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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Zweites Buch.
der grosse Zeichner, sagt man, oder, im andalusischen Redestil,
weil er in den drei Künsten gearbeitet, der spanische Michel-
angelo (also der zweite!). Von diesem Cano nun war damals
noch wenig zu sehen. Aber es fehlt nicht an Spuren dass
die Erfolge seiner Altersgenossen ihm keine Ruhe gelas-
sen haben, dass er sich in der neuen Manier hat versuchen
wollen. Man betrachte die "beiden Johannes" im Retablo der
Universität, dem Meisterwerk des Roelas, oben in der Ecke.
Es sind derbe Figuren von breiten Zügen, grossen Augen, mit
dunklen schweren Schatten auf hellem Grund. Noch merkwür-
diger ist ein Bild der heil. Agnes im Berliner Museum (Nr. 414 B).
Bei diesem Gemälde sieht man, was ein Monogramm werth ist,
ohne das hier Niemanden Alonso Cano eingefallen sein würde,
so völlig gleicht die heilige Dame in der Malweise Zurbaran.
Vermuthlich stammt sie aus dieser Zeit.

Diese Heilige, fast Kniestück, hat ein so schönes, so be-
strickend andalusisches Frauengesicht, voll Unschuld, Träumerei
und Melancholie, dass man versucht ist zu glauben, es sei seine
Ines, zu der er vielleicht (wie Novalis) geglaubt hat mehr Reli-
gion als Liebe zu haben. Es ist der später von Murillo hervor-
gezogene Typus, nur herber; er kommt hier zum erstenmale in
einem Kirchenbild zum Vorschein. Die reine, vortretende Stirn
ist umrahmt von braunen Haaren, geordnet fast nach damaliger
Mode. Die Nase mit breitem Rücken oben, ist wenig ausladend,
dafür dringen die grossen braunen Augen eigen hervor, sie blicken
ins Unendliche, wie staunend, als stände ein Gedanke dahinter,
der in der Einbildungskraft unwiderstehlich um sich greift und
sie der Erde entrückt. Der geschlossene Mund hat einen Zug
von dem Schmerz und der unerbittlichen Festigkeit des Märty-
rers. Der Scheitel ist von Perlenschnüren umwunden und trägt
ein Krönchen, ein Schleier weht hinten um den Kopf: er ist
das einzige Bewegte in diesem farbigen Steinbild, das sich in
lebhaften Farben und kräftigen Schatten auf ganz hellem Grund
aufrichtet. Die Hände sind keineswegs schlank und glatt wie
in seinen späteren Arbeiten; die Linke fasst die Palme wie einen
Speer. Weder von der Malerei noch vom Typus, findet sich in
seinen späteren Werken eine Spur.

Alonso's Degen flog allezeit rasch aus der Scheide. Und
so trieb ihn ein blutiger Strauss bald aus Sevilla fort. Den
Sebastian de Llano y Valdes hatte er in die rechte Hand ver-
wundet und gelähmt. Dieser Maler, dessen uns bekannte

Zweites Buch.
der grosse Zeichner, sagt man, oder, im andalusischen Redestil,
weil er in den drei Künsten gearbeitet, der spanische Michel-
angelo (also der zweite!). Von diesem Cano nun war damals
noch wenig zu sehen. Aber es fehlt nicht an Spuren dass
die Erfolge seiner Altersgenossen ihm keine Ruhe gelas-
sen haben, dass er sich in der neuen Manier hat versuchen
wollen. Man betrachte die „beiden Johannes“ im Retablo der
Universität, dem Meisterwerk des Roelas, oben in der Ecke.
Es sind derbe Figuren von breiten Zügen, grossen Augen, mit
dunklen schweren Schatten auf hellem Grund. Noch merkwür-
diger ist ein Bild der heil. Agnes im Berliner Museum (Nr. 414 B).
Bei diesem Gemälde sieht man, was ein Monogramm werth ist,
ohne das hier Niemanden Alonso Cano eingefallen sein würde,
so völlig gleicht die heilige Dame in der Malweise Zurbaran.
Vermuthlich stammt sie aus dieser Zeit.

