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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Zweites Buch.
Erstlinge bezogen sich auf einen Kultus, der in Sevilla so eben
einen ausserordentlichen Aufschwung genommen hatte.

Am achten September 1613, dem Tage von Mariä Geburt,
hatte ein Predigermönch die Meinung seines Ordens von der
Empfängniss Mariä vertheidigt, und durch das Aergerniss das
er gegeben eine Volksbewegung aufgeregt, welche die Geist-
lichkeit mit Eifer in die Hand nahm. Der Erzbischof de Castro
ordnete eine Procession an als Zeugniss für die unbefleckte
Empfängniss; alle Pfarrkirchen, Klöster, Bruderschaften, selbst
die Mulatten und Neger veranstalteten wochenlange Feste.
Eine Gesandtschaft an den König wurde beschlossen, die Befür-
wortung der Definition des Dogmas beim päpstlichen Stuhl zu
erbitten. Die Boten waren der Kanonikus D. Mateo Vazquez
de Leca und Bernardo de Toro. Dieser hatte den von Miguel
Cid gedichteten Vers (cuarteta) auf Noten gesetzt; täglich wurde
er von Gross und Klein auf den Gassen gesungen 1). Die beiden
Herren erreichten wirklich ein Breve Paul V. (21. August 1617),
welches wenigstens den öffentlichen Vortrag der weniger frommen
Meinung untersagte.

Um diese Zeit nun war es, wo auch unser Maler, nach dem
Vorbild seines Lehrers, den Tribut seines Pinsels der Allerrein-
sten darzubringen beschloss. Die beschuhten Carmeliter (Carmen
calzado
) bewohnten eines der stattlichsten Gotteshäuser der Stadt.
Es ist im Unabhängigkeitskrieg verwüstet und geplündert worden,
und heute Kaserne. Von dem grossen Kreuzgang mit Fuss-
boden von Genueser Marmorplatten und reichen Thonfliesen
(alicatados) führte eine breite Marmortreppe hinauf in den Kapitel-
saal. Für diesen waren zwei zusammengehörige Gemälde be-
stimmt: Johannes der Evangelist auf Patmos, dem die Gestalt
des Weibes auf dem Halbmond, verfolgt vom Drachen erscheint:
und diese Gestalt selbst, welche als Bild jenes Mysteriums
sanctionirt worden war. Beide Stücke (54" x 40"), die zuerst
von Cean Bermudez erwähnt werden, wurden in den Tagen der
Zerstörung von dem in dieser Beziehung hochverdienten Dom-
herrn Lopez Cepero gerettet, und in der Folge (1809) dem eng-
lischen Gesandten Sir Bartle Frere überlassen, in dessen Familie
sie sich noch befinden.


1) Todo el mundo en general
a voces, Reina escogida,
diga que sois concebida
sin pecado original. Sein Bildniss von Pacheco ist S. 68 erwähnt.

Zweites Buch.
Erstlinge bezogen sich auf einen Kultus, der in Sevilla so eben
einen ausserordentlichen Aufschwung genommen hatte.

Am achten September 1613, dem Tage von Mariä Geburt,
hatte ein Predigermönch die Meinung seines Ordens von der
Empfängniss Mariä vertheidigt, und durch das Aergerniss das
er gegeben eine Volksbewegung aufgeregt, welche die Geist-
lichkeit mit Eifer in die Hand nahm. Der Erzbischof de Castro
ordnete eine Procession an als Zeugniss für die unbefleckte
Empfängniss; alle Pfarrkirchen, Klöster, Bruderschaften, selbst
die Mulatten und Neger veranstalteten wochenlange Feste.
Eine Gesandtschaft an den König wurde beschlossen, die Befür-
wortung der Definition des Dogmas beim päpstlichen Stuhl zu
erbitten. Die Boten waren der Kanonikus D. Mateo Vazquez
de Leca und Bernardo de Toro. Dieser hatte den von Miguel
Cid gedichteten Vers (cuarteta) auf Noten gesetzt; täglich wurde
er von Gross und Klein auf den Gassen gesungen 1). Die beiden
Herren erreichten wirklich ein Breve Paul V. (21. August 1617),
welches wenigstens den öffentlichen Vortrag der weniger frommen
Meinung untersagte.

