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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Die Hirten.
das fleissigste Bild das er gemalt hat; es giebt eine Vorstellung
von der allseitigen Gründlichkeit, auf die in der Schule des
Schwiegervaters gehalten wurde. Dennoch ist darin nichts müh-
sames, nichts unsicheres. Gesicht und Hände der Madonna hätte
Sassoferrato nicht in zarter verschmolzenen Uebergängen mo-
dellirt. Die Bodegonesstudien sind erkennbar: den Brodkorb,
die Strohbündel, die Hühner, das Schaaffell, das an den Beinen
zusammengeknebelte Lämmchen hätte Niemand damals so machen
können. Die dralle Bauerndirne mit den Tauben auf dem Kopf
erinnert an Berchem.

Wenn Stirling meint, solche Figuren könnten den Zigeunern
der Triana entnommen sein, so hat er nicht ganz genau ge-
sehen: diese Hirtengesellschaft ist überhaupt nicht dem Leben,
sondern eben wörtlich Spagnoletto abgesehen. Deshalb nannte
R. Ford das Bild eine Kopie Ribera's. Der in seinen braunen
Mantel gehüllte, gelassen herabblickende, edle S. Joseph, die ge-
müthliche alte Frau, der Junge mit dem scrophulösen Mund (in Ri-
bera's Johannes dem Evangelisten oft wiederholt), der Flötenbläser
mit dem schalkhaften Lächeln (ein Nachklang aus seinen Jugend-
jahren in Parma), alles diess sind Sevilla fremde, dem Ribera
zu allen Zeiten geläufige Modelle.

Nur die Maria ist eigen. Hier ist die Absicht am deut-
lichsten, sie höher zu rücken, über die Umgebung hinaus. Das
Antlitz hat mehr Grösse und Fülle als das vorige, dem in-
dess Viele doch den Vorzug geben werden. Eine wolgebildete,
gesunde, blühende Frau, das Oval grösser, voller; zarte Haut.
Die glatten weissen Hände mit ihrem Linienfluss und ihrer Run-
dung ohne Falten und Knöchel, sind sichtlich kontrastirt mit
der ungefügen, faltigen, rothen Elementarhand der Hirten, der
welken gelben der Greisin und dem derb knabenhaften des
Jungen. Augenscheinlich hat er für diese Hände vier verschie-
dene Modelle benutzt. Vornehme Abkunft hat nicht erst Lord
Byron an den Händen erkannt. --

Und doch hat er gerade in der Maria sein Vorbild nicht
verstanden.

Ribera hat die Hirten sehr oft gemalt, im Anschluss an
Correggio (1630); besonders rein und edel in dem Bilde der Seo
von Valencia (1634), im Escorial, und nicht lange vor seinem Tode
(1650, im Louvre). Hier versetzt er uns unter einen rauhen
Hirtenstamm der benachbarten Abruzzen, breite, starkknochige
Natursöhne in Röcken von Schaafpelz. Nur an einer Stelle aber

Die Hirten.
das fleissigste Bild das er gemalt hat; es giebt eine Vorstellung
von der allseitigen Gründlichkeit, auf die in der Schule des
Schwiegervaters gehalten wurde. Dennoch ist darin nichts müh-
sames, nichts unsicheres. Gesicht und Hände der Madonna hätte
Sassoferrato nicht in zarter verschmolzenen Uebergängen mo-
dellirt. Die Bodegonesstudien sind erkennbar: den Brodkorb,
die Strohbündel, die Hühner, das Schaaffell, das an den Beinen
zusammengeknebelte Lämmchen hätte Niemand damals so machen
können. Die dralle Bauerndirne mit den Tauben auf dem Kopf
erinnert an Berchem.

Wenn Stirling meint, solche Figuren könnten den Zigeunern
der Triana entnommen sein, so hat er nicht ganz genau ge-
sehen: diese Hirtengesellschaft ist überhaupt nicht dem Leben,
sondern eben wörtlich Spagnoletto abgesehen. Deshalb nannte
R. Ford das Bild eine Kopie Ribera’s. Der in seinen braunen
Mantel gehüllte, gelassen herabblickende, edle S. Joseph, die ge-
müthliche alte Frau, der Junge mit dem scrophulösen Mund (in Ri-
bera’s Johannes dem Evangelisten oft wiederholt), der Flötenbläser
mit dem schalkhaften Lächeln (ein Nachklang aus seinen Jugend-
jahren in Parma), alles diess sind Sevilla fremde, dem Ribera
zu allen Zeiten geläufige Modelle.

