung ist sorgfältig und verräth eine Kenntniss aller Einzel- heiten der Toilette, die vor den Fachmännern der Civil- und Militärgarderobe des Hofs bestehen würde; sie könnten daraus nach Stoff und Façon wiederhergestellt werden. Keine Künstler- einfälle in malerisch zufälligen Attitüden lockern die strenge Con- vention, wie die welche sich von van Dyck seine Gönner ge- fallen liessen. Diese Porträts scheinen die Dynastie der Anton Mor, Sanchez Coello und Pantoja fortzusetzen. Ja vergleicht man sie mit denen des Utrechters, so wird man den Eindruck haben, dass dieser sich in Stellung, Beschäftigung der Hände, Ausdruck mehr Freiheit erlaubte. Jener ist durchweg ceremoniös und apathisch, der sosiego überzieht die Züge wie die Schminke die des Schauspielers in der Charakterrolle. Nur die Wendung des Kopfes und der oft scharfe Seitenblick belebt sie. Auf diesen Blick ist der Hauptnachdruck gelegt. Es ist ein merkwürdiger, magischer Blick, der den Beobachter unbeweglich, kalt fixirt, ihm überallhin folgt, aber doch in keine persönliche Beziehung zu ihm tritt. Seine Menschen machen keine Conversation mit dem Betrachter, wie jene lebhaften Bildnisse eines Lorenzo Lotto, eines Moroni und Moreto. Sie gehn nicht aus sich heraus. Es 1) Das Lachen ist eine specifische Fähigkeit des Menschen, denn der Mensch ist pasible animal: „y el Rey, contra el órden y arte, no quiere reir.“

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/220>, abgerufen am 23.11.2024.