Wir wollen uns zwar sehr in Acht nehmen, daß wir ihn in seinen Wurzeln nicht angreifen, und von denen Wassern der Sündfluth umstürzen und ver- schlemmen lassen. Allein, das muß doch jedermann bedenklich vorkommen, wie sich dieser Baum noch im- mer frisch und grün erhalten können; ohngeachtet er sich ein ganz Jahr lang in denen Wassern der Sünd- fluth befunden, und davon so hoch bedecket gewesen. Es ist gar nicht die Natur der Oehlbäume, daß sie im Wasser wachsen, oder sich darinnen eine lange Zeit er- halten. Sie kommen vielmehr nicht einmahl in ei- nem morastigen Grunde gut fort, und wenn man den Versuch noch heutiges Tages machen, und einen Oehl- baum in einem großen Kasten nur zwey Monathe lang dergestalt in das Wasser setzen wollte, daß dasselbe bis an seine Spitze reichte; so würde derselbe ganz unver- meidlich verlohren seyn.
Es giebt freylich Mittel, sich aus dieser Schwü- rigkeit heraus zu helfen; und sie sind in dergleichen Art von Zweifeln sehr oft gebrauchet worden. Man kann nur Gott ein Wunder thun und diesen Oehlbaum wider die Natur und das Wesen der Sache ein Jahr lang mitten in denen erschrecklichen Fluthen frisch und grün erhalten lassen. Aber alsdenn würde die große Frage übrig bleiben, ob es der Weisheit Gottes ge- mäß sey, zu Befriedigung der Neugier des Noah, und wegen des kleinen nichts bedeutenden Umstandes, daß die zweyte ausgeschickte Taube ein Oehlblatt mit zu- rückbringen sollte, ein Wunder vorzunehmen.
Dem
IX. Abſchn. Widerlegung
Wir wollen uns zwar ſehr in Acht nehmen, daß wir ihn in ſeinen Wurzeln nicht angreifen, und von denen Waſſern der Suͤndfluth umſtuͤrzen und ver- ſchlemmen laſſen. Allein, das muß doch jedermann bedenklich vorkommen, wie ſich dieſer Baum noch im- mer friſch und gruͤn erhalten koͤnnen; ohngeachtet er ſich ein ganz Jahr lang in denen Waſſern der Suͤnd- fluth befunden, und davon ſo hoch bedecket geweſen. Es iſt gar nicht die Natur der Oehlbaͤume, daß ſie im Waſſer wachſen, oder ſich darinnen eine lange Zeit er- halten. Sie kommen vielmehr nicht einmahl in ei- nem moraſtigen Grunde gut fort, und wenn man den Verſuch noch heutiges Tages machen, und einen Oehl- baum in einem großen Kaſten nur zwey Monathe lang dergeſtalt in das Waſſer ſetzen wollte, daß daſſelbe bis an ſeine Spitze reichte; ſo wuͤrde derſelbe ganz unver- meidlich verlohren ſeyn.
Es giebt freylich Mittel, ſich aus dieſer Schwuͤ- rigkeit heraus zu helfen; und ſie ſind in dergleichen Art von Zweifeln ſehr oft gebrauchet worden. Man kann nur Gott ein Wunder thun und dieſen Oehlbaum wider die Natur und das Weſen der Sache ein Jahr lang mitten in denen erſchrecklichen Fluthen friſch und gruͤn erhalten laſſen. Aber alsdenn wuͤrde die große Frage uͤbrig bleiben, ob es der Weisheit Gottes ge- maͤß ſey, zu Befriedigung der Neugier des Noah, und wegen des kleinen nichts bedeutenden Umſtandes, daß die zweyte ausgeſchickte Taube ein Oehlblatt mit zu- ruͤckbringen ſollte, ein Wunder vorzunehmen.
