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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Die Lehrjahre.
einem Bildniss bloss durch die Linie Aehnlichkeit geben. Darauf
gründet sich die Musterhaftigkeit der Dürer'schen gestochenen
Bildnisse. Auch muss man diese Linie gleich so richtig setzen,
dass sie nicht verändert zu werden braucht, und ja nicht die
Aehnlichkeit der malenden Ausführung überlassen.

Weniger Bedeutung hat es, dass Velazquez in seinen reli-
giösen Gemälden die zuweilen wunderlichen Vorschriften des Alten
meist befolgt hat, z. B. in der Darstellung des neugeborenen
Heilandes als Wickelkind, in den vier Nägeln des Crucifix
u. a. m. --

Hiernach dürfte W. Bürger doch Recht behalten, wenn
er glaubt, dass Velazquez dem Pacheco die Feinheit und Correkt-
heit seiner Zeichnung verdankt habe 1). Die allgemeine Verken-
nung dieses Verhältnisses scheint auf einem Vorurtheil zu be-
ruhen. Kritiker, deren Beschäftigung zum Theil darin besteht,
aus den Sandschichten der Zeitprodukte die Goldkörner wahrer
Kunst "auszuwaschen" und nach dem Werth zu sortiren, erwerben
sich durch Uebung des Auges einen Sinn für das Genialische,
die Meisterhand, und eine entsprechende Geringschätzung der
Eigenschaften, die für Galeriebilder weniger empfehlend sind.
Sie glauben, der werdende Künstler bedürfe auch solcher ge-
nialischer Lehrer. Die Geschichte zeigt das Gegentheil. Wie
wenig glücklich waren oft die grossen Männer mit ihren Schü-
lern und Verehrern, wie erfolgreich die langsamen, methodischen
und mechanischen Geister. Die spanische Schule enthält mehrere
Beispiele der Art. Luis Fernandez, von dem schon Cean kein
Bild bekannt war und den Palomino in seine Malerleben nicht
einmal aufgenommen hat, war der Lehrer Herrera's und Pacheco's;

1) Ainsi, c'est a l'enseignement du savant Pacheco, son ami et son beau-pere,
que Velazquez a dau d'acquerir la finesse et la correction de son dessin, si precis
dans les mouvemens, si ferme dans les attaches, si expressif dans sa liberte. Tresors
d'art en Angleterre. Bruxelles 1860. 122. Obige Zusammenstellung lehrt was von
solchen Urtheilen zu halten ist, wie das von Menendez y Pelayo, Historia de las ideas
esteticas II, 584, wo er diese Tractate über die bildenden Künste "pobres, raquiticos
y desmedrados" findet, und was noch schlimmer sei, "en tan palmaria contradiccion
con lo que el arte de aquellas centurias practicaba, guiado solo por el instinto del
genio." Aber wie die Musik ihren Generalbass hat, der sogar in den Bereich der
Mathematik fällt, so kann eine Arte de la pintura wenigstens nicht lesbar sein wie
die Ars amandi oder eine Aesthetik. Die bildenden Künste haben ein breites tech-
nisches und wissenschaftliches Fundament, und Gemälde kann man nicht machen
wie Verse und akademische Reden, aus dem Tintenfass oder mit dem puren Instinkt
des Genius.

Die Lehrjahre.
einem Bildniss bloss durch die Linie Aehnlichkeit geben. Darauf
gründet sich die Musterhaftigkeit der Dürer’schen gestochenen
Bildnisse. Auch muss man diese Linie gleich so richtig setzen,
dass sie nicht verändert zu werden braucht, und ja nicht die
Aehnlichkeit der malenden Ausführung überlassen.

Weniger Bedeutung hat es, dass Velazquez in seinen reli-
giösen Gemälden die zuweilen wunderlichen Vorschriften des Alten
meist befolgt hat, z. B. in der Darstellung des neugeborenen
Heilandes als Wickelkind, in den vier Nägeln des Crucifix
u. a. m. —

Hiernach dürfte W. Bürger doch Recht behalten, wenn
er glaubt, dass Velazquez dem Pacheco die Feinheit und Correkt-
heit seiner Zeichnung verdankt habe 1). Die allgemeine Verken-
nung dieses Verhältnisses scheint auf einem Vorurtheil zu be-
ruhen. Kritiker, deren Beschäftigung zum Theil darin besteht,
aus den Sandschichten der Zeitprodukte die Goldkörner wahrer
Kunst „auszuwaschen“ und nach dem Werth zu sortiren, erwerben
sich durch Uebung des Auges einen Sinn für das Genialische,
die Meisterhand, und eine entsprechende Geringschätzung der
Eigenschaften, die für Galeriebilder weniger empfehlend sind.
Sie glauben, der werdende Künstler bedürfe auch solcher ge-
nialischer Lehrer. Die Geschichte zeigt das Gegentheil. Wie
wenig glücklich waren oft die grossen Männer mit ihren Schü-
lern und Verehrern, wie erfolgreich die langsamen, methodischen
und mechanischen Geister. Die spanische Schule enthält mehrere
Beispiele der Art. Luis Fernandez, von dem schon Cean kein
Bild bekannt war und den Palomino in seine Malerleben nicht
einmal aufgenommen hat, war der Lehrer Herrera’s und Pacheco’s;

