Ansprechend und wahrscheinlich echt ist ein bloss theil- weis ausgeführtes Bild 1). Ein liebliches Kind von etwa drei Jahren, in gestreiftem Kleidchen, vielleicht sein eigenes Töchter- chen, sitzt hinter einem Tisch vor einer Silberschüssel mit Trauben, von denen es eine an den Mund hält. In die Ferne blickend, scheint es die Qualität zu kosten, der kleine Schlecker. Links, hinter ihm, sieht ein Mann herüber, wieder in seitlicher, etwas verkürzender Neigung des Gesichts; mit dem Blick des treuen Hüters. Sein Kopf ist fast fertig ausgearbeitet: grau, weiss, roth ineinander, es ist jener Typus mit starken Brauen und ein- gedrückter Nase. Der Kopf des Kindes ist auf dem braunen Grund leicht skizzirt, mit breiten halbdeckenden weissen Strichen und genährten dunkeln, fast wie ein Sepiastück; neben etwas grün sind die warmen Fleischtöne nur durch eine Spur Roth in Lippen und Nase vertreten; über die blonden Locken geht das Band des Mützchens. Die eine Hand ist nur in breiter brauner Contour vorhanden, die andere scheint ein Spielzeug zu halten; das Tisch- tuch ist nur zur Hälfte durch einen weissen waagerechten Strich angedeutet.
Aehnlich behandelt ist der Studienkopf einer Blinden in der Gallerie Raczynski (N. 17), ein Geschenk des D. Fran- cisco de Asis. Die festgeschlossenen kleinen Augen scheinen die einer Blindgebornen. Ein auf die Brust gesenkter, edelge- formter Kopf von dunkelbraunen, schräg über die Stirn gehenden dichten Locken umwallt, hohe Stirn, grade Nase, schmale Ober- lippe. Diese Studie ist mit mehr Farbentönen als die bisherigen Stücke trefflich modellirt. Einen ähnlichen Kopf glaubt man in der Staffage der Ansicht von Zaragoza, links, zu erkennen. (17" x 12".)
Apokryphen.
Da solche Sachen dafür galten, dass mit ihnen die "höchste Ehre" zu verdienen war, auch einige zweihundert Jahre lang königliche Gemächer geziert haben, so kann man sich denken, wie lebhaft seiner Zeit das Angebot gewesen ist, und wieviele solcher Schöpfungen längst vergessener Dunkelmänner neuerdings als Velazquez auf den Markt ge- bracht worden sind. Jede spanische Leinwand, auf der Küchengeschirr oder ein grinsender Junge vorkam, hiess ein Bodegon von Velazquez.
1) Es kam aus der Auktion des Earl of Clare für £ 34 13 s. an J. C. Robin- son und durch ihn an Mr. Salting (29" x 23".).
Zweites Buch.
Ansprechend und wahrscheinlich echt ist ein bloss theil- weis ausgeführtes Bild 1). Ein liebliches Kind von etwa drei Jahren, in gestreiftem Kleidchen, vielleicht sein eigenes Töchter- chen, sitzt hinter einem Tisch vor einer Silberschüssel mit Trauben, von denen es eine an den Mund hält. In die Ferne blickend, scheint es die Qualität zu kosten, der kleine Schlecker. Links, hinter ihm, sieht ein Mann herüber, wieder in seitlicher, etwas verkürzender Neigung des Gesichts; mit dem Blick des treuen Hüters. Sein Kopf ist fast fertig ausgearbeitet: grau, weiss, roth ineinander, es ist jener Typus mit starken Brauen und ein- gedrückter Nase. Der Kopf des Kindes ist auf dem braunen Grund leicht skizzirt, mit breiten halbdeckenden weissen Strichen und genährten dunkeln, fast wie ein Sepiastück; neben etwas grün sind die warmen Fleischtöne nur durch eine Spur Roth in Lippen und Nase vertreten; über die blonden Locken geht das Band des Mützchens. Die eine Hand ist nur in breiter brauner Contour vorhanden, die andere scheint ein Spielzeug zu halten; das Tisch- tuch ist nur zur Hälfte durch einen weissen waagerechten Strich angedeutet.
