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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Die Lehrjahre.
welchem Glück; so machte es Jusepe de Rivera, denn seine
Figuren und Köpfe erscheinen neben allen den grossen Gemäl-
den, welche der Herzog von Alcala hat, lebendig und das übrige
gemalt, obwol sie Guido von Bologna zum Nachbar haben
[grade wie in der Kasseler Galerie]. Und mein Schwiegersohn,
welcher denselben Weg geht, an dem sieht man auch den
Unterschied von den andern, weil er allzeit die Natur vor Augen
hat" (II, 15 f.).

Von Originalen Caravaggio's, die damals in Andalusien ge-
wesen wären, ist auch sonst nichts bekannt. Der Herzog von
Osuna, welcher Ribera aus seiner Dunkelheit hervorzog, hat frü-
hestens nach seiner Rückkehr aus Neapel (1620) dessen Werke
nach seinem Familiensitz und in die dortige Colegiata, wo die
Familiengruft ist, gebracht. Sie sind noch heute da zu sehn:
das Hauptstück ist eine Kreuzigung. Aber Velazquez' in diesem
Stil gemalte Epiphanie trägt schon die Jahreszahl 1619, und in
Sevilla scheint man Ribera zuerst aus den von Osuna's Nachfol-
ger Alcala (1631) mitgebrachten Stücken kennen gelernt zu haben.
Hiernach kann die Anregung zu dem neuen Stil nicht von Ribera
gekommen sein. --

Im ersten Buch sind die Vorbilder geschildert worden, welche
die jungen Talente im Anfang des Jahrhunderts umgaben: aber
auf dem Weg den sie einschlugen sahen sie sich von allen diesen
Vorbildern im Stich gelassen. So leicht wiegen alle Lehren und
Muster gegenüber dem Zug und Geist der Zeit.

Belege für diesen Satz kommen in Zeiten grosser Wand-
lungen des Geschmacks öfter vor als man denkt; ich möchte
hier eine allgemeine Bemerkung anknüpfen.

Gewiss ist die Hauptaufgabe auch der Kunstgeschichte, den
ursächlichen Zusammenhang der Erscheinungen festzustellen; aber
man sollte nicht vergessen, dass es äussere und innere, einzelne
und allgemeine Ursachen giebt. Aehnlichkeit, ja Gleichheit des
Stils und der Mache, oder gar bloss des Geschmacks und der
Gegenstände aufzeigen, heisst noch nicht, den Nachweis eines
Zusammenhanges, einer Abhängigkeit erbringen. Zu jeder Zeit
liegen, bei räumlich oder national getrennten Schauplätzen, ge-
wisse Darstellungsformen und -Tendenzen, ebenso wie Stoffe, in
der Luft und werden, ohne äussere Berührung, von mehr als
einem gefunden. Ganz so wie in den Wissenschaften Entdeckun-
gen und in der Mechanik Erfindungen oft von mehreren unab-
hängig gemacht werden. Jedes Zeitalter vermacht eben dem fol-

Die Lehrjahre.
welchem Glück; so machte es Jusepe de Rivera, denn seine
Figuren und Köpfe erscheinen neben allen den grossen Gemäl-
den, welche der Herzog von Alcalá hat, lebendig und das übrige
gemalt, obwol sie Guido von Bologna zum Nachbar haben
[grade wie in der Kasseler Galerie]. Und mein Schwiegersohn,
welcher denselben Weg geht, an dem sieht man auch den
Unterschied von den andern, weil er allzeit die Natur vor Augen
hat“ (II, 15 f.).

Von Originalen Caravaggio’s, die damals in Andalusien ge-
wesen wären, ist auch sonst nichts bekannt. Der Herzog von
Osuna, welcher Ribera aus seiner Dunkelheit hervorzog, hat frü-
hestens nach seiner Rückkehr aus Neapel (1620) dessen Werke
nach seinem Familiensitz und in die dortige Colegiata, wo die
Familiengruft ist, gebracht. Sie sind noch heute da zu sehn:
das Hauptstück ist eine Kreuzigung. Aber Velazquez’ in diesem
Stil gemalte Epiphanie trägt schon die Jahreszahl 1619, und in
Sevilla scheint man Ribera zuerst aus den von Osuna’s Nachfol-
ger Alcalá (1631) mitgebrachten Stücken kennen gelernt zu haben.
Hiernach kann die Anregung zu dem neuen Stil nicht von Ribera
gekommen sein. —

Im ersten Buch sind die Vorbilder geschildert worden, welche
die jungen Talente im Anfang des Jahrhunderts umgaben: aber
auf dem Weg den sie einschlugen sahen sie sich von allen diesen
Vorbildern im Stich gelassen. So leicht wiegen alle Lehren und
Muster gegenüber dem Zug und Geist der Zeit.

