Ein anderer großer und sehr sichtbarer Fehler in der jüdischen Zeitrechnung zeiget sich klar in dem Zeitpuncte, da das Volk der Juden noch ohne Könige in dem gelobten Lande lebte, und nur zuweilen von Richtern regieret wurde. Man rechnet diesen Zeitpunct gemeiniglich nur auf vierhundert Jahr; und fast eben diese Zeit kommt heraus, wenn man die Jahre zusammen rechnet, so lan- ge jeder Richter sein Richteramt geführet hat, und jede Zeit der jüdischen Dienstbarkeit dazu nimmt. Al- lein, es ist ja aus denen Nachrichten der Bibel in dem Buche der Richter selbst ganz unläugbar, daß diese Richter nicht einander unmittelbar in der Regierung ge- folget haben; sondern zwischen einem jeden Richter war eine Zeit der Anarchie, in welcher gar kein Richter oder Regent in Jsrael war; sondern ein jeder that, was ihm recht deuchte. Nach dem Tode eines jeden Rich- ters fielen allemahl die zur Unart so sehr geneigten Ju- den wieder in Abgötterey; sie thaten ferner Uebels vor dem Herrn, wie es in der Schrift heißt, und der Herr gab sie in die Hand eines benachbarten heydnischen Kö- niges. Warum sollte man annehmen, daß diese Zeit ihres Abfalls von dem Herrn, und ehe sie in ihrer Bos- heit und Gottlosigkeit bis auf einen so hohen Grad stie- gen, daß Gott sie mit einer abermahligen Dienstbar- keit zu bestrafen vor nöthig befand, nur einen sehr kur- zen Zeitpunct, und nur etwa ein oder zwey Jahr aus- gemacht hätte? Jn der That ist hierzu nicht der geringste zureichende oder nur wahrscheinliche Grund vorhanden. Kein Volk fällt auf einmahl wieder in einen großen Grad der Bosheit; sondern es nimmt allemahl nur stufenweise darinnen zu. Die folgende Zeugung über-
trifft
mit dem Alterthum des Erdcoͤrpers.
Ein anderer großer und ſehr ſichtbarer Fehler in der juͤdiſchen Zeitrechnung zeiget ſich klar in dem Zeitpuncte, da das Volk der Juden noch ohne Koͤnige in dem gelobten Lande lebte, und nur zuweilen von Richtern regieret wurde. Man rechnet dieſen Zeitpunct gemeiniglich nur auf vierhundert Jahr; und faſt eben dieſe Zeit kommt heraus, wenn man die Jahre zuſammen rechnet, ſo lan- ge jeder Richter ſein Richteramt gefuͤhret hat, und jede Zeit der juͤdiſchen Dienſtbarkeit dazu nimmt. Al- lein, es iſt ja aus denen Nachrichten der Bibel in dem Buche der Richter ſelbſt ganz unlaͤugbar, daß dieſe Richter nicht einander unmittelbar in der Regierung ge- folget haben; ſondern zwiſchen einem jeden Richter war eine Zeit der Anarchie, in welcher gar kein Richter oder Regent in Jſrael war; ſondern ein jeder that, was ihm recht deuchte. Nach dem Tode eines jeden Rich- ters fielen allemahl die zur Unart ſo ſehr geneigten Ju- den wieder in Abgoͤtterey; ſie thaten ferner Uebels vor dem Herrn, wie es in der Schrift heißt, und der Herr gab ſie in die Hand eines benachbarten heydniſchen Koͤ- niges. Warum ſollte man annehmen, daß dieſe Zeit ihres Abfalls von dem Herrn, und ehe ſie in ihrer Bos- heit und Gottloſigkeit bis auf einen ſo hohen Grad ſtie- gen, daß Gott ſie mit einer abermahligen Dienſtbar- keit zu beſtrafen vor noͤthig befand, nur einen ſehr kur- zen Zeitpunct, und nur etwa ein oder zwey Jahr aus- gemacht haͤtte? Jn der That iſt hierzu nicht der geringſte zureichende oder nur wahrſcheinliche Grund vorhanden. Kein Volk faͤllt auf einmahl wieder in einen großen Grad der Bosheit; ſondern es nimmt allemahl nur ſtufenweiſe darinnen zu. Die folgende Zeugung uͤber-
trifft
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mit dem Alterthum des Erdcoͤrpers.
Ein anderer großer und ſehr ſichtbarer Fehler in der
juͤdiſchen Zeitrechnung zeiget ſich klar in dem Zeitpuncte,
da das Volk der Juden noch ohne Koͤnige in dem gelobten
Lande lebte, und nur zuweilen von Richtern regieret
wurde. Man rechnet dieſen Zeitpunct gemeiniglich nur
auf vierhundert Jahr; und faſt eben dieſe Zeit kommt
heraus, wenn man die Jahre zuſammen rechnet, ſo lan-
ge jeder Richter ſein Richteramt gefuͤhret hat, und jede
Zeit der juͤdiſchen Dienſtbarkeit dazu nimmt. Al-
lein, es iſt ja aus denen Nachrichten der Bibel in dem
Buche der Richter ſelbſt ganz unlaͤugbar, daß dieſe
Richter nicht einander unmittelbar in der Regierung ge-
folget haben; ſondern zwiſchen einem jeden Richter war
eine Zeit der Anarchie, in welcher gar kein Richter oder
Regent in Jſrael war; ſondern ein jeder that, was
ihm recht deuchte. Nach dem Tode eines jeden Rich-
ters fielen allemahl die zur Unart ſo ſehr geneigten Ju-
den wieder in Abgoͤtterey; ſie thaten ferner Uebels vor
dem Herrn, wie es in der Schrift heißt, und der Herr
gab ſie in die Hand eines benachbarten heydniſchen Koͤ-
niges. Warum ſollte man annehmen, daß dieſe Zeit
ihres Abfalls von dem Herrn, und ehe ſie in ihrer Bos-
heit und Gottloſigkeit bis auf einen ſo hohen Grad ſtie-
gen, daß Gott ſie mit einer abermahligen Dienſtbar-
keit zu beſtrafen vor noͤthig befand, nur einen ſehr kur-
zen Zeitpunct, und nur etwa ein oder zwey Jahr aus-
gemacht haͤtte? Jn der That iſt hierzu nicht der geringſte
zureichende oder nur wahrſcheinliche Grund vorhanden.
Kein Volk faͤllt auf einmahl wieder in einen großen
Grad der Bosheit; ſondern es nimmt allemahl nur
ſtufenweiſe darinnen zu. Die folgende Zeugung uͤber-
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Justi, Johann Heinrich Gottlob von: Geschichte des Erd-Cörpers. Berlin, 1771, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_geschichte_1771/347>, abgerufen am 18.12.2024.
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