alle Künstler und Kenner anbeten? Der pintura a borrones? Sagt man nicht bei uns, wenn Gemälde geistreich unausgeführt sind, es seien borrones de Ticiano?
E. Ja Tizian ist das Haupt der venezianischen Akademie, und ihr grösster Mann nach dem Bekenntnisse aller. Er ist, das sage auch ich, die Quelle des Colorits, sein Pinsel eine zweite Natur. Mit dem Namen glaubt Ihr wol einen Stoss geführt zu haben, der schwer zu pariren ist. Aber eben der Tizian hat in seinen besten Jahren sehr vollendet gemalt. Und was man seine borrones nennt, sind zum Theil Meisterstriche (golpes), mit grossem Geschick an passenden Stellen hin- geworfen. Jene geklecksten Werke aber waren die Arbeiten seines Greisenalters. Ein Bruder des Alonso Sanchez, der in Tizians Hause gewesen war, erzählte mir in Madrid, Tizian habe oft ausgezeichnete Sachen zum Leidwesen derer die es mit ansahen, durch seine borrones verpfuscht. Bejahrte Maler kommen ganz natürlich auf solche borrones, um sich die Arbeit zu erleichtern. Aus Altersschwäche, und weil das ermüdete Auge und die zitternde Hand nicht lange bei der peinlichen Vertreibung der Farben aushält. Es kann auch vorkommen, dass Jemand solche golpes anbringt, um mit Leichtigkeit zu prahlen, und die Mühe die es ihm gemacht hat, zu verstecken [a. a. O. I, 413 ff.]. Aber es kommt nicht her von einer neuen und aparten Meisterschaft.
Tr. Sollten wir nicht einmal von den Auktoritäten absehn und mit Gründen und Grundsätzen streiten?
E. Nichts kann mir lieber sein. Beginnen wir also methodisch, mit den obersten Definitionen. Die Malerei ist die Kunst, welche lehrt mit Linien und Farben nachzuahmen.
Tr. Wenn also die Definition Ausdruck des Wesens der Sache ist, so gehört doch die Farbe zum Wesen der Malerei.
E. Das läugne ich! Die Zeichnung ist die substantielle Form der Malerei. Die Farbe ist ein blosses Accidens. Polidor, ein sehr achtungs- werther Maler, hat nur in schwarz und weiss gemalt, weil er annahm, dass diese Kunst in Helldunkel und Zeichnung beschlossen sei. -- Die grosse Wirksamkeit der Farbe will ich damit jedoch keineswegs in Abrede stellen. Sie drückt der Kunst die letzte Vollendung auf. Aber das Colorit fällt nicht unter unfehlbare Gesetze wie die Zeichnung, und gestattet folglich ein gewisses Maass von Willkür. Diese Willkür erhält noch einen bedenklichen Zusatz durch die Bequemlichkeit der Oelmalerei, die immer noch Wegnahmen und Aenderungen gestattet. Zu Fresco und Tempera gehört völlige Sicherheit und Entschlossenheit. Deshalb pflegte, wie mir mein Gönner und Freund Pablo de Cespedes aus dem Mund von Ohrenzeugen erzählte, Michelangelo, der heilige Greis, zu
Dialog über die Malerei.
alle Künstler und Kenner anbeten? Der pintura á borrones? Sagt man nicht bei uns, wenn Gemälde geistreich unausgeführt sind, es seien borrones de Ticiano?
E. Ja Tizian ist das Haupt der venezianischen Akademie, und ihr grösster Mann nach dem Bekenntnisse aller. Er ist, das sage auch ich, die Quelle des Colorits, sein Pinsel eine zweite Natur. Mit dem Namen glaubt Ihr wol einen Stoss geführt zu haben, der schwer zu pariren ist. Aber eben der Tizian hat in seinen besten Jahren sehr vollendet gemalt. Und was man seine borrones nennt, sind zum Theil Meisterstriche (golpes), mit grossem Geschick an passenden Stellen hin- geworfen. Jene geklecksten Werke aber waren die Arbeiten seines Greisenalters. Ein Bruder des Alonso Sanchez, der in Tizians Hause gewesen war, erzählte mir in Madrid, Tizian habe oft ausgezeichnete Sachen zum Leidwesen derer die es mit ansahen, durch seine borrones verpfuscht. Bejahrte Maler kommen ganz natürlich auf solche borrones, um sich die Arbeit zu erleichtern. Aus Altersschwäche, und weil das ermüdete Auge und die zitternde Hand nicht lange bei der peinlichen Vertreibung der Farben aushält. Es kann auch vorkommen, dass Jemand solche golpes anbringt, um mit Leichtigkeit zu prahlen, und die Mühe die es ihm gemacht hat, zu verstecken [a. a. O. I, 413 ff.]. Aber es kommt nicht her von einer neuen und aparten Meisterschaft.
