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Justi, Johann Heinrich Gottlob von: Geschichte des Erd-Cörpers. Berlin, 1771.

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zu verschiedenen Mahlen seine Stelle.
fast alle Leute, die nicht aus Mangel des Vermögens
ihrer Bequehmlichkeit Abbruch thun müssen, noch das
Einheizen nicht entrathen können. Dergleichen Be-
obachtungen werden von allen Leuten bestätiget, die ihr
Alter über funfzig Jahr erstrecket haben; und es läßt
sich schwehrlich behaupten, daß dergleichen Anmerkun-
gen auf bloßer Einbildung beruhen. Wollte man sa-
gen, daß der menschliche Cörper in seiner Jugend viel
feuriger sey, und also nicht so sehr Empfindungen von
kalter Witterung hätte; so ist dieses ein sehr seichter
Einwand. Unsere Kinder, die noch alles Feuer der
Jugend besitzen, müssen demnach von der Witterung
im März und April eben die Empfindungen haben,
daß sie ihnen zu jetzigen Zeiten angenehm und warm
vorkäme. Allein, das ist weit gefehlet; sie empfin-
den das Unangenehme und Kalte der Witterung bis
über die Mitte des May eben sowohl, als die Alten,
und beklagen sich öfters genugsam darüber.

Jndessen beruhet es nicht allein auf denen unge-
wissen, zweifelhaftigen cörperlichen Empfindungen von
Wärme und Kälte. Alles, was in der Natur ist,
alle Erd- und Gartenfrüchte, bestätigen eben dieses.
Die Bäume blühen wirklich späther, alles verspäthet
sich in seinem Wachsthum; und selbst die Erndte fällt
fast alle Jahre um ein Beträchtliches späther ein. Es
ist genugsam bekannt, daß in denen nordlichen Ge-
genden von Teutschland ehedem der Margarethentag
im Julio, als der gewöhnliche Anfang der Erndte,
allgemein angenommen war; und es sind so gar noch
viele Gesetze, Privilegien und Gewohnheiten vorhan-

den,

zu verſchiedenen Mahlen ſeine Stelle.
faſt alle Leute, die nicht aus Mangel des Vermoͤgens
ihrer Bequehmlichkeit Abbruch thun muͤſſen, noch das
Einheizen nicht entrathen koͤnnen. Dergleichen Be-
obachtungen werden von allen Leuten beſtaͤtiget, die ihr
Alter uͤber funfzig Jahr erſtrecket haben; und es laͤßt
ſich ſchwehrlich behaupten, daß dergleichen Anmerkun-
gen auf bloßer Einbildung beruhen. Wollte man ſa-
gen, daß der menſchliche Coͤrper in ſeiner Jugend viel
feuriger ſey, und alſo nicht ſo ſehr Empfindungen von
kalter Witterung haͤtte; ſo iſt dieſes ein ſehr ſeichter
Einwand. Unſere Kinder, die noch alles Feuer der
Jugend beſitzen, muͤſſen demnach von der Witterung
im Maͤrz und April eben die Empfindungen haben,
daß ſie ihnen zu jetzigen Zeiten angenehm und warm
vorkaͤme. Allein, das iſt weit gefehlet; ſie empfin-
den das Unangenehme und Kalte der Witterung bis
uͤber die Mitte des May eben ſowohl, als die Alten,
und beklagen ſich oͤfters genugſam daruͤber.

Jndeſſen beruhet es nicht allein auf denen unge-
wiſſen, zweifelhaftigen coͤrperlichen Empfindungen von
Waͤrme und Kaͤlte. Alles, was in der Natur iſt,
alle Erd- und Gartenfruͤchte, beſtaͤtigen eben dieſes.
Die Baͤume bluͤhen wirklich ſpaͤther, alles verſpaͤthet
ſich in ſeinem Wachsthum; und ſelbſt die Erndte faͤllt
faſt alle Jahre um ein Betraͤchtliches ſpaͤther ein. Es
iſt genugſam bekannt, daß in denen nordlichen Ge-
genden von Teutſchland ehedem der Margarethentag
im Julio, als der gewoͤhnliche Anfang der Erndte,
allgemein angenommen war; und es ſind ſo gar noch
viele Geſetze, Privilegien und Gewohnheiten vorhan-

den,
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[219/0247] zu verſchiedenen Mahlen ſeine Stelle. faſt alle Leute, die nicht aus Mangel des Vermoͤgens ihrer Bequehmlichkeit Abbruch thun muͤſſen, noch das Einheizen nicht entrathen koͤnnen. Dergleichen Be- obachtungen werden von allen Leuten beſtaͤtiget, die ihr Alter uͤber funfzig Jahr erſtrecket haben; und es laͤßt ſich ſchwehrlich behaupten, daß dergleichen Anmerkun- gen auf bloßer Einbildung beruhen. Wollte man ſa- gen, daß der menſchliche Coͤrper in ſeiner Jugend viel feuriger ſey, und alſo nicht ſo ſehr Empfindungen von kalter Witterung haͤtte; ſo iſt dieſes ein ſehr ſeichter Einwand. Unſere Kinder, die noch alles Feuer der Jugend beſitzen, muͤſſen demnach von der Witterung im Maͤrz und April eben die Empfindungen haben, daß ſie ihnen zu jetzigen Zeiten angenehm und warm vorkaͤme. Allein, das iſt weit gefehlet; ſie empfin- den das Unangenehme und Kalte der Witterung bis uͤber die Mitte des May eben ſowohl, als die Alten, und beklagen ſich oͤfters genugſam daruͤber. Jndeſſen beruhet es nicht allein auf denen unge- wiſſen, zweifelhaftigen coͤrperlichen Empfindungen von Waͤrme und Kaͤlte. Alles, was in der Natur iſt, alle Erd- und Gartenfruͤchte, beſtaͤtigen eben dieſes. Die Baͤume bluͤhen wirklich ſpaͤther, alles verſpaͤthet ſich in ſeinem Wachsthum; und ſelbſt die Erndte faͤllt faſt alle Jahre um ein Betraͤchtliches ſpaͤther ein. Es iſt genugſam bekannt, daß in denen nordlichen Ge- genden von Teutſchland ehedem der Margarethentag im Julio, als der gewoͤhnliche Anfang der Erndte, allgemein angenommen war; und es ſind ſo gar noch viele Geſetze, Privilegien und Gewohnheiten vorhan- den,

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Zitationshilfe: Justi, Johann Heinrich Gottlob von: Geschichte des Erd-Cörpers. Berlin, 1771, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_geschichte_1771/247>, abgerufen am 23.11.2024.