Diese Heilige, fast Kniestück, hat ein so schönes, so be-
strickend andalusisches Frauengesicht, voll Unschuld, Träumerei
und Melancholie, dass man versucht ist zu glauben, es sei seine
Inés, zu der er vielleicht (wie Novalis) geglaubt hat mehr Reli-
gion als Liebe zu haben. Es ist der später von Murillo hervor-
gezogene Typus, nur herber; er kommt hier zum erstenmale in
einem Kirchenbild zum Vorschein. Die reine, vortretende Stirn
ist umrahmt von braunen Haaren, geordnet fast nach damaliger
Mode. Die Nase mit breitem Rücken oben, ist wenig ausladend,
dafür dringen die grossen braunen Augen eigen hervor, sie blicken
ins Unendliche, wie staunend, als stände ein Gedanke dahinter,
der in der Einbildungskraft unwiderstehlich um sich greift und
sie der Erde entrückt. Der geschlossene Mund hat einen Zug
von dem Schmerz und der unerbittlichen Festigkeit des Märty-
rers. Der Scheitel ist von Perlenschnüren umwunden und trägt
ein Krönchen, ein Schleier weht hinten um den Kopf: er ist
das einzige Bewegte in diesem farbigen Steinbild, das sich in
lebhaften Farben und kräftigen Schatten auf ganz hellem Grund
aufrichtet. Die Hände sind keineswegs schlank und glatt wie
in seinen späteren Arbeiten; die Linke fasst die Palme wie einen
Speer. Weder von der Malerei noch vom Typus, findet sich in
seinen späteren Werken eine Spur.

Alonso’s Degen flog allezeit rasch aus der Scheide. Und
so trieb ihn ein blutiger Strauss bald aus Sevilla fort. Den
Sebastian de Llano y Valdés hatte er in die rechte Hand ver-
wundet und gelähmt. Dieser Maler, dessen uns bekannte

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[156/0176] Zweites Buch. der grosse Zeichner, sagt man, oder, im andalusischen Redestil, weil er in den drei Künsten gearbeitet, der spanische Michel- angelo (also der zweite!). Von diesem Cano nun war damals noch wenig zu sehen. Aber es fehlt nicht an Spuren dass die Erfolge seiner Altersgenossen ihm keine Ruhe gelas- sen haben, dass er sich in der neuen Manier hat versuchen wollen. Man betrachte die „beiden Johannes“ im Retablo der Universität, dem Meisterwerk des Roelas, oben in der Ecke. Es sind derbe Figuren von breiten Zügen, grossen Augen, mit dunklen schweren Schatten auf hellem Grund. Noch merkwür- diger ist ein Bild der heil. Agnes im Berliner Museum (Nr. 414 B). Bei diesem Gemälde sieht man, was ein Monogramm werth ist, ohne das hier Niemanden Alonso Cano eingefallen sein würde, so völlig gleicht die heilige Dame in der Malweise Zurbaran. Vermuthlich stammt sie aus dieser Zeit. Diese Heilige, fast Kniestück, hat ein so schönes, so be- strickend andalusisches Frauengesicht, voll Unschuld, Träumerei und Melancholie, dass man versucht ist zu glauben, es sei seine Inés, zu der er vielleicht (wie Novalis) geglaubt hat mehr Reli- gion als Liebe zu haben. Es ist der später von Murillo hervor- gezogene Typus, nur herber; er kommt hier zum erstenmale in einem Kirchenbild zum Vorschein. Die reine, vortretende Stirn ist umrahmt von braunen Haaren, geordnet fast nach damaliger Mode. Die Nase mit breitem Rücken oben, ist wenig ausladend, dafür dringen die grossen braunen Augen eigen hervor, sie blicken ins Unendliche, wie staunend, als stände ein Gedanke dahinter, der in der Einbildungskraft unwiderstehlich um sich greift und sie der Erde entrückt. Der geschlossene Mund hat einen Zug von dem Schmerz und der unerbittlichen Festigkeit des Märty- rers. Der Scheitel ist von Perlenschnüren umwunden und trägt ein Krönchen, ein Schleier weht hinten um den Kopf: er ist das einzige Bewegte in diesem farbigen Steinbild, das sich in lebhaften Farben und kräftigen Schatten auf ganz hellem Grund aufrichtet. Die Hände sind keineswegs schlank und glatt wie in seinen späteren Arbeiten; die Linke fasst die Palme wie einen Speer. Weder von der Malerei noch vom Typus, findet sich in seinen späteren Werken eine Spur. Alonso’s Degen flog allezeit rasch aus der Scheide. Und so trieb ihn ein blutiger Strauss bald aus Sevilla fort. Den Sebastian de Llano y Valdés hatte er in die rechte Hand ver- wundet und gelähmt. Dieser Maler, dessen uns bekannte

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/176>, abgerufen am 26.11.2024.