Tr. Sollten wir nicht einmal von den Auktoritäten absehn und mit Gründen und Grundsätzen streiten?
E. Nichts kann mir lieber sein. Beginnen wir also methodisch, mit den obersten Definitionen. Die Malerei ist die Kunst, welche lehrt mit Linien und Farben nachzuahmen.
Tr. Wenn also die Definition Ausdruck des Wesens der Sache ist, so gehört doch die Farbe zum Wesen der Malerei.
E. Das läugne ich! Die Zeichnung ist die substantielle Form der Malerei. Die Farbe ist ein blosses Accidens. Polidor, ein sehr achtungs- werther Maler, hat nur in schwarz und weiss gemalt, weil er annahm, dass diese Kunst in Helldunkel und Zeichnung beschlossen sei. — Die grosse Wirksamkeit der Farbe will ich damit jedoch keineswegs in Abrede stellen. Sie drückt der Kunst die letzte Vollendung auf. Aber das Colorit fällt nicht unter unfehlbare Gesetze wie die Zeichnung, und gestattet folglich ein gewisses Maass von Willkür. Diese Willkür erhält noch einen bedenklichen Zusatz durch die Bequemlichkeit der Oelmalerei, die immer noch Wegnahmen und Aenderungen gestattet. Zu Fresco und Tempera gehört völlige Sicherheit und Entschlossenheit. Deshalb pflegte, wie mir mein Gönner und Freund Pablo de Cespedes aus dem Mund von Ohrenzeugen erzählte, Michelangelo, der heilige Greis, zu
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Dialog über die Malerei.
alle Künstler und Kenner anbeten? Der pintura á borrones? Sagt man
nicht bei uns, wenn Gemälde geistreich unausgeführt sind, es seien
borrones de Ticiano?
E. Ja Tizian ist das Haupt der venezianischen Akademie, und
ihr grösster Mann nach dem Bekenntnisse aller. Er ist, das sage auch
ich, die Quelle des Colorits, sein Pinsel eine zweite Natur. Mit
dem Namen glaubt Ihr wol einen Stoss geführt zu haben, der schwer
zu pariren ist. Aber eben der Tizian hat in seinen besten Jahren sehr
vollendet gemalt. Und was man seine borrones nennt, sind zum Theil
Meisterstriche (golpes), mit grossem Geschick an passenden Stellen hin-
geworfen. Jene geklecksten Werke aber waren die Arbeiten seines
Greisenalters. Ein Bruder des Alonso Sanchez, der in Tizians Hause
gewesen war, erzählte mir in Madrid, Tizian habe oft ausgezeichnete
Sachen zum Leidwesen derer die es mit ansahen, durch seine borrones
verpfuscht. Bejahrte Maler kommen ganz natürlich auf solche borrones,
um sich die Arbeit zu erleichtern. Aus Altersschwäche, und weil das
ermüdete Auge und die zitternde Hand nicht lange bei der peinlichen
Vertreibung der Farben aushält. Es kann auch vorkommen, dass Jemand
solche golpes anbringt, um mit Leichtigkeit zu prahlen, und die Mühe
die es ihm gemacht hat, zu verstecken [a. a. O. I, 413 ff.]. Aber es
kommt nicht her von einer neuen und aparten Meisterschaft.
Tr. Sollten wir nicht einmal von den Auktoritäten absehn und
mit Gründen und Grundsätzen streiten?
E. Nichts kann mir lieber sein. Beginnen wir also methodisch,
mit den obersten Definitionen. Die Malerei ist die Kunst, welche lehrt
mit Linien und Farben nachzuahmen.
Tr. Wenn also die Definition Ausdruck des Wesens der Sache
ist, so gehört doch die Farbe zum Wesen der Malerei.
E. Das läugne ich! Die Zeichnung ist die substantielle Form der
Malerei. Die Farbe ist ein blosses Accidens. Polidor, ein sehr achtungs-
werther Maler, hat nur in schwarz und weiss gemalt, weil er annahm,
dass diese Kunst in Helldunkel und Zeichnung beschlossen sei. — Die
grosse Wirksamkeit der Farbe will ich damit jedoch keineswegs in
Abrede stellen. Sie drückt der Kunst die letzte Vollendung auf. Aber
das Colorit fällt nicht unter unfehlbare Gesetze wie die Zeichnung, und
gestattet folglich ein gewisses Maass von Willkür. Diese Willkür erhält
noch einen bedenklichen Zusatz durch die Bequemlichkeit der Oelmalerei,
die immer noch Wegnahmen und Aenderungen gestattet. Zu Fresco
und Tempera gehört völlige Sicherheit und Entschlossenheit. Deshalb
pflegte, wie mir mein Gönner und Freund Pablo de Cespedes aus dem
Mund von Ohrenzeugen erzählte, Michelangelo, der heilige Greis, zu
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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/119>, abgerufen am 22.11.2024.
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