Aehnlich behandelt ist der Studienkopf einer Blinden in der Gallerie Raczynski (N. 17), ein Geschenk des D. Fran- cisco de Asis. Die festgeschlossenen kleinen Augen scheinen die einer Blindgebornen. Ein auf die Brust gesenkter, edelge- formter Kopf von dunkelbraunen, schräg über die Stirn gehenden dichten Locken umwallt, hohe Stirn, grade Nase, schmale Ober- lippe. Diese Studie ist mit mehr Farbentönen als die bisherigen Stücke trefflich modellirt. Einen ähnlichen Kopf glaubt man in der Staffage der Ansicht von Zaragoza, links, zu erkennen. (17″ × 12″.)
Apokryphen.
Da solche Sachen dafür galten, dass mit ihnen die „höchste Ehre“ zu verdienen war, auch einige zweihundert Jahre lang königliche Gemächer geziert haben, so kann man sich denken, wie lebhaft seiner Zeit das Angebot gewesen ist, und wieviele solcher Schöpfungen längst vergessener Dunkelmänner neuerdings als Velazquez auf den Markt ge- bracht worden sind. Jede spanische Leinwand, auf der Küchengeschirr oder ein grinsender Junge vorkam, hiess ein Bodegon von Velazquez.
1) Es kam aus der Auktion des Earl of Clare für £ 34 13 s. an J. C. Robin- son und durch ihn an Mr. Salting (29″ × 23″.).
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Zweites Buch.
Ansprechend und wahrscheinlich echt ist ein bloss theil-
weis ausgeführtes Bild 1). Ein liebliches Kind von etwa drei
Jahren, in gestreiftem Kleidchen, vielleicht sein eigenes Töchter-
chen, sitzt hinter einem Tisch vor einer Silberschüssel mit Trauben,
von denen es eine an den Mund hält. In die Ferne blickend,
scheint es die Qualität zu kosten, der kleine Schlecker. Links,
hinter ihm, sieht ein Mann herüber, wieder in seitlicher, etwas
verkürzender Neigung des Gesichts; mit dem Blick des treuen
Hüters. Sein Kopf ist fast fertig ausgearbeitet: grau, weiss,
roth ineinander, es ist jener Typus mit starken Brauen und ein-
gedrückter Nase. Der Kopf des Kindes ist auf dem braunen
Grund leicht skizzirt, mit breiten halbdeckenden weissen Strichen
und genährten dunkeln, fast wie ein Sepiastück; neben etwas grün
sind die warmen Fleischtöne nur durch eine Spur Roth in Lippen
und Nase vertreten; über die blonden Locken geht das Band
des Mützchens. Die eine Hand ist nur in breiter brauner Contour
vorhanden, die andere scheint ein Spielzeug zu halten; das Tisch-
tuch ist nur zur Hälfte durch einen weissen waagerechten Strich
angedeutet.
Aehnlich behandelt ist der Studienkopf einer Blinden in
der Gallerie Raczynski (N. 17), ein Geschenk des D. Fran-
cisco de Asis. Die festgeschlossenen kleinen Augen scheinen
die einer Blindgebornen. Ein auf die Brust gesenkter, edelge-
formter Kopf von dunkelbraunen, schräg über die Stirn gehenden
dichten Locken umwallt, hohe Stirn, grade Nase, schmale Ober-
lippe. Diese Studie ist mit mehr Farbentönen als die bisherigen
Stücke trefflich modellirt. Einen ähnlichen Kopf glaubt man in der
Staffage der Ansicht von Zaragoza, links, zu erkennen. (17″ × 12″.)
Apokryphen.
Da solche Sachen dafür galten, dass mit ihnen die „höchste Ehre“
zu verdienen war, auch einige zweihundert Jahre lang königliche
Gemächer geziert haben, so kann man sich denken, wie lebhaft seiner
Zeit das Angebot gewesen ist, und wieviele solcher Schöpfungen längst
vergessener Dunkelmänner neuerdings als Velazquez auf den Markt ge-
bracht worden sind. Jede spanische Leinwand, auf der Küchengeschirr
oder ein grinsender Junge vorkam, hiess ein Bodegon von Velazquez.
1) Es kam aus der Auktion des Earl of Clare für £ 34 13 s. an J. C. Robin-
son und durch ihn an Mr. Salting (29″ × 23″.).
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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/156>, abgerufen am 25.11.2024.
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