Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweites Buch.
sogar von aussen in die Bildfläche hineinzustreben. In dem litho-
graphischen Galeriewerk ist das Gemälde breiter; die Figuren
setzen sich noch fort; ist es beschnitten worden?

Die Hirten.

(7' 7" x 5' 6").

Wahrscheinlich werden jene Gestalten, welche der junge
Maler für Johannes und Maria ausgab, manche nicht besonders
entzückt haben, die von früherer Zeit her bei heiligen Per-
sonen an Vornehmheit in Form und Ausdruck gewöhnt waren.
Er mag einmal das Bedürfniss eines Wegweisers empfunden
haben, der Gleichheit des künstlerischen Bekenntnisses mit einem
gewissen Ansehen in kirchlichen Darstellungen verband. Und die-
sen fand er in Joseph Ribera. Wenn er auch seinen "Naturalismus"
nicht von diesem gelernt hat, so hat er ihn doch einmal wenig-
stens sich zum Vorbild genommen. Diess beweist das Vorkommen
ganz persönlicher Typen des Valencianers in der Natividad 1). Bei
den bisher besprochenen Gemälden ist von dessen Studium keine
Spur.

Maria sitzt links und zeigt das Kind indem sie es aufdeckt
den Hirten. Aller Blicke, auch Joseph's konvergiren nach ihm in
nahen Radien; die Köpfe stehen eng und steil übereinander.
Von der Thür her nähert sich im Dämmerlicht ein Mädchen mit
Taubenkorb, ganz rechts bläst ein Junge die Flöte.

Obwohl ebenfalls ein Nachtstück, obwohl der Stoff auf niedere
Modelle führte, sind doch die Instrumente etwas feiner gestimmt,
als in der Huldigung der Könige. Das Impasto ist dünner, die
Farbe reicher und heiterer, die Schatten heller und farbiger, der
Ausdruck belebter, die Typen der heiligen Personen edler, die
kunstvollere Composition rundet sich mehr in die Tiefe. Man
sieht links einen mächtigen Säulenschaft mit verzierter Basis.

Die Absicht etwas besonderes zu liefern ist auch in der
Ausführung von gleich mässiger Sorgfalt erkennbar. Dies ist wol

1) Diess merkwürdige, früher angefochtene Stück, das einzige wo Velazquez
sich zur Nachahmung bequemt hat, befand sich von jeher im Palast des Grafen
del Aguila zu Sevilla, von dem es Baron Taylor 1832 für 4800 L. erwarb; aus
Louis Philipp's spanischer Galerie ward es 1853 um 2050 L. für die Nationalgalerie
angekauft (Nr. 253). Eine Darstellung desselben Gegenstandes verbrannte 1832 im
Kapitelsaal zu Plasencia.

Zweites Buch.
sogar von aussen in die Bildfläche hineinzustreben. In dem litho-
graphischen Galeriewerk ist das Gemälde breiter; die Figuren
setzen sich noch fort; ist es beschnitten worden?

Die Hirten.

(7' 7″ × 5' 6″).

Wahrscheinlich werden jene Gestalten, welche der junge
Maler für Johannes und Maria ausgab, manche nicht besonders
entzückt haben, die von früherer Zeit her bei heiligen Per-
sonen an Vornehmheit in Form und Ausdruck gewöhnt waren.
Er mag einmal das Bedürfniss eines Wegweisers empfunden
haben, der Gleichheit des künstlerischen Bekenntnisses mit einem
gewissen Ansehen in kirchlichen Darstellungen verband. Und die-
sen fand er in Joseph Ribera. Wenn er auch seinen „Naturalismus“
nicht von diesem gelernt hat, so hat er ihn doch einmal wenig-
stens sich zum Vorbild genommen. Diess beweist das Vorkommen
ganz persönlicher Typen des Valencianers in der Natividad 1). Bei
den bisher besprochenen Gemälden ist von dessen Studium keine
Spur.

