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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Zweites Buch.
schen oder Bogenschützen (archeros). Sie lagen zwischen der
oberen Loggia des Hofs und dem langen schmalen Saal der
Nordgallerie (galeria del cierzo). Diese Galerie endigte in dem
nordwestlichen Thurm, den König Franz von Frankreich be-
wohnte, später der des "Hermaphroditen" genannt.

Hier an der Westseite begannen dann die grossen Staats-
zimmer: der Saal der Consultas, der Audienzsaal, der Speisesaal,
die "Audienz des Präsidenten". Hier tagten die Cortes, der
König berieth mit dem Rath von Castilien, empfing und hörte
die Gesandten und Cardinäle, ertheilte den Orden des goldenen
Vliesses und ernannte die S. Jagoritter, empfing den Eid der
Vicekönige und capitanes generales, wurde Morgens vom Nuntius
und den Gesandten zum Gang in die Messe erwartet und nahm
die Fusswaschung und Speisung des Gründonnerstags vor 1). Nach
dem Hof zu lag die Antecamara, früher war hier auch die Guarda-
ropa. Im Westflügel befand sich die königliche Winterwohnung.
Für ihre Gemächer war die alte Westgalerie zum Theil verbaut wor-
den, Graf Harrach sagt, sie habe "schlimmen Eingang und lauter
kleine Zimmer". Sie war geschmückt mit Fresken, Tapisserien
und vergoldeten Decken; Fussboden und Lambris mit Azulejos be-
kleidet. Sie reichte bis zu dem südwestlichen oder goldenen
Thurm (torre dorada, torre de despacho). Hier aber athmete man
auf: eine überraschende Ansicht von Stadt und Ebene er-
öffnete sich.

Zwischen dem Hof und den modernen Prachtsälen der Süd-
facade lag der längste Saal des Schlosses, die alte Südgalerie,
oder der Comödiensaal (170 x 35 kastilische Fuss), bestimmt
für Feste, Maskeraden und die öffentliche königliche Tafel; daher
"Sala de fiestas publicas" genannt. Später wurde im Osten ab-
getrennt die pieza del cancel, wo die Königin mit ihren Damen
die Messe hörte, denn sie lag vor der Kapelle; sowie das Schlaf-
gemach der Majestäten. Es folgte ein quadratischer gewölbter
Saal, an seiner Decke die früher der Königin Maria von Ungarn
gehörenden vier Unterweltsbilder Tizian's: die Pieza de las furias.
Sie gehörte schon zu den Gemächern der Königin.

Die vornehmen Italiener, welche den Palast zu Philipp II
und III Zeit sahen, sprechen sich nicht sehr günstig aus über
den Gesammteindruck des Innern. Man merkte den Räumen

1) Geron. de Quintana, Historia de la Antigüedad, Nobleza y Grandezas de
Madrid. M. 1629. p. 331. Mesonero Romanos, El antiguo Madrid I, 135 ff. M. 1881.

Zweites Buch.
schen oder Bogenschützen (archeros). Sie lagen zwischen der
oberen Loggia des Hofs und dem langen schmalen Saal der
Nordgallerie (galeria del cierzo). Diese Galerie endigte in dem
nordwestlichen Thurm, den König Franz von Frankreich be-
wohnte, später der des „Hermaphroditen“ genannt.

Hier an der Westseite begannen dann die grossen Staats-
zimmer: der Saal der Consultas, der Audienzsaal, der Speisesaal,
die „Audienz des Präsidenten“. Hier tagten die Cortes, der
König berieth mit dem Rath von Castilien, empfing und hörte
die Gesandten und Cardinäle, ertheilte den Orden des goldenen
Vliesses und ernannte die S. Jagoritter, empfing den Eid der
Vicekönige und capitanes generales, wurde Morgens vom Nuntius
und den Gesandten zum Gang in die Messe erwartet und nahm
die Fusswaschung und Speisung des Gründonnerstags vor 1). Nach
dem Hof zu lag die Antecamara, früher war hier auch die Guarda-
ropa. Im Westflügel befand sich die königliche Winterwohnung.
Für ihre Gemächer war die alte Westgalerie zum Theil verbaut wor-
den, Graf Harrach sagt, sie habe „schlimmen Eingang und lauter
kleine Zimmer“. Sie war geschmückt mit Fresken, Tapisserien
und vergoldeten Decken; Fussboden und Lambris mit Azulejos be-
kleidet. Sie reichte bis zu dem südwestlichen oder goldenen
Thurm (torre dorada, torre de despacho). Hier aber athmete man
auf: eine überraschende Ansicht von Stadt und Ebene er-
öffnete sich.