Dem
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0310"n="282"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">IX.</hi> Abſchn. Widerlegung</hi></fw><lb/><p>Wir wollen uns zwar ſehr in Acht nehmen, daß<lb/>
wir ihn in ſeinen Wurzeln nicht angreifen, und von<lb/>
denen Waſſern der Suͤndfluth umſtuͤrzen und ver-<lb/>ſchlemmen laſſen. Allein, das muß doch jedermann<lb/>
bedenklich vorkommen, wie ſich dieſer Baum noch im-<lb/>
mer friſch und gruͤn erhalten koͤnnen; ohngeachtet er<lb/>ſich ein ganz Jahr lang in denen Waſſern der Suͤnd-<lb/>
fluth befunden, und davon ſo hoch bedecket geweſen.<lb/>
Es iſt gar nicht die Natur der Oehlbaͤume, daß ſie im<lb/>
Waſſer wachſen, oder ſich darinnen eine lange Zeit er-<lb/>
halten. Sie kommen vielmehr nicht einmahl in ei-<lb/>
nem moraſtigen Grunde gut fort, und wenn man den<lb/>
Verſuch noch heutiges Tages machen, und einen Oehl-<lb/>
baum in einem großen Kaſten nur zwey Monathe lang<lb/>
dergeſtalt in das Waſſer ſetzen wollte, daß daſſelbe bis<lb/>
an ſeine Spitze reichte; ſo wuͤrde derſelbe ganz unver-<lb/>
meidlich verlohren ſeyn.</p><lb/><p>Es giebt freylich Mittel, ſich aus dieſer Schwuͤ-<lb/>
rigkeit heraus zu helfen; und ſie ſind in dergleichen<lb/>
Art von Zweifeln ſehr oft gebrauchet worden. Man<lb/>
kann nur Gott ein Wunder thun und dieſen Oehlbaum<lb/>
wider die Natur und das Weſen der Sache ein Jahr<lb/>
lang mitten in denen erſchrecklichen Fluthen friſch und<lb/>
gruͤn erhalten laſſen. Aber alsdenn wuͤrde die große<lb/>
Frage uͤbrig bleiben, ob es der Weisheit Gottes ge-<lb/>
maͤß ſey, zu Befriedigung der Neugier des Noah, und<lb/>
wegen des kleinen nichts bedeutenden Umſtandes, daß<lb/>
die zweyte ausgeſchickte Taube ein Oehlblatt mit zu-<lb/>
ruͤckbringen ſollte, ein Wunder vorzunehmen.</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Dem</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[282/0310]
IX. Abſchn. Widerlegung
Wir wollen uns zwar ſehr in Acht nehmen, daß
wir ihn in ſeinen Wurzeln nicht angreifen, und von
denen Waſſern der Suͤndfluth umſtuͤrzen und ver-
ſchlemmen laſſen. Allein, das muß doch jedermann
bedenklich vorkommen, wie ſich dieſer Baum noch im-
mer friſch und gruͤn erhalten koͤnnen; ohngeachtet er
ſich ein ganz Jahr lang in denen Waſſern der Suͤnd-
fluth befunden, und davon ſo hoch bedecket geweſen.
Es iſt gar nicht die Natur der Oehlbaͤume, daß ſie im
Waſſer wachſen, oder ſich darinnen eine lange Zeit er-
halten. Sie kommen vielmehr nicht einmahl in ei-
nem moraſtigen Grunde gut fort, und wenn man den
Verſuch noch heutiges Tages machen, und einen Oehl-
baum in einem großen Kaſten nur zwey Monathe lang
dergeſtalt in das Waſſer ſetzen wollte, daß daſſelbe bis
an ſeine Spitze reichte; ſo wuͤrde derſelbe ganz unver-
meidlich verlohren ſeyn.
Es giebt freylich Mittel, ſich aus dieſer Schwuͤ-
rigkeit heraus zu helfen; und ſie ſind in dergleichen
Art von Zweifeln ſehr oft gebrauchet worden. Man
kann nur Gott ein Wunder thun und dieſen Oehlbaum
wider die Natur und das Weſen der Sache ein Jahr
lang mitten in denen erſchrecklichen Fluthen friſch und
gruͤn erhalten laſſen. Aber alsdenn wuͤrde die große
Frage uͤbrig bleiben, ob es der Weisheit Gottes ge-
maͤß ſey, zu Befriedigung der Neugier des Noah, und
wegen des kleinen nichts bedeutenden Umſtandes, daß
die zweyte ausgeſchickte Taube ein Oehlblatt mit zu-
ruͤckbringen ſollte, ein Wunder vorzunehmen.
Dem
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Justi, Johann Heinrich Gottlob von: Geschichte des Erd-Cörpers. Berlin, 1771, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_geschichte_1771/310>, abgerufen am 30.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.