Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

Dialog über die Malerei.
das ist richtig, dass einigen unserer gefeiertsten Maler, z. B. dem gött-
lichen Morales (der heilige Lukas verzeihe den Ochsen, die ihn göttlich
genannt haben) bei all seiner zarten Verschmolzenheit das Beste der
Kunst und das Studium der Zeichnung gefehlt hat. Die gute Manier
hat auch dem grossen Dürer und dem Maese Campanna gefehlt.

Tr. Nach solchen Lehren der Geschichte könnt ihr nun doch
nicht läugnen, dass die fleissige Manier von wesentlichen, des Genies
würdigeren Dingen ablenkt, die Hand zaghaft, das Auge kleinlich macht
und uns um das Höchste: Relief und Bewegung betrügt.

E. Keineswegs! Kein Mensch wird mir einreden, dass nicht unser
höchstes Ziel sein sollte: Der Natur zu gleichen, d. h. in der Ferne und
Nähe lebendig zu erscheinen. Vollendet in der Nähe, und hervorsprin-
gend aus dem Rahmen, sich rundend aus der Ferne. Wenn das eine
Bild nur aus der Ferne täuscht, und das andere von fern und nahe,
so ist doch wohl das zweite das beste. So malte Juan de Encina.
[Van Eyck; a. a. O. I, 415.]

Tr. Ohne allen Zweifel. Nur ob das so leicht beisammen zu haben
ist? Ich bekenne, dass ich es nicht aus der Philosophie begründen und
mit Worten erklären kann, aber ich sehe es mit Augen: dass das Relief
und die Rundung, noch mehr der Glanz und Schimmer nie in den ver-
schmolzenen Gemälden den Grad der Wahrheit hat wie in den borro-
nes
. Und wenn nothwendig eins gegen das andere in der Waagschale
steigen oder sinken muss, so gestehe ich, ich werde stets auf der Seite
jener alten Venezianer, des Greco und des Herrera sein, mit ihrer
frappanten Plastik und unmittelbarem Leben, ihrer Lichtkraft und ihrem
Impasto der Farbe, und gern auf das Lob derer verzichten, die ein
Bild nur geniessen können, wenn sie ihre Nasenspitze mit der grossen
Brille auf der Leinwand spazieren führen.

E. Noch mancherlei könnte ich erwidern; aber ich sehe, hier
spricht der Einfluss der Sterne, der stärker ist als Gründe und Grund-
sätze. Auch ich habe übrigens nie verkannt, dass die höchste Stufe
der Kunst nicht denkbar ist ohne Leichtigkeit. Ich sprach hier vielleicht
etwas für mich selbst und meine Praxis; aber auch aus Pflichtgefühl,
weil mir die Zukunft unsrer Schule am Herzen liegt, für die ich auch
mit verantwortlich bin. Aber ich will dem Genius keine Schranken
setzen. Eines schickt sich nicht für alle. Wer weiss was für Kräfte der
Geist Gottes uns noch erweckt. --

Aber wir sitzen ja schon fast im Dunkeln, und die Glocke des
Angelus ertönt von San Pedro her. Sennor Filostrato, wie unermess-
lich sind wir Euch verbunden...

F. Ich hoffe auf Wiedersehn zur Weihnachtszeit! Denn hinter all

Dialog über die Malerei.
das ist richtig, dass einigen unserer gefeiertsten Maler, z. B. dem gött-
lichen Morales (der heilige Lukas verzeihe den Ochsen, die ihn göttlich
genannt haben) bei all seiner zarten Verschmolzenheit das Beste der
Kunst und das Studium der Zeichnung gefehlt hat. Die gute Manier
hat auch dem grossen Dürer und dem Maese Campaña gefehlt.

Tr. Nach solchen Lehren der Geschichte könnt ihr nun doch
nicht läugnen, dass die fleissige Manier von wesentlichen, des Genies
würdigeren Dingen ablenkt, die Hand zaghaft, das Auge kleinlich macht
und uns um das Höchste: Relief und Bewegung betrügt.

E. Keineswegs! Kein Mensch wird mir einreden, dass nicht unser
höchstes Ziel sein sollte: Der Natur zu gleichen, d. h. in der Ferne und
Nähe lebendig zu erscheinen. Vollendet in der Nähe, und hervorsprin-
gend aus dem Rahmen, sich rundend aus der Ferne. Wenn das eine
Bild nur aus der Ferne täuscht, und das andere von fern und nahe,
so ist doch wohl das zweite das beste. So malte Juan de Encina.
[Van Eyck; a. a. O. I, 415.]