Zwischen dem Hof und den modernen Prachtsälen der Süd-
façade lag der längste Saal des Schlosses, die alte Südgalerie,
oder der Comödiensaal (170 × 35 kastilische Fuss), bestimmt
für Feste, Maskeraden und die öffentliche königliche Tafel; daher
Sala de fiestas publicas“ genannt. Später wurde im Osten ab-
getrennt die pieza del cancel, wo die Königin mit ihren Damen
die Messe hörte, denn sie lag vor der Kapelle; sowie das Schlaf-
gemach der Majestäten. Es folgte ein quadratischer gewölbter
Saal, an seiner Decke die früher der Königin Maria von Ungarn
gehörenden vier Unterweltsbilder Tizian’s: die Pieza de las furias.
Sie gehörte schon zu den Gemächern der Königin.

Die vornehmen Italiener, welche den Palast zu Philipp II
und III Zeit sahen, sprechen sich nicht sehr günstig aus über
den Gesammteindruck des Innern. Man merkte den Räumen

1) Gerón. de Quintana, Historia de la Antigüedad, Nobleza y Grandezas de
Madrid. M. 1629. p. 331. Mesonero Romanos, El antiguo Madrid I, 135 ff. M. 1881.
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[184/0204] Zweites Buch. schen oder Bogenschützen (archeros). Sie lagen zwischen der oberen Loggia des Hofs und dem langen schmalen Saal der Nordgallerie (galeria del cierzo). Diese Galerie endigte in dem nordwestlichen Thurm, den König Franz von Frankreich be- wohnte, später der des „Hermaphroditen“ genannt. Hier an der Westseite begannen dann die grossen Staats- zimmer: der Saal der Consultas, der Audienzsaal, der Speisesaal, die „Audienz des Präsidenten“. Hier tagten die Cortes, der König berieth mit dem Rath von Castilien, empfing und hörte die Gesandten und Cardinäle, ertheilte den Orden des goldenen Vliesses und ernannte die S. Jagoritter, empfing den Eid der Vicekönige und capitanes generales, wurde Morgens vom Nuntius und den Gesandten zum Gang in die Messe erwartet und nahm die Fusswaschung und Speisung des Gründonnerstags vor 1). Nach dem Hof zu lag die Antecamara, früher war hier auch die Guarda- ropa. Im Westflügel befand sich die königliche Winterwohnung. Für ihre Gemächer war die alte Westgalerie zum Theil verbaut wor- den, Graf Harrach sagt, sie habe „schlimmen Eingang und lauter kleine Zimmer“. Sie war geschmückt mit Fresken, Tapisserien und vergoldeten Decken; Fussboden und Lambris mit Azulejos be- kleidet. Sie reichte bis zu dem südwestlichen oder goldenen Thurm (torre dorada, torre de despacho). Hier aber athmete man auf: eine überraschende Ansicht von Stadt und Ebene er- öffnete sich. Zwischen dem Hof und den modernen Prachtsälen der Süd- façade lag der längste Saal des Schlosses, die alte Südgalerie, oder der Comödiensaal (170 × 35 kastilische Fuss), bestimmt für Feste, Maskeraden und die öffentliche königliche Tafel; daher „Sala de fiestas publicas“ genannt. Später wurde im Osten ab- getrennt die pieza del cancel, wo die Königin mit ihren Damen die Messe hörte, denn sie lag vor der Kapelle; sowie das Schlaf- gemach der Majestäten. Es folgte ein quadratischer gewölbter Saal, an seiner Decke die früher der Königin Maria von Ungarn gehörenden vier Unterweltsbilder Tizian’s: die Pieza de las furias. Sie gehörte schon zu den Gemächern der Königin. Die vornehmen Italiener, welche den Palast zu Philipp II und III Zeit sahen, sprechen sich nicht sehr günstig aus über den Gesammteindruck des Innern. Man merkte den Räumen 1) Gerón. de Quintana, Historia de la Antigüedad, Nobleza y Grandezas de Madrid. M. 1629. p. 331. Mesonero Romanos, El antiguo Madrid I, 135 ff. M. 1881.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/204>, abgerufen am 24.11.2024.