Belege für diesen Satz kommen in Zeiten grosser Wand-
lungen des Geschmacks öfter vor als man denkt; ich möchte
hier eine allgemeine Bemerkung anknüpfen.

Gewiss ist die Hauptaufgabe auch der Kunstgeschichte, den
ursächlichen Zusammenhang der Erscheinungen festzustellen; aber
man sollte nicht vergessen, dass es äussere und innere, einzelne
und allgemeine Ursachen giebt. Aehnlichkeit, ja Gleichheit des
Stils und der Mache, oder gar bloss des Geschmacks und der
Gegenstände aufzeigen, heisst noch nicht, den Nachweis eines
Zusammenhanges, einer Abhängigkeit erbringen. Zu jeder Zeit
liegen, bei räumlich oder national getrennten Schauplätzen, ge-
wisse Darstellungsformen und -Tendenzen, ebenso wie Stoffe, in
der Luft und werden, ohne äussere Berührung, von mehr als
einem gefunden. Ganz so wie in den Wissenschaften Entdeckun-
gen und in der Mechanik Erfindungen oft von mehreren unab-
hängig gemacht werden. Jedes Zeitalter vermacht eben dem fol-

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[121/0141] Die Lehrjahre. welchem Glück; so machte es Jusepe de Rivera, denn seine Figuren und Köpfe erscheinen neben allen den grossen Gemäl- den, welche der Herzog von Alcalá hat, lebendig und das übrige gemalt, obwol sie Guido von Bologna zum Nachbar haben [grade wie in der Kasseler Galerie]. Und mein Schwiegersohn, welcher denselben Weg geht, an dem sieht man auch den Unterschied von den andern, weil er allzeit die Natur vor Augen hat“ (II, 15 f.). Von Originalen Caravaggio’s, die damals in Andalusien ge- wesen wären, ist auch sonst nichts bekannt. Der Herzog von Osuna, welcher Ribera aus seiner Dunkelheit hervorzog, hat frü- hestens nach seiner Rückkehr aus Neapel (1620) dessen Werke nach seinem Familiensitz und in die dortige Colegiata, wo die Familiengruft ist, gebracht. Sie sind noch heute da zu sehn: das Hauptstück ist eine Kreuzigung. Aber Velazquez’ in diesem Stil gemalte Epiphanie trägt schon die Jahreszahl 1619, und in Sevilla scheint man Ribera zuerst aus den von Osuna’s Nachfol- ger Alcalá (1631) mitgebrachten Stücken kennen gelernt zu haben. Hiernach kann die Anregung zu dem neuen Stil nicht von Ribera gekommen sein. — Im ersten Buch sind die Vorbilder geschildert worden, welche die jungen Talente im Anfang des Jahrhunderts umgaben: aber auf dem Weg den sie einschlugen sahen sie sich von allen diesen Vorbildern im Stich gelassen. So leicht wiegen alle Lehren und Muster gegenüber dem Zug und Geist der Zeit. Belege für diesen Satz kommen in Zeiten grosser Wand- lungen des Geschmacks öfter vor als man denkt; ich möchte hier eine allgemeine Bemerkung anknüpfen. Gewiss ist die Hauptaufgabe auch der Kunstgeschichte, den ursächlichen Zusammenhang der Erscheinungen festzustellen; aber man sollte nicht vergessen, dass es äussere und innere, einzelne und allgemeine Ursachen giebt. Aehnlichkeit, ja Gleichheit des Stils und der Mache, oder gar bloss des Geschmacks und der Gegenstände aufzeigen, heisst noch nicht, den Nachweis eines Zusammenhanges, einer Abhängigkeit erbringen. Zu jeder Zeit liegen, bei räumlich oder national getrennten Schauplätzen, ge- wisse Darstellungsformen und -Tendenzen, ebenso wie Stoffe, in der Luft und werden, ohne äussere Berührung, von mehr als einem gefunden. Ganz so wie in den Wissenschaften Entdeckun- gen und in der Mechanik Erfindungen oft von mehreren unab- hängig gemacht werden. Jedes Zeitalter vermacht eben dem fol-

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/141>, abgerufen am 24.11.2024.