1) Ainsi, c’est à l’enseignement du savant Pacheco, son ami et son beau-père,
que Velazquez a dû d’acquérir la finesse et la correction de son dessin, si précis
dans les mouvemens, si ferme dans les attaches, si expressif dans sa liberté. Trésors
d’art en Angleterre. Bruxelles 1860. 122. Obige Zusammenstellung lehrt was von
solchen Urtheilen zu halten ist, wie das von Menendez y Pelayo, Historia de las ideas
estéticas II, 584, wo er diese Tractate über die bildenden Künste „pobres, raquíticos
y desmedrados“ findet, und was noch schlimmer sei, „en tan palmaria contradiccion
con lo que el arte de aquellas centurias practicaba, guiado sólo por el instinto del
genio.“ Aber wie die Musik ihren Generalbass hat, der sogar in den Bereich der
Mathematik fällt, so kann eine Arte de la pintura wenigstens nicht lesbar sein wie
die Ars amandi oder eine Aesthetik. Die bildenden Künste haben ein breites tech-
nisches und wissenschaftliches Fundament, und Gemälde kann man nicht machen
wie Verse und akademische Reden, aus dem Tintenfass oder mit dem puren Instinkt
des Genius.
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[117/0137] Die Lehrjahre. einem Bildniss bloss durch die Linie Aehnlichkeit geben. Darauf gründet sich die Musterhaftigkeit der Dürer’schen gestochenen Bildnisse. Auch muss man diese Linie gleich so richtig setzen, dass sie nicht verändert zu werden braucht, und ja nicht die Aehnlichkeit der malenden Ausführung überlassen. Weniger Bedeutung hat es, dass Velazquez in seinen reli- giösen Gemälden die zuweilen wunderlichen Vorschriften des Alten meist befolgt hat, z. B. in der Darstellung des neugeborenen Heilandes als Wickelkind, in den vier Nägeln des Crucifix u. a. m. — Hiernach dürfte W. Bürger doch Recht behalten, wenn er glaubt, dass Velazquez dem Pacheco die Feinheit und Correkt- heit seiner Zeichnung verdankt habe 1). Die allgemeine Verken- nung dieses Verhältnisses scheint auf einem Vorurtheil zu be- ruhen. Kritiker, deren Beschäftigung zum Theil darin besteht, aus den Sandschichten der Zeitprodukte die Goldkörner wahrer Kunst „auszuwaschen“ und nach dem Werth zu sortiren, erwerben sich durch Uebung des Auges einen Sinn für das Genialische, die Meisterhand, und eine entsprechende Geringschätzung der Eigenschaften, die für Galeriebilder weniger empfehlend sind. Sie glauben, der werdende Künstler bedürfe auch solcher ge- nialischer Lehrer. Die Geschichte zeigt das Gegentheil. Wie wenig glücklich waren oft die grossen Männer mit ihren Schü- lern und Verehrern, wie erfolgreich die langsamen, methodischen und mechanischen Geister. Die spanische Schule enthält mehrere Beispiele der Art. Luis Fernandez, von dem schon Cean kein Bild bekannt war und den Palomino in seine Malerleben nicht einmal aufgenommen hat, war der Lehrer Herrera’s und Pacheco’s; 1) Ainsi, c’est à l’enseignement du savant Pacheco, son ami et son beau-père, que Velazquez a dû d’acquérir la finesse et la correction de son dessin, si précis dans les mouvemens, si ferme dans les attaches, si expressif dans sa liberté. Trésors d’art en Angleterre. Bruxelles 1860. 122. Obige Zusammenstellung lehrt was von solchen Urtheilen zu halten ist, wie das von Menendez y Pelayo, Historia de las ideas estéticas II, 584, wo er diese Tractate über die bildenden Künste „pobres, raquíticos y desmedrados“ findet, und was noch schlimmer sei, „en tan palmaria contradiccion con lo que el arte de aquellas centurias practicaba, guiado sólo por el instinto del genio.“ Aber wie die Musik ihren Generalbass hat, der sogar in den Bereich der Mathematik fällt, so kann eine Arte de la pintura wenigstens nicht lesbar sein wie die Ars amandi oder eine Aesthetik. Die bildenden Künste haben ein breites tech- nisches und wissenschaftliches Fundament, und Gemälde kann man nicht machen wie Verse und akademische Reden, aus dem Tintenfass oder mit dem puren Instinkt des Genius.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/137>, abgerufen am 22.11.2024.