Maria sitzt links und zeigt das Kind indem sie es aufdeckt
den Hirten. Aller Blicke, auch Joseph’s konvergiren nach ihm in
nahen Radien; die Köpfe stehen eng und steil übereinander.
Von der Thür her nähert sich im Dämmerlicht ein Mädchen mit
Taubenkorb, ganz rechts bläst ein Junge die Flöte.

Obwohl ebenfalls ein Nachtstück, obwohl der Stoff auf niedere
Modelle führte, sind doch die Instrumente etwas feiner gestimmt,
als in der Huldigung der Könige. Das Impasto ist dünner, die
Farbe reicher und heiterer, die Schatten heller und farbiger, der
Ausdruck belebter, die Typen der heiligen Personen edler, die
kunstvollere Composition rundet sich mehr in die Tiefe. Man
sieht links einen mächtigen Säulenschaft mit verzierter Basis.

Die Absicht etwas besonderes zu liefern ist auch in der
Ausführung von gleich mässiger Sorgfalt erkennbar. Dies ist wol

1) Diess merkwürdige, früher angefochtene Stück, das einzige wo Velazquez
sich zur Nachahmung bequemt hat, befand sich von jeher im Palast des Grafen
del Aguila zu Sevilla, von dem es Baron Taylor 1832 für 4800 L. erwarb; aus
Louis Philipp’s spanischer Galerie ward es 1853 um 2050 L. für die Nationalgalerie
angekauft (Nr. 253). Eine Darstellung desselben Gegenstandes verbrannte 1832 im
Kapitelsaal zu Plasencia.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0168" n="148"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch.</fw><lb/>
sogar von aussen in die Bildfläche hineinzustreben. In dem litho-<lb/>
graphischen Galeriewerk ist das Gemälde breiter; die Figuren<lb/>
setzen sich noch fort; ist es beschnitten worden?</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Die Hirten.</hi> </head><lb/>
          <p> <hi rendition="#c">(7' 7&#x2033; × 5' 6&#x2033;).</hi> </p><lb/>
          <p>Wahrscheinlich werden jene Gestalten, welche der junge<lb/>
Maler für Johannes und Maria ausgab, manche nicht besonders<lb/>
entzückt haben, die von früherer Zeit her bei heiligen Per-<lb/>
sonen an Vornehmheit in Form und Ausdruck gewöhnt waren.<lb/>
Er mag einmal das Bedürfniss eines Wegweisers empfunden<lb/>
haben, der Gleichheit des künstlerischen Bekenntnisses mit einem<lb/>
gewissen Ansehen in kirchlichen Darstellungen verband. Und die-<lb/>
sen fand er in Joseph Ribera. Wenn er auch seinen &#x201E;Naturalismus&#x201C;<lb/>
nicht von diesem gelernt hat, so hat er ihn doch einmal wenig-<lb/>
stens sich zum Vorbild genommen. Diess beweist das Vorkommen<lb/>
ganz persönlicher Typen des Valencianers in der <hi rendition="#i">Natividad</hi> <note place="foot" n="1)">Diess merkwürdige, früher angefochtene Stück, das einzige wo Velazquez<lb/>
sich zur Nachahmung bequemt hat, befand sich von jeher im Palast des Grafen<lb/>
del Aguila zu Sevilla, von dem es Baron Taylor 1832 für 4800 L. erwarb; aus<lb/>
Louis Philipp&#x2019;s spanischer Galerie ward es 1853 um 2050 L. für die Nationalgalerie<lb/>
angekauft (Nr. 253). Eine Darstellung desselben Gegenstandes verbrannte 1832 im<lb/>
Kapitelsaal zu Plasencia.</note>. Bei<lb/>
den bisher besprochenen Gemälden ist von dessen Studium keine<lb/>
Spur.</p><lb/>
          <p>Maria sitzt links und zeigt das Kind indem sie es aufdeckt<lb/>
den Hirten. Aller Blicke, auch Joseph&#x2019;s konvergiren nach ihm in<lb/>
