Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.Die Lehrjahre. welchem Glück; so machte es Jusepe de Rivera, denn seineFiguren und Köpfe erscheinen neben allen den grossen Gemäl- den, welche der Herzog von Alcala hat, lebendig und das übrige gemalt, obwol sie Guido von Bologna zum Nachbar haben [grade wie in der Kasseler Galerie]. Und mein Schwiegersohn, welcher denselben Weg geht, an dem sieht man auch den Unterschied von den andern, weil er allzeit die Natur vor Augen hat" (II, 15 f.). Von Originalen Caravaggio's, die damals in Andalusien ge- Im ersten Buch sind die Vorbilder geschildert worden, welche Belege für diesen Satz kommen in Zeiten grosser Wand- Gewiss ist die Hauptaufgabe auch der Kunstgeschichte, den Die Lehrjahre. welchem Glück; so machte es Jusepe de Rivera, denn seineFiguren und Köpfe erscheinen neben allen den grossen Gemäl- den, welche der Herzog von Alcalá hat, lebendig und das übrige gemalt, obwol sie Guido von Bologna zum Nachbar haben [grade wie in der Kasseler Galerie]. Und mein Schwiegersohn, welcher denselben Weg geht, an dem sieht man auch den Unterschied von den andern, weil er allzeit die Natur vor Augen hat“ (II, 15 f.). Von Originalen Caravaggio’s, die damals in Andalusien ge- Im ersten Buch sind die Vorbilder geschildert worden, welche Belege für diesen Satz kommen in Zeiten grosser Wand- Gewiss ist die Hauptaufgabe auch der Kunstgeschichte, den <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0141" n="121"/><fw place="top" type="header">Die Lehrjahre.</fw><lb/> welchem Glück; so machte es Jusepe de Rivera, denn seine<lb/> Figuren und Köpfe erscheinen neben allen den grossen Gemäl-<lb/> den, welche der Herzog von Alcalá hat, lebendig und das übrige<lb/> gemalt, obwol sie Guido von Bologna zum Nachbar haben<lb/> [grade wie in der Kasseler Galerie]. Und mein Schwiegersohn,<lb/> welcher denselben Weg geht, an dem sieht man auch den<lb/> Unterschied von den andern, weil er allzeit die Natur vor Augen<lb/> hat“ (II, 15 f.).</p><lb/> <p>Von Originalen Caravaggio’s, die damals in Andalusien ge-<lb/> wesen wären, ist auch sonst nichts bekannt. Der Herzog von<lb/> Osuna, welcher Ribera aus seiner Dunkelheit hervorzog, hat frü-<lb/> hestens nach seiner Rückkehr aus Neapel (1620) dessen Werke<lb/> nach seinem Familiensitz und in die dortige Colegiata, wo die<lb/> Familiengruft ist, gebracht. Sie sind noch heute da zu sehn:<lb/> das Hauptstück ist eine Kreuzigung. Aber Velazquez’ in diesem<lb/> Stil gemalte Epiphanie trägt schon die Jahreszahl 1619, und in<lb/> Sevilla scheint man Ribera zuerst aus den von Osuna’s Nachfol-<lb/> ger Alcalá (1631) mitgebrachten Stücken kennen gelernt zu haben.<lb/> Hiernach kann die Anregung zu dem neuen Stil nicht von Ribera<lb/> gekommen sein. —</p><lb/> <p>Im ersten Buch sind die Vorbilder geschildert worden, welche<lb/> die jungen Talente im Anfang des Jahrhunderts umgaben: aber<lb/> auf dem Weg den sie einschlugen sahen sie sich von allen diesen<lb/> Vorbildern im Stich gelassen. So leicht wiegen alle Lehren und<lb/> Muster gegenüber dem Zug und Geist der Zeit.</p><lb/> <p>Belege für diesen Satz kommen in Zeiten grosser Wand-<lb/> lungen des Geschmacks öfter vor als man denkt; ich möchte<lb/> hier eine allgemeine Bemerkung anknüpfen.</p><lb/> <p>Gewiss ist die Hauptaufgabe auch der Kunstgeschichte, den<lb/> ursächlichen Zusammenhang der Erscheinungen festzustellen; aber<lb/> man sollte nicht vergessen, dass es äussere und innere, einzelne<lb/> und allgemeine Ursachen giebt. Aehnlichkeit, ja Gleichheit des<lb/> Stils und der Mache, oder gar bloss des Geschmacks und der<lb/> Gegenstände aufzeigen, heisst noch nicht, den Nachweis eines<lb/> Zusammenhanges, einer Abhängigkeit erbringen. Zu jeder Zeit<lb/> liegen, bei räumlich oder national getrennten Schauplätzen, ge-<lb/> wisse Darstellungsformen und -Tendenzen, ebenso wie Stoffe, in<lb/> der Luft und werden, ohne äussere Berührung, von mehr als<lb/> einem gefunden. Ganz so wie in den Wissenschaften Entdeckun-<lb/> gen und in der Mechanik Erfindungen oft von mehreren unab-<lb/> hängig gemacht werden. Jedes Zeitalter vermacht eben dem fol-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [121/0141]
Die Lehrjahre.
