Das königliche Ansehn war aber damals ein so unbeding- tes, dass der Träger der Krone auf einen grenzenlosen Credit von Loyalität loshausen konnte, ohne sich um irgend eine Deckung durch Verdienste Sorge machen zu müssen. Heute wird den Königen knapp das Maass von Anerkennung gewährt, das sie sich täglich verdienen. "Der König von Spanien, sagt Zane (22. März 1657) ist stets frei seinem Volke die Lasten auf- zuerlegen, die ihm beliebt, denn stets ist wunderbarer Weise möglich, dass jenes sie erträgt. Obwol es nichts stärkeres giebt als das Unmögliche, so ist doch noch grösser die Schwärmerei der Castilier für den Namen ihres Königs, der seine Gründe (ragioni) auch über das Mögliche hinaus gebrauchen kann."
Erfreulicher und glücklicher erscheint dagegen Philipp und sein Hof, wenn wir uns von der Politik abwenden. Er kam in die Zeit des wiedererwachenden Nationalgeschmacks. Be- neidenswerther Mann, dem es nur ein Wort kostete, nur einen Wunsch (und auch dieser wurde ihm oft abgenommen), um in wenigen Tagen ein Stück von Calderon oder Rojas über ein von ihm beliebtes Thema aufgeführt zu sehen! Um in einer Erho- lungsstunde wie von Feenhänden ein Meisterwerk der Malerei vor seinen Augen entstehn zu sehen. Das goldene Zeitalter der spanischen Bühne fiel in die Zeit dieses leidenschaftlichen Thea- terfreundes, der schon als neunjähriger Knabe (1614) mit den meninas in einem mythologischen Stück den Cupido gespielt hatte1). Weltbekannte Namen der Literaturgeschichte standen in seinem Hofalmanach! Hatte er hier wenigstens wirkliches Ver- dienst, oder nur Glück?
Man hat alle die kleinen Aussprüche, Anekdoten und Re- gierungshandlungen gesammelt, die für seine Liebe, seine För- derung der Kunst sprechen2). Wie er seine grossen Bühnen- dichter zu Rittern gemacht und den Falschmünzer Herrera in Sevilla begnadigt; wie er die leonardesken Thüren am Silber- retablo von Valencia "golden" genannt; bei dem h. Bruno des Pereira in der Strasse Alcala immer langsam fahren liess; und auf einer Reise nach Valencia in Murviedro verweilte, um die Ruinen Sagunts zu durchforschen3); wie er von dem im Grana- diner Kapitel angefochtenen "Pfründner" Alonso Cano gesagt,
1) v. Schack, Span. Theater III, Anhang 66.
2) Stirling, Annals II, 509 ff.
3) Documentos ined. 69, 152.
Philipp der Vierte.
Das königliche Ansehn war aber damals ein so unbeding- tes, dass der Träger der Krone auf einen grenzenlosen Credit von Loyalität loshausen konnte, ohne sich um irgend eine Deckung durch Verdienste Sorge machen zu müssen. Heute wird den Königen knapp das Maass von Anerkennung gewährt, das sie sich täglich verdienen. „Der König von Spanien, sagt Zane (22. März 1657) ist stets frei seinem Volke die Lasten auf- zuerlegen, die ihm beliebt, denn stets ist wunderbarer Weise möglich, dass jenes sie erträgt. Obwol es nichts stärkeres giebt als das Unmögliche, so ist doch noch grösser die Schwärmerei der Castilier für den Namen ihres Königs, der seine Gründe (ragioni) auch über das Mögliche hinaus gebrauchen kann.“
Erfreulicher und glücklicher erscheint dagegen Philipp und sein Hof, wenn wir uns von der Politik abwenden. Er kam in die Zeit des wiedererwachenden Nationalgeschmacks. Be- neidenswerther Mann, dem es nur ein Wort kostete, nur einen Wunsch (und auch dieser wurde ihm oft abgenommen), um in wenigen Tagen ein Stück von Calderon oder Rojas über ein von ihm beliebtes Thema aufgeführt zu sehen! Um in einer Erho- lungsstunde wie von Feenhänden ein Meisterwerk der Malerei vor seinen Augen entstehn zu sehen. Das goldene Zeitalter der spanischen Bühne fiel in die Zeit dieses leidenschaftlichen Thea- terfreundes, der schon als neunjähriger Knabe (1614) mit den meninas in einem mythologischen Stück den Cupido gespielt hatte1). Weltbekannte Namen der Literaturgeschichte standen in seinem Hofalmanach! Hatte er hier wenigstens wirkliches Ver- dienst, oder nur Glück?
Man hat alle die kleinen Aussprüche, Anekdoten und Re- gierungshandlungen gesammelt, die für seine Liebe, seine För- derung der Kunst sprechen2). Wie er seine grossen Bühnen- dichter zu Rittern gemacht und den Falschmünzer Herrera in Sevilla begnadigt; wie er die leonardesken Thüren am Silber- retablo von Valencia „golden“ genannt; bei dem h. Bruno des Pereira in der Strasse Alcalá immer langsam fahren liess; und auf einer Reise nach Valencia in Murviedro verweilte, um die Ruinen Sagunts zu durchforschen3); wie er von dem im Grana- diner Kapitel angefochtenen „Pfründner“ Alonso Cano gesagt,
1) v. Schack, Span. Theater III, Anhang 66.
2) Stirling, Annals II, 509 ff.
3) Documentos inéd. 69, 152.
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Philipp der Vierte.
Das königliche Ansehn war aber damals ein so unbeding-
tes, dass der Träger der Krone auf einen grenzenlosen Credit
von Loyalität loshausen konnte, ohne sich um irgend eine
Deckung durch Verdienste Sorge machen zu müssen. Heute
wird den Königen knapp das Maass von Anerkennung gewährt,
das sie sich täglich verdienen. „Der König von Spanien, sagt
Zane (22. März 1657) ist stets frei seinem Volke die Lasten auf-
zuerlegen, die ihm beliebt, denn stets ist wunderbarer Weise
möglich, dass jenes sie erträgt. Obwol es nichts stärkeres giebt
als das Unmögliche, so ist doch noch grösser die Schwärmerei
der Castilier für den Namen ihres Königs, der seine Gründe
(ragioni) auch über das Mögliche hinaus gebrauchen kann.“
Erfreulicher und glücklicher erscheint dagegen Philipp
und sein Hof, wenn wir uns von der Politik abwenden. Er kam
in die Zeit des wiedererwachenden Nationalgeschmacks. Be-
neidenswerther Mann, dem es nur ein Wort kostete, nur einen
Wunsch (und auch dieser wurde ihm oft abgenommen), um in
wenigen Tagen ein Stück von Calderon oder Rojas über ein von
ihm beliebtes Thema aufgeführt zu sehen! Um in einer Erho-
lungsstunde wie von Feenhänden ein Meisterwerk der Malerei
vor seinen Augen entstehn zu sehen. Das goldene Zeitalter der
spanischen Bühne fiel in die Zeit dieses leidenschaftlichen Thea-
terfreundes, der schon als neunjähriger Knabe (1614) mit den
meninas in einem mythologischen Stück den Cupido gespielt
hatte 1). Weltbekannte Namen der Literaturgeschichte standen
in seinem Hofalmanach! Hatte er hier wenigstens wirkliches Ver-
dienst, oder nur Glück?
Man hat alle die kleinen Aussprüche, Anekdoten und Re-
gierungshandlungen gesammelt, die für seine Liebe, seine För-
derung der Kunst sprechen 2). Wie er seine grossen Bühnen-
dichter zu Rittern gemacht und den Falschmünzer Herrera in
Sevilla begnadigt; wie er die leonardesken Thüren am Silber-
retablo von Valencia „golden“ genannt; bei dem h. Bruno des
Pereira in der Strasse Alcalá immer langsam fahren liess; und
auf einer Reise nach Valencia in Murviedro verweilte, um die
Ruinen Sagunts zu durchforschen 3); wie er von dem im Grana-
diner Kapitel angefochtenen „Pfründner“ Alonso Cano gesagt,
1) v. Schack, Span. Theater III, Anhang 66.
2) Stirling, Annals II, 509 ff.
3) Documentos inéd. 69, 152.
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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/217>, abgerufen am 22.11.2024.
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