Tr. Ohne allen Zweifel. Nur ob das so leicht beisammen zu haben
ist? Ich bekenne, dass ich es nicht aus der Philosophie begründen und
mit Worten erklären kann, aber ich sehe es mit Augen: dass das Relief
und die Rundung, noch mehr der Glanz und Schimmer nie in den ver-
schmolzenen Gemälden den Grad der Wahrheit hat wie in den borro-
nes
. Und wenn nothwendig eins gegen das andere in der Waagschale
steigen oder sinken muss, so gestehe ich, ich werde stets auf der Seite
jener alten Venezianer, des Greco und des Herrera sein, mit ihrer
frappanten Plastik und unmittelbarem Leben, ihrer Lichtkraft und ihrem
Impasto der Farbe, und gern auf das Lob derer verzichten, die ein
Bild nur geniessen können, wenn sie ihre Nasenspitze mit der grossen
Brille auf der Leinwand spazieren führen.

E. Noch mancherlei könnte ich erwidern; aber ich sehe, hier
spricht der Einfluss der Sterne, der stärker ist als Gründe und Grund-
sätze. Auch ich habe übrigens nie verkannt, dass die höchste Stufe
der Kunst nicht denkbar ist ohne Leichtigkeit. Ich sprach hier vielleicht
etwas für mich selbst und meine Praxis; aber auch aus Pflichtgefühl,
weil mir die Zukunft unsrer Schule am Herzen liegt, für die ich auch
mit verantwortlich bin. Aber ich will dem Genius keine Schranken
setzen. Eines schickt sich nicht für alle. Wer weiss was für Kräfte der
Geist Gottes uns noch erweckt. —

Aber wir sitzen ja schon fast im Dunkeln, und die Glocke des
Angelus ertönt von San Pedro her. Señor Filostrato, wie unermess-
lich sind wir Euch verbunden…