nahen Radien; die Köpfe stehen eng und steil übereinander.<lb/>
Von der Thür her nähert sich im Dämmerlicht ein Mädchen mit<lb/>
Taubenkorb, ganz rechts bläst ein Junge die Flöte.</p><lb/>
          <p>Obwohl ebenfalls ein Nachtstück, obwohl der Stoff auf niedere<lb/>
Modelle führte, sind doch die Instrumente etwas feiner gestimmt,<lb/>
als in der Huldigung der Könige. Das Impasto ist dünner, die<lb/>
Farbe reicher und heiterer, die Schatten heller und farbiger, der<lb/>
Ausdruck belebter, die Typen der heiligen Personen edler, die<lb/>
kunstvollere Composition rundet sich mehr in die Tiefe. Man<lb/>
sieht links einen mächtigen Säulenschaft mit verzierter Basis.</p><lb/>
          <p>Die Absicht etwas besonderes zu liefern ist auch in der<lb/>
Ausführung von gleich mässiger Sorgfalt erkennbar. Dies ist wol<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[148/0168] Zweites Buch. sogar von aussen in die Bildfläche hineinzustreben. In dem litho- graphischen Galeriewerk ist das Gemälde breiter; die Figuren setzen sich noch fort; ist es beschnitten worden? Die Hirten. (7' 7″ × 5' 6″). Wahrscheinlich werden jene Gestalten, welche der junge Maler für Johannes und Maria ausgab, manche nicht besonders entzückt haben, die von früherer Zeit her bei heiligen Per- sonen an Vornehmheit in Form und Ausdruck gewöhnt waren. Er mag einmal das Bedürfniss eines Wegweisers empfunden haben, der Gleichheit des künstlerischen Bekenntnisses mit einem gewissen Ansehen in kirchlichen Darstellungen verband. Und die- sen fand er in Joseph Ribera. Wenn er auch seinen „Naturalismus“ nicht von diesem gelernt hat, so hat er ihn doch einmal wenig- stens sich zum Vorbild genommen. Diess beweist das Vorkommen ganz persönlicher Typen des Valencianers in der Natividad 1). Bei den bisher besprochenen Gemälden ist von dessen Studium keine Spur. Maria sitzt links und zeigt das Kind indem sie es aufdeckt den Hirten. Aller Blicke, auch Joseph’s konvergiren nach ihm in nahen Radien; die Köpfe stehen eng und steil übereinander. Von der Thür her nähert sich im Dämmerlicht ein Mädchen mit Taubenkorb, ganz rechts bläst ein Junge die Flöte. Obwohl ebenfalls ein Nachtstück, obwohl der Stoff auf niedere Modelle führte, sind doch die Instrumente etwas feiner gestimmt, als in der Huldigung der Könige. Das Impasto ist dünner, die Farbe reicher und heiterer, die Schatten heller und farbiger, der Ausdruck belebter, die Typen der heiligen Personen edler, die kunstvollere Composition rundet sich mehr in die Tiefe. Man sieht links einen mächtigen Säulenschaft mit verzierter Basis. Die Absicht etwas besonderes zu liefern ist auch in der Ausführung von gleich mässiger Sorgfalt erkennbar. Dies ist wol 1) Diess merkwürdige, früher angefochtene Stück, das einzige wo Velazquez sich zur Nachahmung bequemt hat, befand sich von jeher im Palast des Grafen del Aguila zu Sevilla, von dem es Baron Taylor 1832 für 4800 L. erwarb; aus Louis Philipp’s spanischer Galerie ward es 1853 um 2050 L. für die Nationalgalerie angekauft (Nr. 253). Eine Darstellung desselben Gegenstandes verbrannte 1832 im Kapitelsaal zu Plasencia.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/168
Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/168>, abgerufen am 22.12.2024.