Nur die Maria ist eigen. Hier ist die Absicht am deut-
lichsten, sie höher zu rücken, über die Umgebung hinaus. Das
Antlitz hat mehr Grösse und Fülle als das vorige, dem in-
dess Viele doch den Vorzug geben werden. Eine wolgebildete,
gesunde, blühende Frau, das Oval grösser, voller; zarte Haut.
Die glatten weissen Hände mit ihrem Linienfluss und ihrer Run-
dung ohne Falten und Knöchel, sind sichtlich kontrastirt mit
der ungefügen, faltigen, rothen Elementarhand der Hirten, der
welken gelben der Greisin und dem derb knabenhaften des
Jungen. Augenscheinlich hat er für diese Hände vier verschie-
dene Modelle benutzt. Vornehme Abkunft hat nicht erst Lord
Byron an den Händen erkannt. —

Und doch hat er gerade in der Maria sein Vorbild nicht
verstanden.

Ribera hat die Hirten sehr oft gemalt, im Anschluss an
Correggio (1630); besonders rein und edel in dem Bilde der Seo
von Valencia (1634), im Escorial, und nicht lange vor seinem Tode
(1650, im Louvre). Hier versetzt er uns unter einen rauhen
Hirtenstamm der benachbarten Abruzzen, breite, starkknochige
Natursöhne in Röcken von Schaafpelz. Nur an einer Stelle aber

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[149/0169] Die Hirten. das fleissigste Bild das er gemalt hat; es giebt eine Vorstellung von der allseitigen Gründlichkeit, auf die in der Schule des Schwiegervaters gehalten wurde. Dennoch ist darin nichts müh- sames, nichts unsicheres. Gesicht und Hände der Madonna hätte Sassoferrato nicht in zarter verschmolzenen Uebergängen mo- dellirt. Die Bodegonesstudien sind erkennbar: den Brodkorb, die Strohbündel, die Hühner, das Schaaffell, das an den Beinen zusammengeknebelte Lämmchen hätte Niemand damals so machen können. Die dralle Bauerndirne mit den Tauben auf dem Kopf erinnert an Berchem. Wenn Stirling meint, solche Figuren könnten den Zigeunern der Triana entnommen sein, so hat er nicht ganz genau ge- sehen: diese Hirtengesellschaft ist überhaupt nicht dem Leben, sondern eben wörtlich Spagnoletto abgesehen. Deshalb nannte R. Ford das Bild eine Kopie Ribera’s. Der in seinen braunen Mantel gehüllte, gelassen herabblickende, edle S. Joseph, die ge- müthliche alte Frau, der Junge mit dem scrophulösen Mund (in Ri- bera’s Johannes dem Evangelisten oft wiederholt), der Flötenbläser mit dem schalkhaften Lächeln (ein Nachklang aus seinen Jugend- jahren in Parma), alles diess sind Sevilla fremde, dem Ribera zu allen Zeiten geläufige Modelle. Nur die Maria ist eigen. Hier ist die Absicht am deut- lichsten, sie höher zu rücken, über die Umgebung hinaus. Das Antlitz hat mehr Grösse und Fülle als das vorige, dem in- dess Viele doch den Vorzug geben werden. Eine wolgebildete, gesunde, blühende Frau, das Oval grösser, voller; zarte Haut. Die glatten weissen Hände mit ihrem Linienfluss und ihrer Run- dung ohne Falten und Knöchel, sind sichtlich kontrastirt mit der ungefügen, faltigen, rothen Elementarhand der Hirten, der welken gelben der Greisin und dem derb knabenhaften des Jungen. Augenscheinlich hat er für diese Hände vier verschie- dene Modelle benutzt. Vornehme Abkunft hat nicht erst Lord Byron an den Händen erkannt. — Und doch hat er gerade in der Maria sein Vorbild nicht verstanden. Ribera hat die Hirten sehr oft gemalt, im Anschluss an Correggio (1630); besonders rein und edel in dem Bilde der Seo von Valencia (1634), im Escorial, und nicht lange vor seinem Tode (1650, im Louvre). Hier versetzt er uns unter einen rauhen Hirtenstamm der benachbarten Abruzzen, breite, starkknochige Natursöhne in Röcken von Schaafpelz. Nur an einer Stelle aber

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/169>, abgerufen am 26.11.2024.