Jch habe vor ohngefehr zehen Jahren mit dem be- rühmten Euler, dem Vater, eine Unterredung über diesen Gegenstand gehabt, indem ich ihm alle diejeni- gen Gründe, die eine langsame und nach und nach er- folgende Veränderung der Pole wahrscheinlich mach- ten, mittheilete, und zugleich die Frage aufwarf: Ob es möglich sey, daß eine solche Veränderung der Pole vorgehen könne, ohne daß sie vortreffliche Mathematik- verständige nicht sogleich entdecken und wahrnehmen könnten.
Herr Euler war der Meynung, daß dieses aller- dings nicht geschehen könne, oder man müsse solches sofort durch genaue und richtige Beobachtungen entde- cken. Er eröffnete mir zugleich die Gründe, warum eine solche Veränderung bey genauen Beobachtungen nicht verborgen bleiben könnte; da ich aber die Ma- thematik niemahls als einen Gegenstand meines Stu- direns angesehen habe; so habe ich diese Gründe weder genugsam im Gedächtniß behalten, noch bin ich im Stande, solche anjetzo wieder vorzutragen. Jch ha- be eine ausnehmende Hochachtung vor den Ausspruch eines der größten Mathematiker unserer Zeiten; und er würde mich völlig überzeugen, wenn ich nicht bey fast allen Fällen wahrgenommen hätte, daß die größ- ten Mathematiker in ihren Beobachtungen und Aus- rechnungen über einerley Sache gar verschiedener Mey- nungen wären. Die gegenwärtige Frage verdienet aber allerdings, daß dieselbe von Sachverständigen mit der größten Genauigkeit und Aufmerksamkeit un- tersuchet werde.
Wenn
VI. Abſchn. Das Meer veraͤndert
Jch habe vor ohngefehr zehen Jahren mit dem be- ruͤhmten Euler, dem Vater, eine Unterredung uͤber dieſen Gegenſtand gehabt, indem ich ihm alle diejeni- gen Gruͤnde, die eine langſame und nach und nach er- folgende Veraͤnderung der Pole wahrſcheinlich mach- ten, mittheilete, und zugleich die Frage aufwarf: Ob es moͤglich ſey, daß eine ſolche Veraͤnderung der Pole vorgehen koͤnne, ohne daß ſie vortreffliche Mathematik- verſtaͤndige nicht ſogleich entdecken und wahrnehmen koͤnnten.
Herr Euler war der Meynung, daß dieſes aller- dings nicht geſchehen koͤnne, oder man muͤſſe ſolches ſofort durch genaue und richtige Beobachtungen entde- cken. Er eroͤffnete mir zugleich die Gruͤnde, warum eine ſolche Veraͤnderung bey genauen Beobachtungen nicht verborgen bleiben koͤnnte; da ich aber die Ma- thematik niemahls als einen Gegenſtand meines Stu- direns angeſehen habe; ſo habe ich dieſe Gruͤnde weder genugſam im Gedaͤchtniß behalten, noch bin ich im Stande, ſolche anjetzo wieder vorzutragen. Jch ha- be eine ausnehmende Hochachtung vor den Ausſpruch eines der groͤßten Mathematiker unſerer Zeiten; und er wuͤrde mich voͤllig uͤberzeugen, wenn ich nicht bey faſt allen Faͤllen wahrgenommen haͤtte, daß die groͤß- ten Mathematiker in ihren Beobachtungen und Aus- rechnungen uͤber einerley Sache gar verſchiedener Mey- nungen waͤren. Die gegenwaͤrtige Frage verdienet aber allerdings, daß dieſelbe von Sachverſtaͤndigen mit der groͤßten Genauigkeit und Aufmerkſamkeit un- terſuchet werde.
Wenn
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VI. Abſchn. Das Meer veraͤndert
Jch habe vor ohngefehr zehen Jahren mit dem be-
ruͤhmten Euler, dem Vater, eine Unterredung uͤber
dieſen Gegenſtand gehabt, indem ich ihm alle diejeni-
gen Gruͤnde, die eine langſame und nach und nach er-
folgende Veraͤnderung der Pole wahrſcheinlich mach-
ten, mittheilete, und zugleich die Frage aufwarf: Ob
es moͤglich ſey, daß eine ſolche Veraͤnderung der Pole
vorgehen koͤnne, ohne daß ſie vortreffliche Mathematik-
verſtaͤndige nicht ſogleich entdecken und wahrnehmen
koͤnnten.
Herr Euler war der Meynung, daß dieſes aller-
dings nicht geſchehen koͤnne, oder man muͤſſe ſolches
ſofort durch genaue und richtige Beobachtungen entde-
cken. Er eroͤffnete mir zugleich die Gruͤnde, warum
eine ſolche Veraͤnderung bey genauen Beobachtungen
nicht verborgen bleiben koͤnnte; da ich aber die Ma-
thematik niemahls als einen Gegenſtand meines Stu-
direns angeſehen habe; ſo habe ich dieſe Gruͤnde weder
genugſam im Gedaͤchtniß behalten, noch bin ich im
Stande, ſolche anjetzo wieder vorzutragen. Jch ha-
be eine ausnehmende Hochachtung vor den Ausſpruch
eines der groͤßten Mathematiker unſerer Zeiten; und
er wuͤrde mich voͤllig uͤberzeugen, wenn ich nicht bey
faſt allen Faͤllen wahrgenommen haͤtte, daß die groͤß-
ten Mathematiker in ihren Beobachtungen und Aus-
rechnungen uͤber einerley Sache gar verſchiedener Mey-
nungen waͤren. Die gegenwaͤrtige Frage verdienet
aber allerdings, daß dieſelbe von Sachverſtaͤndigen
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Justi, Johann Heinrich Gottlob von: Geschichte des Erd-Cörpers. Berlin, 1771, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_geschichte_1771/254>, abgerufen am 24.11.2024.
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