welchem Glück; so machte es Jusepe de Rivera, denn seine
Figuren und Köpfe erscheinen neben allen den grossen Gemäl-
den, welche der Herzog von Alcalá hat, lebendig und das übrige
gemalt, obwol sie Guido von Bologna zum Nachbar haben
[grade wie in der Kasseler Galerie]. Und mein Schwiegersohn,
welcher denselben Weg geht, an dem sieht man auch den
Unterschied von den andern, weil er allzeit die Natur vor Augen
hat“ (II, 15 f.).
Von Originalen Caravaggio’s, die damals in Andalusien ge-
wesen wären, ist auch sonst nichts bekannt. Der Herzog von
Osuna, welcher Ribera aus seiner Dunkelheit hervorzog, hat frü-
hestens nach seiner Rückkehr aus Neapel (1620) dessen Werke
nach seinem Familiensitz und in die dortige Colegiata, wo die
Familiengruft ist, gebracht. Sie sind noch heute da zu sehn:
das Hauptstück ist eine Kreuzigung. Aber Velazquez’ in diesem
Stil gemalte Epiphanie trägt schon die Jahreszahl 1619, und in
Sevilla scheint man Ribera zuerst aus den von Osuna’s Nachfol-
ger Alcalá (1631) mitgebrachten Stücken kennen gelernt zu haben.
Hiernach kann die Anregung zu dem neuen Stil nicht von Ribera
gekommen sein. —
Im ersten Buch sind die Vorbilder geschildert worden, welche
die jungen Talente im Anfang des Jahrhunderts umgaben: aber
auf dem Weg den sie einschlugen sahen sie sich von allen diesen
Vorbildern im Stich gelassen. So leicht wiegen alle Lehren und
Muster gegenüber dem Zug und Geist der Zeit.
Belege für diesen Satz kommen in Zeiten grosser Wand-
lungen des Geschmacks öfter vor als man denkt; ich möchte
hier eine allgemeine Bemerkung anknüpfen.
Gewiss ist die Hauptaufgabe auch der Kunstgeschichte, den
ursächlichen Zusammenhang der Erscheinungen festzustellen; aber
man sollte nicht vergessen, dass es äussere und innere, einzelne
und allgemeine Ursachen giebt. Aehnlichkeit, ja Gleichheit des
Stils und der Mache, oder gar bloss des Geschmacks und der
Gegenstände aufzeigen, heisst noch nicht, den Nachweis eines
Zusammenhanges, einer Abhängigkeit erbringen. Zu jeder Zeit
liegen, bei räumlich oder national getrennten Schauplätzen, ge-
wisse Darstellungsformen und -Tendenzen, ebenso wie Stoffe, in
der Luft und werden, ohne äussere Berührung, von mehr als
einem gefunden. Ganz so wie in den Wissenschaften Entdeckun-
gen und in der Mechanik Erfindungen oft von mehreren unab-
hängig gemacht werden. Jedes Zeitalter vermacht eben dem fol-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |