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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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ist, nichts handwerksmässiges. Sagtet Ihr nicht selbst, wenn wir über
den Vorrang der Bildhauerei und Malerei disputirten, dass die letztere
edler sei, weil ihr nicht so viel körperliche Arbeit anklebe? Darum ist
sie des hidalgo würdig, und selbst Könige haben sie nicht verschmäht,
wegen der Gemüthsruhe, der Sauberkeit, dem Genuss, den sie beim
Malen fanden. Endlich, für einen phlegmatischen Deutschen oder Hol-
länder mag jene fleissige Manier passen, nicht für uns Andalusier, die mit
einem hellen, raschen, glücklichen, feurigen Temperament vom gütigen
Himmel beschenkt sind.

E. Es giebt keinen königlichen Weg zur Meisterschaft, auch
keinen andalusischen. Die grössten, die in Wahrheit übermenschlichen
Genies haben auch übermenschlich gearbeitet. Kunst bleibt Kunst. Kunst
wirkt nicht zufällig, um den Aristoteles doch noch einmal anzubringen.

Tr. Ich bestreite dass die neue Manier weniger Kunst ist. Die
Malerei a borrones, die auf das Sehen aus einiger Entfernung berechnet
ist, hat ihre eigenthümliche Kunst und Berechnung. Wir arbeiten mehr
mit dem Kopf, um was wir schauen, das innere Gemälde, mit sowenig
Arm- und Zeitarbeit wie möglich auf die Leinwand zu bringen. Omnes
artes in meditatione consistunt
, damit man sehe, dass ich auch citiren kann.

E. Deshalb halte ich es auch, beiläufig bemerkt, für erlaubt, an
Festtagen zu malen. Fray Bartolome de Medina, Professor zu Sala-
manca bestätigt diess, weil die Malerei eine freie, keine knechtische Be-
schäftigung sei.

Tr. Und der Künstler sieht wohl (worüber der Laie sich leicht
täuscht), dass in den Figuren des alten Tizian und Tintoretto mehr
Kenntniss des Körpers und seiner Bewegungen, mehr Gesetzmässigkeit
ist -- so formlos und unordentlich es in der Nähe aussieht, als in den
Flamländern, bei welchen die Brokatstoffe und die Tapeten, die azulejos
und die Spiegel, die Haare und die Blümchen so genau und unüber-
trefflich wiedergegeben sind, mit einem Wort die todte Natur, während
die Bewegungen conventionell, kalt und hölzern sind, und die Grazie
ihnen auch nicht im Traum erschienen ist.

E. Ich bin kein Advokat der Flamländer und der Gothen. In
jeder unserer Kirchen können wir ja sehen, wie bis auf die Zeiten
Michelangelos gemalt worden ist. Wie der grosse Racionero sagt:

Era perpetua noche y sombra oscura
La ignorancia que ocupa y tiene --
(Es hielt wie ew'ge Nacht und finstrer Schatten,
Unwissenheit die ganze Welt im Bann --)

Ich habe auch allezeit gepredigt, die trockne flämische Manier zu fliehen
und zu verabscheuen; was indess jetzt kaum mehr nöthig ist. Auch

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ist, nichts handwerksmässiges. Sagtet Ihr nicht selbst, wenn wir über
den Vorrang der Bildhauerei und Malerei disputirten, dass die letztere
edler sei, weil ihr nicht so viel körperliche Arbeit anklebe? Darum ist
sie des hidalgo würdig, und selbst Könige haben sie nicht verschmäht,
wegen der Gemüthsruhe, der Sauberkeit, dem Genuss, den sie beim
Malen fanden. Endlich, für einen phlegmatischen Deutschen oder Hol-
länder mag jene fleissige Manier passen, nicht für uns Andalusier, die mit
einem hellen, raschen, glücklichen, feurigen Temperament vom gütigen
Himmel beschenkt sind.

E. Es giebt keinen königlichen Weg zur Meisterschaft, auch
keinen andalusischen. Die grössten, die in Wahrheit übermenschlichen
Genies haben auch übermenschlich gearbeitet. Kunst bleibt Kunst. Kunst
wirkt nicht zufällig, um den Aristoteles doch noch einmal anzubringen.

Tr. Ich bestreite dass die neue Manier weniger Kunst ist. Die
Malerei á borrones, die auf das Sehen aus einiger Entfernung berechnet
ist, hat ihre eigenthümliche Kunst und Berechnung. Wir arbeiten mehr
mit dem Kopf, um was wir schauen, das innere Gemälde, mit sowenig
Arm- und Zeitarbeit wie möglich auf die Leinwand zu bringen. Omnes
artes in meditatione consistunt
, damit man sehe, dass ich auch citiren kann.