Um diese Zeit nun war es, wo auch unser Maler, nach dem
Vorbild seines Lehrers, den Tribut seines Pinsels der Allerrein-
sten darzubringen beschloss. Die beschuhten Carmeliter (Carmen
calzado
) bewohnten eines der stattlichsten Gotteshäuser der Stadt.
Es ist im Unabhängigkeitskrieg verwüstet und geplündert worden,
und heute Kaserne. Von dem grossen Kreuzgang mit Fuss-
boden von Genueser Marmorplatten und reichen Thonfliesen
(alicatados) führte eine breite Marmortreppe hinauf in den Kapitel-
saal. Für diesen waren zwei zusammengehörige Gemälde be-
stimmt: Johannes der Evangelist auf Patmos, dem die Gestalt
des Weibes auf dem Halbmond, verfolgt vom Drachen erscheint:
und diese Gestalt selbst, welche als Bild jenes Mysteriums
sanctionirt worden war. Beide Stücke (54″ × 40″), die zuerst
von Cean Bermudez erwähnt werden, wurden in den Tagen der
Zerstörung von dem in dieser Beziehung hochverdienten Dom-
herrn Lopez Cepero gerettet, und in der Folge (1809) dem eng-
lischen Gesandten Sir Bartle Frere überlassen, in dessen Familie
sie sich noch befinden.


1) Todo el mundo en general
á voces, Reina escogida,
diga que sois concebida
sin pecado original. Sein Bildniss von Pacheco ist S. 68 erwähnt.
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[142/0162] Zweites Buch. Erstlinge bezogen sich auf einen Kultus, der in Sevilla so eben einen ausserordentlichen Aufschwung genommen hatte. Am achten September 1613, dem Tage von Mariä Geburt, hatte ein Predigermönch die Meinung seines Ordens von der Empfängniss Mariä vertheidigt, und durch das Aergerniss das er gegeben eine Volksbewegung aufgeregt, welche die Geist- lichkeit mit Eifer in die Hand nahm. Der Erzbischof de Castro ordnete eine Procession an als Zeugniss für die unbefleckte Empfängniss; alle Pfarrkirchen, Klöster, Bruderschaften, selbst die Mulatten und Neger veranstalteten wochenlange Feste. Eine Gesandtschaft an den König wurde beschlossen, die Befür- wortung der Definition des Dogmas beim päpstlichen Stuhl zu erbitten. Die Boten waren der Kanonikus D. Mateo Vazquez de Leca und Bernardo de Toro. Dieser hatte den von Miguel Cid gedichteten Vers (cuarteta) auf Noten gesetzt; täglich wurde er von Gross und Klein auf den Gassen gesungen 1). Die beiden Herren erreichten wirklich ein Breve Paul V. (21. August 1617), welches wenigstens den öffentlichen Vortrag der weniger frommen Meinung untersagte. Um diese Zeit nun war es, wo auch unser Maler, nach dem Vorbild seines Lehrers, den Tribut seines Pinsels der Allerrein- sten darzubringen beschloss. Die beschuhten Carmeliter (Carmen calzado) bewohnten eines der stattlichsten Gotteshäuser der Stadt. Es ist im Unabhängigkeitskrieg verwüstet und geplündert worden, und heute Kaserne. Von dem grossen Kreuzgang mit Fuss- boden von Genueser Marmorplatten und reichen Thonfliesen (alicatados) führte eine breite Marmortreppe hinauf in den Kapitel- saal. Für diesen waren zwei zusammengehörige Gemälde be- stimmt: Johannes der Evangelist auf Patmos, dem die Gestalt des Weibes auf dem Halbmond, verfolgt vom Drachen erscheint: und diese Gestalt selbst, welche als Bild jenes Mysteriums sanctionirt worden war. Beide Stücke (54″ × 40″), die zuerst von Cean Bermudez erwähnt werden, wurden in den Tagen der Zerstörung von dem in dieser Beziehung hochverdienten Dom- herrn Lopez Cepero gerettet, und in der Folge (1809) dem eng- lischen Gesandten Sir Bartle Frere überlassen, in dessen Familie sie sich noch befinden. 1) Todo el mundo en general á voces, Reina escogida, diga que sois concebida sin pecado original. Sein Bildniss von Pacheco ist S. 68 erwähnt.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/162>, abgerufen am 25.11.2024.