F. Ich hoffe auf Wiedersehn zur Weihnachtszeit! Denn hinter all

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0123" n="103"/><fw place="top" type="header">Dialog über die Malerei.</fw><lb/>
das ist richtig, dass einigen unserer gefeiertsten Maler, z. B. dem gött-<lb/>
lichen Morales (der heilige Lukas verzeihe den Ochsen, die ihn göttlich<lb/>
genannt haben) bei all seiner zarten Verschmolzenheit das Beste der<lb/>
Kunst und das Studium der Zeichnung gefehlt hat. Die gute Manier<lb/>
hat auch dem grossen Dürer und dem Maese Campaña gefehlt.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#i">Tr</hi>. Nach solchen Lehren der Geschichte könnt ihr nun doch<lb/>
nicht läugnen, dass die fleissige Manier von wesentlichen, des Genies<lb/>
würdigeren Dingen ablenkt, die Hand zaghaft, das Auge kleinlich macht<lb/>
und uns um das Höchste: Relief und Bewegung betrügt.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#i">E</hi>. Keineswegs! Kein Mensch wird mir einreden, dass nicht unser<lb/>
höchstes Ziel sein sollte: Der Natur zu gleichen, d. h. in der Ferne <hi rendition="#i">und</hi><lb/>
Nähe lebendig zu erscheinen. Vollendet in der Nähe, und hervorsprin-<lb/>
gend aus dem Rahmen, sich rundend aus der Ferne. Wenn das eine<lb/>
Bild nur aus der Ferne täuscht, und das andere von fern <hi rendition="#i">und</hi> nahe,<lb/>
so ist doch wohl das zweite das beste. So malte Juan de Encina.<lb/>
[Van Eyck; a. a. O. I, 415.]</p><lb/>
            <p><hi rendition="#i">Tr</hi>. Ohne allen Zweifel. Nur ob das so leicht beisammen zu haben<lb/>
ist? Ich bekenne, dass ich es nicht aus der Philosophie begründen und<lb/>
mit Worten erklären kann, aber ich sehe es mit Augen: dass das Relief<lb/>
und die Rundung, noch mehr der Glanz und Schimmer nie in den ver-<lb/>
schmolzenen Gemälden den Grad der Wahrheit hat wie in den <hi rendition="#i">borro-<lb/>
nes</hi>. Und wenn nothwendig eins gegen das andere in der Waagschale<lb/>
steigen oder sinken muss, so gestehe ich, ich werde stets auf der Seite<lb/>
jener alten Venezianer, des Greco und des Herrera sein, mit ihrer<lb/>
frappanten Plastik und unmittelbarem Leben, ihrer Lichtkraft und ihrem<lb/>
Impasto der Farbe, und gern auf das Lob derer verzichten, die ein<lb/>
Bild nur geniessen können, wenn sie ihre Nasenspitze mit der grossen<lb/>
Brille auf der Leinwand spazieren führen.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#i">E</hi>. Noch mancherlei könnte ich erwidern; aber ich sehe, hier<lb/>
spricht der Einfluss der Sterne, der stärker ist als Gründe und Grund-<lb/>
sätze. Auch ich habe übrigens nie verkannt, dass die höchste Stufe<lb/>
der Kunst nicht denkbar ist ohne Leichtigkeit. Ich sprach hier vielleicht<lb/>
etwas für mich selbst und meine Praxis; aber auch aus Pflichtgefühl,<lb/>
weil mir die Zukunft unsrer Schule am Herzen liegt, für die ich auch<lb/>
mit verantwortlich bin. Aber ich will dem Genius keine Schranken<lb/>
setzen. Eines schickt sich nicht für alle. Wer weiss was für Kräfte der<lb/>
Geist Gottes uns noch erweckt. &#x2014;</p><lb/>
            <p>Aber wir sitzen ja schon fast im Dunkeln, und die Glocke des<lb/>
Angelus ertönt von San Pedro her. Señor Filostrato, wie unermess-<lb/>
lich sind wir Euch verbunden&#x2026;</p><lb/>
            <p><hi rendition="#i">F</hi>. Ich hoffe auf Wiedersehn zur Weihnachtszeit! Denn hinter all<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[103/0123] Dialog über die Malerei. das ist richtig, dass einigen unserer gefeiertsten Maler, z. B. dem gött- lichen Morales (der heilige Lukas verzeihe den Ochsen, die ihn göttlich genannt haben) bei all seiner zarten Verschmolzenheit das Beste der Kunst und das Studium der Zeichnung gefehlt hat. Die gute Manier hat auch dem grossen Dürer und dem Maese Campaña gefehlt. Tr. Nach solchen Lehren der Geschichte könnt ihr nun doch nicht läugnen, dass die fleissige Manier von wesentlichen, des Genies würdigeren Dingen ablenkt, die Hand zaghaft, das Auge kleinlich macht und uns um das Höchste: Relief und Bewegung betrügt. E. Keineswegs! Kein Mensch wird mir einreden, dass nicht unser höchstes Ziel sein sollte: Der Natur zu gleichen, d. h. in der Ferne und Nähe lebendig zu erscheinen. Vollendet in der Nähe, und hervorsprin- gend aus dem Rahmen, sich rundend aus der Ferne. Wenn das eine Bild nur aus der Ferne täuscht, und das andere von fern und nahe, so ist doch wohl das zweite das beste. So malte Juan de Encina. [Van Eyck; a. a. O. I, 415.] Tr. Ohne allen Zweifel. Nur ob das so leicht beisammen zu haben ist? Ich bekenne, dass ich es nicht aus der Philosophie begründen und mit Worten erklären kann, aber ich sehe es mit Augen: dass das Relief und die Rundung, noch mehr der Glanz und Schimmer nie in den ver- schmolzenen Gemälden den Grad der Wahrheit hat wie in den borro- nes. Und wenn nothwendig eins gegen das andere in der Waagschale steigen oder sinken muss, so gestehe ich, ich werde stets auf der Seite jener alten Venezianer, des Greco und des Herrera sein, mit ihrer frappanten Plastik und unmittelbarem Leben, ihrer Lichtkraft und ihrem Impasto der Farbe, und gern auf das Lob derer verzichten, die ein Bild nur geniessen können, wenn sie ihre Nasenspitze mit der grossen Brille auf der Leinwand spazieren führen. E. Noch mancherlei könnte ich erwidern; aber ich sehe, hier spricht der Einfluss der Sterne, der stärker ist als Gründe und Grund- sätze. Auch ich habe übrigens nie verkannt, dass die höchste Stufe der Kunst nicht denkbar ist ohne Leichtigkeit. Ich sprach hier vielleicht etwas für mich selbst und meine Praxis; aber auch aus Pflichtgefühl, weil mir die Zukunft unsrer Schule am Herzen liegt, für die ich auch mit verantwortlich bin. Aber ich will dem Genius keine Schranken setzen. Eines schickt sich nicht für alle. Wer weiss was für Kräfte der Geist Gottes uns noch erweckt. — Aber wir sitzen ja schon fast im Dunkeln, und die Glocke des Angelus ertönt von San Pedro her. Señor Filostrato, wie unermess- lich sind wir Euch verbunden… F. Ich hoffe auf Wiedersehn zur Weihnachtszeit! Denn hinter all

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/123
Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/123>, abgerufen am 22.11.2024.