E. Deshalb halte ich es auch, beiläufig bemerkt, für erlaubt, an
Festtagen zu malen. Fray Bartolomé de Medina, Professor zu Sala-
manca bestätigt diess, weil die Malerei eine freie, keine knechtische Be-
schäftigung sei.

Tr. Und der Künstler sieht wohl (worüber der Laie sich leicht
täuscht), dass in den Figuren des alten Tizian und Tintoretto mehr
Kenntniss des Körpers und seiner Bewegungen, mehr Gesetzmässigkeit
ist — so formlos und unordentlich es in der Nähe aussieht, als in den
Flamländern, bei welchen die Brokatstoffe und die Tapeten, die azulejos
und die Spiegel, die Haare und die Blümchen so genau und unüber-
trefflich wiedergegeben sind, mit einem Wort die todte Natur, während
die Bewegungen conventionell, kalt und hölzern sind, und die Grazie
ihnen auch nicht im Traum erschienen ist.

E. Ich bin kein Advokat der Flamländer und der Gothen. In
jeder unserer Kirchen können wir ja sehen, wie bis auf die Zeiten
Michelangelos gemalt worden ist. Wie der grosse Racionero sagt:

Era perpetua noche y sombra oscura
La ignorancia que ocupa y tiene
(Es hielt wie ew’ge Nacht und finstrer Schatten,
Unwissenheit die ganze Welt im Bann —)

Ich habe auch allezeit gepredigt, die trockne flämische Manier zu fliehen
und zu verabscheuen; was indess jetzt kaum mehr nöthig ist. Auch

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[102/0122] Anhang. ist, nichts handwerksmässiges. Sagtet Ihr nicht selbst, wenn wir über den Vorrang der Bildhauerei und Malerei disputirten, dass die letztere edler sei, weil ihr nicht so viel körperliche Arbeit anklebe? Darum ist sie des hidalgo würdig, und selbst Könige haben sie nicht verschmäht, wegen der Gemüthsruhe, der Sauberkeit, dem Genuss, den sie beim Malen fanden. Endlich, für einen phlegmatischen Deutschen oder Hol- länder mag jene fleissige Manier passen, nicht für uns Andalusier, die mit einem hellen, raschen, glücklichen, feurigen Temperament vom gütigen Himmel beschenkt sind. E. Es giebt keinen königlichen Weg zur Meisterschaft, auch keinen andalusischen. Die grössten, die in Wahrheit übermenschlichen Genies haben auch übermenschlich gearbeitet. Kunst bleibt Kunst. Kunst wirkt nicht zufällig, um den Aristoteles doch noch einmal anzubringen. Tr. Ich bestreite dass die neue Manier weniger Kunst ist. Die Malerei á borrones, die auf das Sehen aus einiger Entfernung berechnet ist, hat ihre eigenthümliche Kunst und Berechnung. Wir arbeiten mehr mit dem Kopf, um was wir schauen, das innere Gemälde, mit sowenig Arm- und Zeitarbeit wie möglich auf die Leinwand zu bringen. Omnes artes in meditatione consistunt, damit man sehe, dass ich auch citiren kann. E. Deshalb halte ich es auch, beiläufig bemerkt, für erlaubt, an Festtagen zu malen. Fray Bartolomé de Medina, Professor zu Sala- manca bestätigt diess, weil die Malerei eine freie, keine knechtische Be- schäftigung sei. Tr. Und der Künstler sieht wohl (worüber der Laie sich leicht täuscht), dass in den Figuren des alten Tizian und Tintoretto mehr Kenntniss des Körpers und seiner Bewegungen, mehr Gesetzmässigkeit ist — so formlos und unordentlich es in der Nähe aussieht, als in den Flamländern, bei welchen die Brokatstoffe und die Tapeten, die azulejos und die Spiegel, die Haare und die Blümchen so genau und unüber- trefflich wiedergegeben sind, mit einem Wort die todte Natur, während die Bewegungen conventionell, kalt und hölzern sind, und die Grazie ihnen auch nicht im Traum erschienen ist. E. Ich bin kein Advokat der Flamländer und der Gothen. In jeder unserer Kirchen können wir ja sehen, wie bis auf die Zeiten Michelangelos gemalt worden ist. Wie der grosse Racionero sagt: Era perpetua noche y sombra oscura La ignorancia que ocupa y tiene — (Es hielt wie ew’ge Nacht und finstrer Schatten, Unwissenheit die ganze Welt im Bann —) Ich habe auch allezeit gepredigt, die trockne flämische Manier zu fliehen und zu verabscheuen; was indess jetzt kaum mehr nöthig ist. Auch

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/122>, abgerufen am 24.11.2024.